Schulreform in Berlin: Von der Zwangsheirat zur Liebeshochzeit

In Neukölln fusionieren mit der Schulreform die Röntgen-Realschule und die Kurt-Löwenstein-Hauptschule. Dass beide die neue Sekundarschule begrüßen, ist durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Es ist ein Zusammenschluss unter besonderen Bedingungen: Mit der Kurt-Löwenstein-Haupt- und der Röntgen-Realschule sollen im Neuköllner Norden nicht nur zwei Schultypen zusammenwachsen, deren jeweilige Vertreter der Schulreform oft konträr gegenüberstehen. Auch die räumlichen Bedingungen der Fusion sind ungewöhnlich: Die neue Sekundarschule soll an einem dritten Standort abseits der bisherigen Einzugsgebiete der zwei Schulen entstehen.

"Ich halte die gemeinsame Erziehung von Haupt- und Realschülern für sinnvoll". Der klare Satz, mit dem Schulleiterin Marlis Meinicke-Dietrich die Fusion ihrer Realschule mit einer Hauptschule kommentiert, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn während die Zusammenfassung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur neuen Sekundarschule von den Hauptschulen mehrheitlich begrüßt wird, lehnen viele Realschulen sie ab. Der Berliner Landesverband deutscher Realschullehrer hat kürzlich sogar ein Bündnis für den Erhalt des gegliederten Schulsystems mit gegründet.

"Wir hätten als Realschule sicher noch eine Weile erfolgreich überdauern können", sagt auch Meinicke-Dietrich. "Aber ich sehe das Gesamtbild." Die Hauptschulen als Restschulen, die Hauptschüler als "Restmenschen" - das konnte so nicht weitergehen, meint die Schulleiterin. Zwar hätten manche ihrer KollegInnen Bedenken vor einer schwierigeren Schülerschaft: Doch die Sekundarschule biete als Ganztagsschule dafür auch bessere Betreuungsmöglichkeiten. "Aus unserer arrangierten Ehe kann durchaus eine Liebesbeziehung werden", so ihr Fazit.

Auch Detlef Pawollek, Leiter der Kurt-Löwenstein-Hauptschule, sieht "bei teils unterschiedlichem Bildungsverständnis" viele Gemeinsamkeiten der beiden Schulen: Beide hätten bereits viele Kooperationspartner sowohl im künsterischen wie im berufsbildenden Bereich. Beim letztjährigen interreligiösen Schulwettbewerb "Trialog der Kulturen" standen beide Schulen im Finale. Pawollek, bisher Leiter der Löwenstein-Schule, wird die Leitung der Sekundarschule übernehmen, Realschulleiterin Meinicke-Dietrich geht in Rente. Der künftige Sekundarschulleiter verspricht sich von der Mischung leistungsstärkerer und leistungsschwächerer SchülerInnen "eine Bereicherung für die klassischen Hauptschüler".

Dazu, dass eine solche Mischung an der Sekundarschule zustande kommt, soll auch deren neuer Standort beitragen. Die beiden Schulen - die Löwenstein westlich der Hermannstraße gelegen, die Röntgen zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee - fusionieren an einem dritten Ort. Ganz am Rande Neuköllns, wo die Mauer einst Ost- und Westberlin trennte, hat der Bildungsstadtrat des Bezirks, Wolfgang Schimmang (SPD), dafür eigens ein Gebäude gekauft: Es liegt auf Treptower Gebiet. Dass er dabei auch eine andere Schülermischung im Sinn hatte, daraus macht Schimmang kein Geheimnis: Löwenstein- und Röntgen-Schule haben etwa 90 Prozent Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache. An der nächstgelegenen Treptower Realschule sind es 17 Prozent.

Noch ist das künftige Sekundarschulgebäude eingerüstet. Die Mauer, die den Schulhof nach Westen begrenzt, war tatsächlich Teil der Mauer, die die Stadt einst teilte. Neben der Schule steht ein buntes Zelt vom Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi, mit dem die Sekundarschule bereits künftige Zusammenarbeit vereinbart hat. Der Zirkus hat der Schule einen bunten Wagen geliehen: Dort wartet Schulsekretärin Kusch auf Anmeldungen. 83 Siebtklässler hat die neue Sekundarschule bisher - mehr als sonst: Das ist ein Erfolg. Wie viele davon aus Treptow kommen, erhebt die Schule nicht.

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