Internationales Frauen-Fußballturnier: Raus aus dem Abseits

Am Anhalter Bahnhof treffen Fußballerinnen aus aller Welt aufeinander. Auch ein Team aus Afghanistan ist dabei. Sie zeigen: Fußball kann mehr bewegen als nur den Ball

Beim Turnier geht's nicht nur um den Ball Bild: ap

Von Ferne fallen die Frauen nicht weiter auf. Routiniert passen sie sich auf dem Kunstrasen zwischen der Ruine des Anhalter Bahnhofs und dem Tempodrom den Ball zu. Ihre Stimmen klingen hell über den Platz. Die meisten tragen die langen schwarzen Haare als Zopf zurückgebunden. Die roten Trikots leuchten in der Sonne, auf dem Rücken der Schriftzug: Afghanistan.

"Meine Brüder denken: Nur schlechte Mädchen spielen Fußball. Gute Mädchen gehen zur Schule und heiraten", sagt Khalida Popal. Nach dem Training sitzt die 22-Jährige mit ihren Mannschaftskolleginnen auf den Steintreppen am Spielfeldrand, breitbeinig, mit verschränkten Armen. Sie zieht die Brauen zusammen. "Ich will nicht heiraten. Keiner aus unserem Team ist verheiratet." Es klingt trotzig, ein bisschen auch stolz.

Heute beginnt beim Frauenfußballturnier "Discover Football" am Anhalter Bahnhof die Vorrunde. Parallel dazu gibt es auf dem Gelände zahlreiche kulturelle Veranstaltungen: Zwischen den Spielen stellen sich die Teams vor. Über "Toleranz als Völkerverständigung" wird um 19.30 Uhr auf dem Podium im Festzelt diskutiert.

Am Samstagabend wird das WM-Spiel um den dritten Platz übertragen, anschließend steigt eine Party im SO 36 in Kreuzberg. Auch das WM-Finale am Sonntag wird im Festzelt gezeigt. Das eigene Finale bestreiten die Frauen dann am Dienstag um 15.30 Uhr. Die Fußball- und Kulturwoche endet am Dienstagabend mit der Siegerehrung und einer Party.

Der Eintritt kostet vor 15 Uhr

2 Euro, danach 3 Euro. Ein Wochenticket für 15 Euro kann man per Mail bestellen. Weitere Infos unter www.discoverfootball.de

Die afghanische Frauennationalmannschaft ist eins von acht Teams, die am internationalen Frauenfußballturnier "Discover Football" auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz teilnehmen. Am heutigen Donnerstag beginnt die Vorrunde: Die Afghaninnen kicken gegen Frauen aus Sambia, die sich für die Aufklärung über Aids einsetzen. Ein israelisch-palästinensisches "Peace Team" trifft auf den "FC Heißer Leberkäse" aus Österreich. Serbische Grundschullehrerinnen treten an gegen eine Quechua-Mannschaft aus Ecuador. Neben den Spielen gibt es im Festzelt Interviews, Gesprächsrunden, Konzerte.

Die Teams wurden vorrangig aufgrund ihres gesellschaftlichen Engagements ausgewählt. Viele haben in ihren Ländern mit Widerständen zu kämpfen, weil ihr Sport nicht anerkannt ist. Die Einladung nach Deutschland, zu großen Teilen finanziert vom Auswärtigen Amt, sei ein politisches Zeichen der Unterstützung, sagt Marlene Assmann vom Kreuzberger BSV AL-Dersimspor. Ihre Mannschaft organisiert das Fußballfest. "Vor allem soll das Turnier aber ein tolles Erlebnis sein für jeden Einzelnen." Die schmale 28-Jährige wirkt mädchenhaft, doch man merkt schnell: Sie weiß genau, was sie will. Es gebe immer Vorurteile gegen Frauen, die Fußball spielen, sagt sie. "Gerade deshalb kann man beim Fußball lernen sich durchzusetzen."

Selbstbewusst werden durch den Sport - bei den afghanischen Mädchen scheint das zu funktionieren. Während der Taliban-Herrschaft war es Frauen verboten, an öffentlichen Aktivitäten wie Sport teilzunehmen. Diesen Freiraum erobern sie sich nun zurück. "Mein Vater wollte früher nicht, dass ich Fußball spiele. Jetzt sagt er nichts mehr. Er weiß: Ich tue eh, was ich will", erzählt Khalida Popal und grinst.

Mit ihrer Familie war sie vor den Taliban nach Pakistan geflüchtet, nach deren Fall kehrten sie nach Kabul zurück. Popal hat englische Literatur studiert und arbeitet heute in der Verwaltung des Fußball-Verbandes. Sie hofft, dass die westlichen Militärs nicht so bald aus Afghanistan abziehen. "Dann kommen vielleicht die Taliban zurück. Glauben Sie mir: Das wollen wir nie, nie wieder erleben."

Vor Zuschauern zu spielen wird für die Afghaninnen aufregend: Derzeit trainieren sie in Kabul auf einem Sportplatz des Militärs, meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wenn fremde Männer zusehen, müssen sie Kopftuch tragen. Spiele sind selten, die Mannschaft sei aber schon zu Turnieren nach Pakistan und Jordanien gereist, berichtet ihr Betreuer. Einige Spielerinnen waren auch bereits in Deutschland.

Während Popal und ihre Teamkolleginnen zum Duschen im Hotel verschwinden, eilt Marlene Assmann über das Gelände. Das weiße Festzelt steht bereits, auch die Bierbänke und Pavillons. Freiwillige bauen Mülleimer auf. Man sieht, dass Sportlerinnen am Werk sind: Steht eine Bank im Weg, steigen sich nicht darüber, sondern hüpfen.

"So ein Turnier ist wahnsinnig viel Arbeit", sagt Marlene Assmann. Sie lässt sich im Schatten eines Sonnenschirms nieder, das Handy griffbereit in der Hand. Eigentlich studiert Assmann Montage an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Potsdam. Aber seit Monaten sei sie mehr mit dem Turnier beschäftigt als mit ihrer Ausbildung, erzählt sie.

Sponsoren mussten gefunden, Visa beantragt, die Reise organisiert werden. Unterkunft, Verpflegung, Transport, an alles hatten die jungen Frauen zu denken. Die Kreuzbergerinnen bewiesen Liebe zum Detail: Sie entwarfen sogar ein Sammelalbum, nach dem Vorbild des großen Bruders Panini, mit Fotostickern der Spielerinnen. Im "Fancorner", einem orange Zelt etwas abseits, sollen die Bildchen getauscht werden. Auch Fangesänge kann man dort einstudieren und T-Shirts bedrucken.

Zwei Teams mussten das Turnier absagen. Die deutsche Botschaft wollte der Mannschaft aus Liberia, die sich für mittellose Frauen einsetzt, keine Visa ausstellen. Nicht bei allen Frauen sei klar gewesen, ob eine Bereitschaft zur Rückkehr bestehe, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Auch das Team aus dem Iran konnte nicht kommen. Die iranischen Behörden verweigerten die Ausreise. "Damit fehlen zwei Mannschaften, die in besonderer Weise für die Idee des Projekts stehen", heißt es in einer Pressemitteilung der Gastgeber.

Vor allem die Absage aus Teheran trifft die Kreuzbergerinnen. Zu den Iranerinnen hatten sie bisher den engsten Kontakt. Bereits im Mai 2006 waren sie nach Teheran gereist und hatten dort gegen die Nationalmannschaft der Frauen gespielt. Eine spektakuläre Partie: Es war das erste offizielle Frauenfußballspiel seit der iranischen Revolution 1979. Schon einmal, vor drei Jahren, organisierten Assmann und ihre Kolleginnen das Rückspiel in Berlin - auch damals verweigerte Iran die Ausreise.

Für das diesjährige Turnier haben die Gastgeberinnen Ersatz gefunden. Ein Team aus Serbien und eines aus Paraguay wurden kurzfristig eingeladen. Vielleicht klappt es mit Iran nächstes Jahr? Am liebsten wollen die Fußballerinnen vom BSV-AL-Dersimspor auch 2011 ein Fußballfest organisieren, parallel zur WM der Frauen in Deutschland.

Jetzt startet erst mal dieses Turnier. Der afghanische Trainer und seine Spielerinnen haben die anderen Teams bereits kritisch beäugt. Er sagt: "Sie sind gut. Aber nicht besser als wir!"

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