PRO & CONTRA Bürgerentscheide: Müssen Bürgervoten verbindlich sein?

Viele Volksabstimmungen und Bürgerentscheide sind nicht für die Politik verbindlich. Nutz oder schadet der politsichen Debatte?

PRO: Volksentscheide müssen verbindlich sein, denn folgenlose Bürgervoten schaden der Demokratie, meint GEREON ASMUTH:

Gleich drei Argumente sprechen gegen unverbindliche Urnengänge. Sie lohnen den Aufwand nicht. Sie führen zu falschen Ergebnissen. Und sie schaden der Demokratie.

Um dem Volk mal aufs Maul zu schauen, braucht es keinen Urnengang. Da reichen Umfragen von Meinungsforschern. Zwar sind die selbst bei akkuratestem Vorgehen nicht hundertprozentig repräsentativ. Doch genauer als die Ergebnisse unverbindlicher Abstimmungen sind sie allemal. Denn daran beteiligt sich vor allem, wer ein echtes Anliegen hat. Das verzerrt das Ergebnis, es öffnet Tür und Tor für populistische Interpretationen und torpediert somit eine sachgerechte Debatte.

Viel wichtiger aber ist: Die Unverbindlichkeit schadet der Demokratie. Schon aufgrund der immer noch recht hohen Hürden ist es bis heute kaum möglich, tatsächlich ein Volks- oder Bürgerbegehren erfolgreich abzuschließen. Wenn dann die Regierung auch noch sagen darf, dass ihr basisdemokratische Abstimmungen am Arsch vorbeigehen, muss man sich nicht wundern, dass nach der schon weit verbreiteten Parteienverdrossenheit auch noch eine allgemeine Abstimmungsmüdigkeit um sich greift.

Die ist bereits sichtbar. Als 2006 Volks- und Bürgerbegehren in Berlin erleichtert beziehungsweise eingeführt wurden, gab es einen Boom politischer Initiativen. Mittlerweile ist ihre Zahl wieder deutlich zurückgegangen. Auf Dauer kann man Bürger für die demokratische Teilnahme nur begeistern, wenn man ihnen tatsächlich weitreichende Rechte einräumt: mit verbindlichen Abstimmungen, an die sich die Politik halten muss.

CONTRA: Volksentscheide müssen nicht verbindlich sein, denn Bürgervoten bringen immer etwas, meint SEBASTIAN HEISER

Leider wird es nie so sein, dass Bürger über alle Themen verbindlich abstimmen können. Zum Beispiel weil - wie beim Flughafen Tempelhof - gleich mehrere Entscheidungsebenen parallel zuständig sind: der Bezirk, das Land und der Bund. Oder weil es um eine Frage geht, die bereits weitgehend entschieden ist , etwa bei der Abstimmung in Friedrichshain-Kreuzberg über das Neubauquartier Mediaspree, wo viele Grundstückseigentümer schon eine Baugenehmigung hatten.

In solchen Fällen sollte man Bürgern aber nicht verbieten, trotzdem eine Abstimmung zu initiieren. Das zeigen gerade die beiden genannten Fälle: Sowohl die Initiative "Mediaspree versenken" als auch die Flughafenfreunde vom Verein Icat haben es geschafft, die Agenda der öffentlichen Debatte maßgeblich zu beeinflussen.

Und es hat auch tatsächlich etwas bewirkt: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat einen Sonderausschuss zu Mediaspree eingesetzt, in einzelnen Fällen konnte die Planung noch in Richtung der Forderungen verändert werden. Und der Senat steht beim Thema Tempelhof seit der landesweiten Abstimmung unter verschärfter Beobachtung der Öffentlichkeit: Ob es um die Vermietung an die Modemesse Bread & Butter geht oder um die Öffnung des Zauns - der Senat ist unter erhöhtem Rechtfertigungsdruck. Wenn die Initiativen nur Unterschriften für eine Petition hätten sammeln dürfen, wäre ihnen dieser Erfolg nie gelungen. Er wurde erst möglich, weil sie auch die Möglichkeit hatten, eine Abstimmung zu starten - ein Gewinn für die Basisdemokratie und die Debattenkultur in der Stadt.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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