Überfall in Berlin: Die trotteligen Vier vom Pokerturnier

Der Überfall auf das Pokerturnier ist so gut wie aufgeklärt. Ob sich die vier Täter in die Hall of Fame des Berliner Verbrechens einreihen, hängt davon ab, ob es Hintermänner gab.

Nur was für Könner: Pokern Bild: dpa

Keiner hat den Ruf des Verbrechers in Berlin so aufgemöbelt wie der Kaufhauserpresser Dagobert. Legende ist ein Plakat, das lange Zeit in der Justizpressestelle hing: "Freiheit für Dagobert." Verbrechen sind zwar verboten, so die Botschaft, aber über Verbote kann man sich hinwegsetzen. Hauptsache, die Rollen stimmen: Es gibt einen Guten (den Verbrecher), der mit Witz und Charme die Polizei (die Trottel) foppt und den Bösen (Kapital, Kaufhaus etc.) das Geld abjagt.

Das ist die Latte, an der sich auch Vedat S. (21), Ahmad El-A. (20), Mustafa U. (20) und Jihad Khaled Ch. (19) messen lassen müssen. Ihr Überfall auf das Pokerturnier im Grand Hotel Hyatt am 6. März war spektakulär genug, um sich in die Hall of Fame der jüngsten Berliner Kriminalgeschichte einzureihen: Dagobert, die Tunnelgangster, die KaDeWe-Räuber. Doch mit welchem Vermächtnis wird der Pokerraub in die Geschichte eingehen?

Ein logistisches Meisterwerk schien zunächst der Coup der Tunnelgangster. Nach anderthalb Jahren Buddeln überfielen fünf Täter 1995 eine Commerzbank in Schlachtensee, erbeuteten 8,3 Millionen Euro und flüchteten über den 170 Meter langen Tunnel. Dumm nur, dass die Garage, wo er endete, von einem der Täter gemietet worden war. So kam man ihnen auf die Spur.

Mehr Glück hatten die KaDeWe-Täter. Sie brachen Anfang 2009 übers Dach ins Nobelkaufhaus ein und klauten Schmuck im Wert von mehreren Millionen. Bald wurden zwei Zwillingsbrüder als Verdächtige festgenommen. Ihre DNA-Spuren stimmten mit denen am Tatort überein. Weil beide aber das gleiche Erbgut haben, konnte die Tat nicht zugeordnet werden. Beide sind frei. (taz)

Da sind zunächst die Tatsachen. Seit Samstag ist der Pokerraub weitgehend aufgelöst. Am Flughafen Tegel nahm die Polizei den vierten mutmalichen Täter Jihad Ch. fest, der sich in Beirut offenbar entschlossen hatte, lieber in Berlin in den Knast zu gehen als im Libanon. Zuvor bereits hatten die Ermittler Mustafa U. festgenommen, der aus Istanbul in Tegel gelandet war. Schon am 15. März hatte sich Vedat S. der Polizei gestellt - und die Namen seiner Komplizen verraten. Wenige Tage später war den Beamten Ahmad El-A. bei einer zufälligen Kontrolle am Rosenthaler Platz ins Netz gegangen. Alle vier, so die Polizei, leben in Kreuzberg und Neukölln.

Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet: Die Aufklärung des Falls scheint in dieser Hinsicht keine Frage offen zu lassen. Die Vier vom Pokerüberfall haben die Latte nicht nur gerissen - sie sind glatt unter ihr durchgesprungen. Die Häme des Boulevard ist ihnen sicher: Die B.Z. spricht bereits vom "geschwätzigen Singvogel aus Kreuzberg", vom "Schlaks aus dem Boxverein", vom "dicken Knasterfahrenen" und vom "nicht so hellen Bärtigen".

Schon kurz nach dem Coup, bei dem 242.000 Euro erbeutet wurden, hatte Polizeipräsident Dieter Glietsch von zahlreichen Fehlern der Täter gesprochen. Tatsächlich hatte Vedat S., der sich später der Polizei stellte, im Hyatt mehrere Fingerabdrücke hinterlassen, Handschuhe hatte er nicht dabei. Bei der Flucht durch die Potsdamer Platz Arkaden riss er sich die Sturmhaube vom Kopf - und wurde von Überwachungskameras gefilmt. Der Mercedes, mit dem die Vier schließlich flüchteten, war auf Vedat S. zugelassen, ein Passant hatte sich das Kennzeichen gemerkt.

Wenn den Pokerräuber einst ein Plakat gewidmet werden sollte, müsste darauf eigentlich stehen: "Rettet das Handwerk". Nicht nur ihren eigenen Ruf haben die harten Jungs ruiniert, sondern auch den von Kreuzberg und Neukölln.

Die Ebene der Tatsachen ist mit solchen Urteilen freilich längst verlassen. Mit dem Vorwurf des Dilettantismus hat die Polizei eine Spur gelegt, der ein Großteil der Öffentlichkeit dankbar folgte. Bereits am Montag nach dem Überfall kündigte Glietsch an, die Chancen, dass die Täter bald hinter Gitter säßen, "stehen nicht schlecht". Ins gleiche Horn blies Rainer Wendt, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund: Wer vor laufender Kamera eine solche Tat begehe, sei eher ein Dilettant, sagte Wendt einen Tag nach dem Überfall. Er rechne damit, dass die Täter schnell gefasst werden.

Das Bild von den liebenswerten Trotteln, die alles falschmachen, was nur geht, wird allerdings durch einen Blick ins Vorstrafenregister konterkariert. Drei von ihnen sind der Polizei seit langem als Strafttäter und Gewalttäter bekannt, einer findet sich in der Intensivtäterkartei. Mangelnder Integrationswille kann ihnen aber nicht vorgeworfen werden: Bevor er auf die schiefe Bahn geriet, war Ahmad El-A. fünf Jahre lang Mitglied im Berliner Polizeiboxverein.

Für den Verleger Jörg Sundermeier wirft das eine Frage auf, die bislang nicht beantwortet worden sei. "Was wäre passiert, wenn da ein paar Täter das ganze Ding kalt und brutal durchgezogen hätten?" In diesem Fall, meint Sundermeier, der in Berlin den Verbrecherverlag leitet, hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit Tote gegeben. "Nicht die Täter wären dann die Deppen gewesen, sondern die Veranstalter und die Polizei." Für Sundermeier ist der frühe Vorwurf des Dilettantimus deshalb auch ein Versuch, von den katastrophalen Sicherheitsvorkehrungen rund um das Turnier abzulenken.

"Profis hätten einmal in die Decke geschossen und nicht so rumgewurschtelt", sagte kurz nach dem Überfall ein niederländischer Augenzeuge. Doch Vedat S., Ahmad El-A., Mustafa U. und Jihad Ch. waren keine Profis. Für die Jungs aus Kreuzberg und Neukölln war das Ding im Hyatt, trotz der miserablen Sicherheitsvorkehrungen, einige Nummern zu groß. Dafür spricht auch ihre Bereitschaft, sich zu stellen. Eine Spontantat, die aus dem Ruder gelaufen ist, ist nicht zu vergleichen mit einem minutiös geplanten Überfall, bei dem es womöglich Tote gegeben hätte.

Gut möglich, dass die Vier vom Pokerturnier mit einer solchen Verteidigungsstrategie sowohl bei der Justiz einige Monate gut geschrieben bekommen, als auch ein paar Pluspunkte in Sachen Street Credibility einsammeln. Zwar haben sie alle Kunstfertigkeit des Verbrecherwesens mit Füßen getreten. Die Sympathieregeln aber haben sie nicht verletzt. Die angebliche Machete war wohl ein Spielzeug, die Pistole ebenso. Und, Hand aufs Herz, wer hat schon Mitleid, wenn einem Pokerspieler das Geld nicht auf halb-, sondern auf komplett legalem Weg verloren geht?

So könnten Vedat S., Ahmad El-A., Mustafa U. und Jihad Ch. als eine Art "Olsenbande aus Kreuzberg und Neukölln" in die Kriminalitätsgeschichte eingehen, wie Verbrecherverleger Sundermeier voraussagt. Es sei denn, es stellte sich heraus, dass der Überfall keine Dummejungsgeschichte war, sondern eine Auftragstat. Beim Turnier im Hyatt soll auch der Boss eines arabischen Clans mitgemischt haben. Darüber hinaus könnten Tipps an die Polizei von einem anderen Clan gekommen sein.

Dass es Hintermänner gab, legt auch die Verteilung der Beute nahe. Vedat S., Ahmad El-A., Mustafa U. und Jihad Ch. haben angeblich jeweils 40.000 Euro bekommen. 82.000 Euro aus der Beute fehlen noch. Sie sind der Schlüssel dafür, ob die Vier vom Pokerturnier trottelige Spontantäter sind - oder aber skruppellos eingesetzte Werkzeuge der organisierten Kriminalität.

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