Vernehmung von Kriminalitätsopfern: Ein Raum für Traumatisierte

Seit kurzem bietet die Polizei Kriminalitätsopfern spezielle Räume zu ihrer Vernehmung an. Auch Information über Hilfsangebote gehört jetzt zum Pflichtprogramm.

Freundliches Gelb an den Wänden, Korbsesselgarnitur und Kinderspielecke: Wie in einem Wohnzimmer sieht es hier aus, aber niemand lümmelt auf dem Sessel neben der Ikea-Stehlampe. Wer in diesen Raum der Polizeiwache am Alexanderplatz kommt, entspannt nicht, sondern wird vernommen. Damit sich Opfer nicht wie Täter fühlen, hat die Polizei in mehreren Direktionen sogenannte Opferschutzzimmer eingerichtet.

"Wir versuchen, die Vernehmung traumatisierter Menschen so angenehm wie möglich zu machen", sagt Corinna Krieger, Opferschutzbeauftragte der Direktion Mitte, Tiergarten, Wedding. Sie hat das Opferschutzzimmer in der Keibelstraße am Alex und ein weiteres in Wedding geplant, eröffnet wurden beide im Dezember. Hier werden zum Beispiel Opfer vernommen, die in der Wache eine Anzeige aufgeben. "Wer eine Lärmbelästigung anzeigen möchte, braucht das ruhige Zimmer sicher nicht", so Krieger. "Aber Opfer von Gewalttaten oder Raubüberfällen sind oft traumatisiert und können hier in einer angenehmen Umgebung ihre Erlebnisse schildern."

Eine Woche nach der Eröffnung haben laut Krieger bereits drei Opfer den Rückzugsraum als Vernehmungsort genutzt, das Feedback sei ausschließlich positiv gewesen. Erfahrungen der anderen Direktionen zeigen, dass in diesen Räumen durchschnittlich eine Vernehmung am Tag stattfindet. Vor allem für Frauen, die Gewalttaten erlitten haben, nutzt die Polizei ihre Opferschutzzimmer. Für sie ist die Hemmschwelle, zur Polizei zu gehen, oft groß. Wenn sie aber per Internet eine Anzeige aufgeben, kann das Opferschutzzimmer von den BeamtInnen für die Vernehmung gebucht werden.

Das Wichtigste sei, die Opfer vor einer "sekundären Viktimisierung" zu schützen, sagt Krieger. Das heisst: verhindern, dass sie nach einem Delikt in der Opferstellung bleiben und sich nicht zu helfen wissen. "Viele müssen ja erst einmal über ihre Rechte aufgeklärt werden. Die wissen etwa gar nicht, dass sie auf Schadensersatz klagen können", erklärt Krieger. Die Betroffenen darüber zu informieren, ist ihre Aufgabe. Mit Opferschutzorganisationen wie dem Weissen Ring steht sie in Verbindung. Zusätzlich bildet sie KollegInnen als Opferschutzbeauftragte aus. Trotzdem bekommt jeder, der eine Anzeige macht, zunächst ihre Telefonnummer. "Das Telefon klingelt ununterbrochen", meint die 32-Jährige.

Im Opferschutz tut sich etwas, obwohl das Bereitstellen von Rückzugsräumen wie den Opferschutzzimmern nicht vorgeschrieben ist. Seit 2003 muss in jeder Berliner Polizeidirektion eine Opferschutzbeauftragte wie Corinna Krieger sitzen. Seit 2004 ist die Polizei gesetzlich verpflichtet, Opfer von Straftaten über Hilfs- und Beratungsangebote zu informieren. Rückzugsräume für Opfer bereitzustellen, ist Teil dieser Arbeit.

Janice Bridger, Geschäftsführerin von Opferhilfe e.V., sieht allerdings noch Verbesserungsbedarf: Stärker auf die Rechte der Opfer zu achten, dieses Verständnis von Polizeiarbeit müsse "erst noch durch alle Ebenen durch." Weil die BeamtInnen den Hilfebedarf des Opfers von Fall zu Fall und nach persönlichem Ermessen beurteilen müssen, könne es passieren, dass das schwule Gewaltopfer zur allgemeinen Opferhilfe statt zur Homosexuellenberatung geschickt wird oder der Raubüberfall als nicht gravierend genug eingestuft wird, um explizit auf Beratung hinzuweisen. Würde den Betroffenen bei jedem Delikt eine Liste mit einem Überblick über das Beratungsangebot ausgehändigt, könnten diese selbst entscheiden und aus der Opferrolle heraustreten, meint Bridger. "Ich würde mir wünschen, dass eine umfassende Opferhilfe, unabhängig vom Delikt, zum Automatismus wird."

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