Alternative Kleingärten: Wildwuchs und Brennnesseln erwünscht

In Tempelhof gärtnern 250 Erwachsene und 50 Kinder nach ökologischen Richtlinien auf dem Landschaftspflegehof. Doch Nachbarschaftskonflikte gibt es auch hier.

Kleingärten dienen vielen Stadtbewohnern als Ort der Ruhe und Entspannung Bild: dpa

Einmal wollten sie genauer wissen, was sich zwischen den Büschen und Bäumen, auf der Streuobstwiese und im Feuchtbiotop so alles tummelt. Rund 25 Mitglieder des Landschaftspflegehofs in Tempelhof durchkämmten das Gelände. Heckenrosen, Oregano, Schneebeeren und vieles andere wurde identifiziert. "Insgesamt kamen wir auf 242 Pflanzen- und Tierarten", sagt Mone Volke. Ein gewisser Stolz klingt mit, wenn sie das erzählt. Wäre der Landschaftspflegehof eine ganz normale Kleingartenkolonie, gäbe es eine solche Vielfalt sicherlich nicht.

1989 wurde das alternative Gartenprojekt an der Rixdorfer Straße südlich des ehemaligen Flughafens Tempelhof gegründet. Die 30.000 Quadratmeter teilen sich auf in Gemeinschaftsflächen und 52 Parzellen. Rund 250 Erwachsene und 50 Kinder buddeln und pflanzen auf dem von der Kirche gepachteten Gebiet nach ökologischen Richtlinien. Ein Projekt mit Vorbildcharakter: In Lichterfelde gibt es seit 2008 ebenfalls eine alternative Kolonie. Auch in Spandau startete ein Kleingartenprojekt mit Ökorichtlinien, erzählt Gerda Münnich von der Arbeitsgemeinschaft interkultureller Gärten in Berlin und Brandenburg.

Im Vergleich mit den Gärten ringsum fällt der Landschaftspflegehof schon durch die Namengebung auf: Die meisten Kleingartenkolonien der Gegend tragen Namen wie "Abendrot", "Kleeblatt" und "Marienglück". Die Parzellen des Landschaftspflegehofs heißen "Subversives Suppengrün", "Petrasilie" oder "Taka-Tuka-Land". Auch im Garten selbst erinnert so gut wie nichts an den klassischen Laubenpieperverein: Statt schnurgerader, gepflasterter Gehwege führen verschlungene Pfade durch das Gelände, an hoch aufschießenden Stockrosen und Pappeln vorbei, von einem eingewachsenen Holzhaus zum nächsten. Maschendrahtzäune und gestutzte Buchsbaumhecken gibt es nicht, dafür Totholzhaufen und Wildsträucher. Ein Mann mit langen grauen Haaren werkelt mit einer Schubkarre herum. Auf einer Wiese spielt eine junge Mutter oben ohne mit ihrem Baby. Ein ländliches Hippie-Idyll. Dass man mitten in Berlin ist, merkt man nur am fernen Rauschen der Stadtautobahn.

"Das hier macht für mich die Großstadt erst lebenswert", sagt Mone Volke. Die 54-Jährige setzt sich in den Schatten des ausladenden Wildrosenstrauchs vor ihren Bauwagen. Sie arbeitet als freiberufliche PR-Referentin. 1993 stieß sie zum Landschaftspflegehof dazu. "Früher dachte ich, ich verstehe was vom Gärtnern. Aber mein Horizont war so weit wie die Plastikblumenkästen auf meinem Balkon." Sie lacht. Inzwischen kennt sie die meisten Pflanzen beim Namen. Und hat viele lieb gewonnen. Sie zeigt auf ein Beet. "Schauen Sie sich die Kugeldisteln an, auf denen sitzen meistens Schmetterlinge und Hummeln."

Pflanzen verraten viel über den Gärtner, wie Kleider oder Autos über ihre Besitzer. Man muss nur die Codes kennen. Fleißige Lieschen, Kirschlorbeer und Studentenblumen wird man im Landschaftspflegehof kaum finden, dafür viel schönen Wildwuchs. Auch Brennnesseln sind ausdrücklich erwünscht, weil sie sich gut als Dung eignen.

Jede Parzelle hat Zugang zu Wasser. Strom gibt es nicht, nachts muss es stockdunkel sein. Sie hätten mal überlegt, Solarlampen einzuführen, sagt Volke. "Letztlich haben wir uns dagegen entschieden. Wir wollen es hier schließlich bewusst anders als zu Hause." Ihren Garten teilt sie mit ihrer Partnerin und zwei anderen Frauen. Parzellen werden nur an Gruppen mit mindestens drei Erwachsenen vergeben. Eine Kleinfamilie alleine - Papa, Mama und Kind - kommt also nicht zum Zug. Volke erklärt das so: "Wir haben nichts gegen Kleinfamilien. Aber sie werden in der Gesellschaft eh anerkannt und gefördert. Wir wollen Raum bieten für andere Lebensweisen."

Das hat auch mit der Geschichte des Landschaftspflegehofs zu tun: Er ist aus der Hausbesetzer-, Öko- und Frauenbewegung entstanden. "Das Projekt richtete sich an Leute, die gärtnern wollten, für die eine normale Kolonie oder das Reihenhaus im Grünen aber keine Option war", erzählt Volke. Es sollte nicht nur ein Öko-, sondern auch ein Gemeinschaftsprojekt sein. Zusammen machten sie das Gelände nutzbar. "Alles wurde in der Gruppe ausdiskutiert und basisdemokratisch abgestimmt", erinnert sich Volke.

Zum Beispiel die Frage nach der Herkunft der Pflanzen. Im Nutzungsvertrag hatten die Gründer festgelegt, dass einheimische Arten bevorzugt werden sollen. Nur: Was ist einheimisch? Manche Pflanzen kamen schon in der Antike nach Mitteleuropa. Mit den Jahren siegte der Pragmatismus. Volke sagt: "Wir hinterfragen heute nicht mehr jedes Gewächs. Wir pflanzen das an, was über mehrere Generationen mit den klimatischen Verhältnissen klarkommt."

Die Bäume und Büsche sind gewachsen, es ist Ruhe eingekehrt. "Früher war so ein Projekt revolutionär. Heute ist die Ökologie in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt die 54-Jährige. Bei den Mitgliedern des Landschaftspflegehofs hat es viele Wechsel gegeben. Die Vereinstreffen sind seltener geworden. "Wir müssen nicht mehr so viel entscheiden. Es läuft schließlich alles", sagt Volke, die selbst mehrere Jahre im Vorstand saß.

Ab und an gibt es aber doch Gemeinschaftsaktionen. Zum Beispiel den Bau des Strohhauses von Dominik Diehl und seinen Mitstreitern. Seit 18 Jahren ist er beim Landschaftspflegehof. Inzwischen teilt der Arzt mit Patchworkfamilie die Parzelle mit seiner Schwester und deren Anhang. Er zeigt auf das geduckte Haus, das auf der Wiese neben den Himbeeren und der Torwand steht. "Ohne die Hilfe der anderen, ohne die Freiwilligen hätten wir das nicht geschafft."

Dabei gab es im Vorfeld offenbar Streit. Den Nachbarn auf der einen Seite sei der Hausbau an dieser Stelle nicht recht gewesen, erzählt Diehl. "Letztlich unterscheiden sich die Menschen nicht so groß", sagt er und lacht. "Die Probleme sind dann doch nicht so anders als bei anderen Kleingartensiedlungen auch."

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