Rot-Rot schrumpft Märkte

KONSUM Senat soll Ansiedlung großer Märkte erschweren – zum Schutz kleinerer Läden und des Stadtbilds. Opposition und Handel kritisieren solche „Planwirtschaft“ und Praxisferne

Als Planwirtschaft und Bevormundung tun die Kritiker den jüngsten Vorstoß zum Schutz des kleinen Handels ab. Sie geben sich basisdemokratisch und verweisen auf die sogenannte Abstimmung mit den Füßen: Wenn die Leute den kleinen Laden um die Ecke so mögen würden, dann könnten sie dort ja mehr als den im Kühlschrank gerade fehlenden Liter Milch holen, während sie den Großeinkauf im Discounter erledigen.

Eine solche Haltung aber heißt, sich von jeglichem politischen Gestalten zu verabschieden und den Markt alles regeln zu lassen. Das wäre falsch, grundfalsch. Kleine Geschäfte, vom Zeitungsladen bis zum Fahrradhändler, nicht allein Tante Emma, prägen einen Kiez und sein Lebensgefühl. Aufgabe der Politik muss es sein, solche Strukturen zu unterstützen. Die Koalition geht den richtigen Weg, wenn sie große Märkte nicht komplett verdammt, aber auf ein Maß beschränken will, das den Kleinen Luft lässt.

Es ist zwar durchaus richtig zu kritisieren, so etwas hätte SPD und Linkspartei nichts erst jetzt einfallen sollen. Aber zu sagen, alle Steuerungsversuche kämen viel zu spät, ist eine zu schicksalsergebene Haltung. Vielleicht ist Tante Emma tatsächlich nicht mehr zu helfen, vielleicht aber eben doch – schließlich macht alle naselang ein neuer großer Discounter auf, der zu verhindern gewesen wäre.

Und was die Abstimmung mit den Füßen angeht: Möglicherweise erinnert der Parlamentsbeschluss den einen oder anderen daran, dass der kleine Laden nicht von Sympathie und dem Liter Milch allein leben kann.

VON STEFAN ALBERTI
UND KATHLEEN FIETZ

Billig-Supermärkte und große Fachmärkte sollen es schwerer haben, sich in bereits gut versorgten Kiezen anzusiedeln. Das hat die rot-rote Koalition im Abgeordnetenhaus mit Hilfe der Grünen beschlossen. Der Senat soll dazu die Vorgaben für Bauvorhaben verschärfen. Grundgedanke ist, den kleinen Handel gegen Marktriesen zu schützen und eine Handhabe gegen Discounter-Fassaden zu bekommen, die sich nicht ins Stadtbild einfügen. CDU und FDP kritisierten den Beschluss als überflüssig und planwirtschaftlich. Für die Industrie- und Handelskammer (IHK) und den Handelsverband ist er überholt.

Gegenüber der taz wehrte sich der stadtentwicklungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Daniel Buchholz, gegen den Vorwurf, mit diesem Beschluss würden ärmere Berliner um günstige Einkaufsquellen gebracht. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen Discounter“, sagte Buchholz, „aber wir sind gegen den Wildwuchs.“ Wo es schon zwei Billig-Anbieter gebe, da müsse nicht noch ein dritter oder vierter hin. Dem großflächigen Einzelhandel – also Märkte ab 800 Quadratmeter – gehören laut IHK nahezu zwei Drittel der gesamten Berliner Verkaufsfläche. Buchholz’ Kollege von der Linkspartei, Thomas Flierl, verwies zudem auf das Missverhältnis zwischen immer mehr Verkaufsfläche und sinkender Kaufkraft.

Die Leidtragenden sind laut Buchholz kleinere Geschäfte, die sich, wenn überhaupt, oft nur noch mit Selbstausbeutung und langen Öffnungszeiten über Wasser halten können. Betroffen seien aber nicht nur kleine Lebensmittelhändler, sondern auch Fachgeschäfte, denen die Discounter mit wöchentlichen Aktionen Konkurrenz machen.

Bislang sieht die Koalition zu wenig Möglichkeiten, großen Märkten eine Baugenehmigung zu verweigern. Nötigenfalls würden sich die Unternehmen vor Gericht durchsetzen, so Buchholz. Bebauungspläne allein würden nicht alles abdecken, weiterhelfen könne da nur ein übergreifendes Planungskonzept in jedem Bezirk. Solche Konzepte aber würden in einigen Bezirken fehlen. Zudem soll der Senat den bestehenden Stadtentwicklungsplan „Zentren“ nachbessern.

„Das ist schlicht Planwirtschaft, was Sie hier betreiben wollen“

K.-P. VON LÜDEKE (FDP)

CDU und FDP hingegen reichen die jetzigen Möglichkeiten des Baugesetzbuches völlig aus. Der Liberalen-Abgeordnete Klaus-Peter von Lüdeke sah bei Rot-Rot ideologische Beweggründe: „Das ist schlicht Planwirtschaft, was Sie hier betreiben wollen.“ Zudem komme die Koalition zu spät: Auch er möge den Tante-Emma-Laden, „aber der ist doch längst ausgestorben, da sind doch alle Züge abgefahren“.

Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Stefanie Bung, kritisierte den Vorstoß als überholt: Die Bezirke würden ihre Aufgaben bereits ausreichend wahrnehmen. Die Koalition hinke da hinterher.

Tante Emma ist schon tot

Die rot-rote Koalition will die Berliner bevormunden: In Zukunft sollen nicht mehr die Bürger entscheiden, wo sie einkaufen gehen, sondern Beamte. Die Verwaltung soll herausfinden, in welchen Gebieten überhaupt noch ein zusätzlicher Nahversorgungsbedarf besteht. Nur dort dürfen dann neue Discounter öffnen.

Bisher konnten Discounter selbst entscheiden, ob sie in einem Gebiet hinreichende Marktchancen sehen. Das führt dazu, dass die Anwohner selbst die Auswahl haben: Wer weiter zu Tante Emma und Onkel Ali gehen will, kann das machen. Wenn aber die meisten lieber beim Discounter einkaufen wollen – warum sollten dann die kleineren und teureren Läden eigentlich künstlich vor der beliebteren Konkurrenz bewahrt werden?

Ein Argument gegen Discounter ist, dass sie mit ihren Billigbauten das Stadtbild verschandeln. Es gibt allerdings schon ausreichende Mittel im Planungsrecht, um die discounttypischen Wellblechgebäude mit Satteldach zu verhindern. Ein Argument gegen Discounter ist auch, dass sie ihre Angestellten ausbeuten. Der richtige Weg, das zu verhindern, ist allerdings ein Mindestlohn, der dann auch gleich für andere Problembranchen gilt. Außerdem müssen die Löhne in kleinen Läden nicht besser sein – da arbeiten die Familienangehörigen der Inhaber sogar oft für noch geringere Stundenlöhne.

Wer gegen einzelne Nachteile von Discountern vorgehen will, sollte das also gezielt machen. Eine zentrale staatliche Bedarfsplanung erinnert dagegen an Planwirtschaft.

Die CDU-Fraktion hatte zuvor allerdings den Eindruck erweckt, dass sie das Anliegen unterstütze: Im Stadtentwicklungsausschuss des Parlaments stimmte sie vor zweieinhalb Wochen mit der Koalition. Im Ausschuss habe es „ein Missverständnis“ gegeben, hieß es von der Union.

Auch die Interessenverbände des Handels, die mit dem Senat den Stadtentwicklungsplan „Zentren“ erarbeitet haben, reagierten skeptisch. „Durch ein Verbot von Discountern kann man den kleinen Handel nicht retten, die Entscheidung, wo man kauft, liegt beim Verbraucher“, sagte Nils Busch-Petersen, Chef des Handelsverbands Berlin-Brandenburg. Der Senat könne steuern, wo Discounter benötigt werden und ins Stadtbild passen – das aber geschehe bereits. Das sieht die Industrie- und Handelskammer (IHK) genauso: „Was der Senat steuern kann, wird bereits getan.“

Die Grünen sind klar anderer Meinung. Sie unterstützten zwar den Antrag, übten aber harsche Kritik am bisherigen Umgang des Senats mit Discountern und großflächigen Fachmärkten. Als Beispiel für überbordende Einzelhandelsflächen nannte ihre Stadtentwicklungsexpertin Franziska Eichstädt-Bohlig gegenüber der taz Leipziger und Potsdamer Platz: „Es wird genehmigt, was beantragt wird.“ Für Tante Emma hat sie kaum Hoffnung: „Der kleine Handel ist kaputt, da killen nicht mehr die Großen die Kleinen, sondern die Großen machen sich gegenseitig kaputt.“