Montagsinterview mit Mieke Senftleben: "Einfach mal nichts tun, das kann ich nicht"

Sie war Galeristin und Lehrerin mit Montessori-Hintergrund, hat fünf Kinder großgezogen und ist seit neun Jahren die einzige Abgeordnete der FDP, deren Fachkenntnisse parteiübergreifend akzeptiert werden: Mieke Senftleben kümmert sich um Bildung, weil sie selbst erlebt hat, was an Berlins Schulen so alles schiefläuft. "Politik lässt mich nie so richtig los, auch wenn ich zu Hause sitze oder im Garten buddele", sagt sie.

Lehrerin, Galeristin, Teil einer Großfamilie und FDP-Politikerin: Kein Wunder, dass die Tage von Mieke Senftleben im Morgengrauen beginnen und selten vor elf Uhr nachts enden. Bild: Detlev Schilke

taz: Frau Senftleben, Sie haben als Wahlfrau der Berliner FDP Christian Wulff zum Bundespräsidenten gewählt. Eigentlich ist er doch zu jung für dieses Amt.

Mieke Senftleben: Nein, ich empfinde gerade sein Alter als positiv. Dass hier eine junge Familie, zudem eine Patchworkfamilie, ins Schloss Bellevue kommt, das ist doch ausgesprochen reizvoll.

Sie berlinert manchmal, sagt dann "nüscht" statt "nichts". Aber geboren wurde Mieke Senftleben 1952 nicht in Berlin, sondern in Delmenhorst in Niedersachsen. Sie studiert auf Lehramt, arbeitet später bei Bonn als Galeristin. Zwei der fünf Kinder ihrer Großfamilie bringt ihr Mann mit in die Ehe.

Nach dem Umzug nach Berlin 1992 wird sie schnell Landesvorstandsmitglied der tief zerstrittenen FDP, die sich außerhalb des Parlaments neu zu strukturieren versucht. Als die Partei 2001 nach dem Bankenskandal im Kielwasser von Exbundesminister Günter Rexrodt erstmals nach elf Jahren ins Parlament kommt, ist Senftleben eine der Abgeordneten.

Im Parlament wird sie eine der wichtigsten Stimmen in der Bildungspolitik. Eine ihren Forderungen: mehr Eigenverantwortung für die Schulen. Von 2008 bis zu diesem Mai war sie Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen. (sta)

Warum?

Mir ist es wichtig, dass die Themen Familie und Beruf, Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, mehr Beachtung finden. Und da kann ich mir vorstellen, dass Herr Wulff neue Akzente setzt. Ich habe ja auch eine Patchworkfamilie: Mein Mann hat die beiden ältesten Töchter in die Ehe gebracht.

Zusammen haben Sie fünf Kinder, Sie waren Lehrerin, Galeristin, sind Politikerin - erleben Sie manchmal Neid oder Ärger anderer Frauen, weil Sie das alles unter einen Hut bekommen haben?

Das weiß ich nicht. Und außerdem: Es war ja nie alles parallel. Richtig in der Politik aktiv geworden bin ich ja erst, als die jüngste 4 oder 5 war - heute ist sie 23, die älteste 37.

Na ja, auch mit 4 oder 5 Jahren braucht ein Kind noch eine Menge Betreuung, Zeit, Zuwendung.

Natürlich. Deshalb habe ich ja auch das Einrahmungsatelier abgegeben, das ich vorher hatte - Galerie, Familie und Politik, das hätte ich dann doch nicht unter einen Hut bekommen.

Aber zwei Dinge, das hat geklappt?

Mithilfe meines Mannes ist das gelungen. Natürlich ging das auch nicht ohne Auseinandersetzungen ab, das gebe ich gern zu. Wichtig für uns in der Familie war ein Rahmen mit festen Zeiten. Sonntagabend um 19 Uhr gab es immer ein gemeinsames Abendessen, egal wo die Kinder vorher waren. Das war ein Ritus, genauso wie ein gemeinsames Frühstück - da haben wir nur ausnahmsweise akzeptiert, wenn einer nicht dabei war.

Haben sich Ihre Kinder nie beschwert, weil Sie oft weg waren?

Natürlich haben sie sich beschwert. Aber sie wussten immer: Wenns drauf ankommt, lasse ich alles stehen und liegen und bin für sie da. Übrigens habe ich gerade durch die Kinder gemerkt, wie viel Spaß mir Diskussionen machen: Was ich heute in der Politik habe, hatte ich ja täglich in der Familie - eine Tochter fing mal morgens um sieben an, mit mir über den Wehrdienst zu diskutieren. Da hab dann selbst ich gesagt: Jetzt lass uns erst mal in Ruhe frühstücken.

Stimmt es, dass Ihre Regel war: Nach dem Abi müssen die Kinder ausziehen?

Genauso wars - und jetzt sind sie alle wieder in Berlin. Richtig verschreckt haben wir sie also nicht. Aber natürlich liegt es mehr an der tollen Stadt, dass sie zurückgekommen sind.

Was war denn eigentlich Ihr Grund, in die Politik einzusteigen: Hatten Sie die Nase voll von Familie?

Nein, das waren meine Erfahrungen bei der Umschulung der Kinder, als wir 1992 von Bonn nach Berlin kamen. Da war ich so zornig über die Behinderungen, die wir hier erlebt haben, dass ich mich näher mit dem Schulsystem beschäftigt habe. Mein Eindruck war: alles sehr merkwürdig. Da hab ich mir gesagt: "Mieke, da wird sich jetzt engagiert."

Was hat Sie denn so geärgert?

Da könnte ich Romane erzählen.

Nur zu.

Meine Tochter wollte hier am Gymnasium Französisch als Leistungskurs nehmen - wir hatten drei Jahre in Paris gelebt, unsere beiden Großen waren zweisprachig. Da ruft mich der sehr nette Schulleiter an: "Wir haben ein Problem, Frau Senftleben." Ich sag: "Welches denn jetzt schon wieder?" Ergebnis: Meine Tochter bräuchte eine Sondergenehmigung, damit sie Leistungskurs Französisch nehmen kann - weil sie so viel besser ist.

Das ist doch die Idee eines Leistungskurses, die Besten in einem Fach zu sammeln.

Das dachte ich bis dahin auch. Tatsächlich musste extra ein Beschluss gefasst werden, dass Tochter Senftleben Französisch als Leistungskurs nehmen durfte. Sonst hätte sie den Grundkurs nehmen müssen oder Japanisch oder wer weiß was.

Dann ist ja klar, woher Ihr heutiges Engagement für Begabte und Leistungsstarke stammt.

Das war längst nicht alles. Die Kinder hatten in Bonn mit Latein angefangen und bekamen hier auf einem grundständigen Gymnasium dann Griechisch dazu. Nach einiger Zeit fanden die das nicht mehr witzig und wollten wechseln. Ich fand eine Schule, da hätten sie Englisch nacharbeiten müssen. Alles paletti - bis mich der Schulrat anrief und sagte: "Ich kann Ihren Kinder nicht zumuten, Englisch nachzuholen." Ich sagte: "Kennen Sie meine Kinder oder ich?" Dieses Bestimmen über das, was ich doch selber entscheiden möchte, das hat mich verrückt gemacht.

Wie sähe die Schullandschaft aus, wenn Sie und nicht Rot-Rot die Schulreform organisiert hätten, als deren Folge es nach den Ferien keine Haupt-, Real- und Gesamtschulen mehr gibt, sondern nur die neue Sekundarschule?

Ich bin eine große Verfechterin der Eigenverantwortung von Schule. Ich hätte weniger eine Reform von oben aufgesetzt, sondern geschaut, worum es im Kern geht: die wenigen verbliebenen Hauptschulen aufzulösen und in die Realschulen zu integrieren. Dann hätte ich die Schulen machen lassen, ihnen Zeit gegeben, eigene Konzepte zu entwickeln - inklusive einer Beratung von außen.

Das hört sich an, als seien Sie weitgehend einverstanden mit dem, was SPD-Schulsenator Jürgen Zöllner macht.

Es geht mir aber zu schnell, und es ist zu oktroyiert, von oben herab statt von unten gewachsen. Ein gutes Beispiel dafür ist auch das gemeinsame, jahrgangsübergreifende Lernen in den ersten Grundschulklassen. Prima Idee, wenn die Ausstattung stimmt - ich bin ja selbst Lehrerin mit Montessori-Ausbildung. Aber selbst bei bester Ausstattung passt diese Methode nicht für alle, nicht für jeden Schüler und für jeden Lehrer. Das kann man nicht so generell verordnen.

Wenn es Ihnen vor allem um das Tempo und nicht die Reform an sich geht, warum sind Sie nicht in der SPD und an der Seite von Zöllner? Er guckt Sie bei Podiumsdiskussionen manchmal so von der Seite an, dass man denkt, er würde lieber mit Ihnen zusammenarbeiten als mit der Linkspartei.

Ich weiß, ich habe ja auch von Zöllner ein großes Kompliment gekriegt bei einer der Debatten ums neue Schulgesetz: dass ich die Einzige sei, die die eigenverantwortliche Schule hochhält, und er auch wüsste, dass das der einzige Weg wäre, um zu besserer Qualität zu kommen.

Also rein in die SPD?

Das ginge gar nicht, das ginge überhaupt nicht. Ich versuche Bildungspolitik pragmatisch anzugehen, bei der SPD ist immer Ideologie dabei.

Ist das nicht frustrierend: Sie bekommen viel Anerkennung und können als Oppositionspolitikerin wenig erreichen?

Klar frustriert mich das manchmal. Aber es macht auch viel Spaß, wenn ich dann nachher doch recht kriege. Wie beim Thema Personalkostenbudgetierung: Den Schulen ein eigenes Budget zu geben, das ist eine reine FDP-Idee. Da wäre die SPD von alleine nie draufgekommen!

Aber Opposition als Dauerzustand…?

Nee, als Dauerzustand will ich das auch nicht. Daran arbeiten wir ja auch, dass sich das ändert.

Davon ist die FDP mit derzeit 3 Prozent weit entfernt. Wie im Bund ist die Partei auch in Berlin im freien Fall, trotz Ihrer Arbeit in der Bildungspolitik.

Das ist natürlich enttäuschend. Aber ich glaube, dass wir eine Chance haben, gerade mit dem Thema Bildung, etwas zu drehen. Ich bin da sehr zuversichtlich.

Damit stehen Sie aber außerhalb der FDP ziemlich allein.

Bildung ist eines der entscheidenden Themen für diese Stadt - und die FDP hat hier ein eigenes Profil. Gerade bei Schulleitern finden wir viel Zustimmung. Das finde ich sehr erfreulich.

Ein paar hundert Schulleiterstimmen helfen Ihnen bei den Wahlen 2011 aber nicht.

Nein. Aber das Thema Bildung wird ja bei allen Parteien Schwerpunktthema sein. Und dann müssen wir eben mal die verschiedenen Konzepte nebeneinanderstellen und den Leuten sagen: Guckt euch das an und entscheidet euch. Es ist ja nicht so, als hätte Rot-Rot jetzt eine Erfolgsbilanz vorzuweisen.

Sie wollten in den Bundestag - hat nicht geklappt. Sie wollten Fraktionsvize werden - hat auch nicht geklappt. Das waren doch genug Kränkungen, um wie Horst Köhler hinzuwerfen.

Möglicherweise. Ich weiß aber, dass es ganz viele Menschen da draußen gibt, die sagen: Die Senftleben hat gute Ideen. Deswegen mache ich weiter. Niederlagen frustrieren mich für eine gewisse Zeit, aber das baut mich wieder auf. Es hat nun mal nicht geklappt mit dem Bundestag. Jetzt den Kopf unter den Tisch stecken und gar nichts mehr tun, das will ich nicht. So war ich nie, so werde ich nie sein.

Sie sind ja neuerdings in der Fraktion auch noch für Sozialpolitik zuständig - man fragt sich immer ein bisschen, wie lang eigentlich Ihr Tag ist?

Das kann ich Ihnen sagen: Montags bis donnerstags gehe ich bei mir in Frohnau um acht Uhr aus dem Haus und bin abends vor halb elf, elf nicht wieder da. Ich versuche aber, mir die Freitage freizuhalten. Das gelingt nicht immer, denn es kommt ja auch ein bisschen Parteiarbeit hinzu.

Sie wollen sich das also, wenn die FDP wieder ins Parlament kommt, noch fünf Jahre antun?

Ja, auf jeden Fall.

Das passt eigentlich nicht zu Ihrem Lebenslauf, wo Sie so alle fünf, sechs Jahre Wechsel hatten: Lehrerin, Galeristin, Vollzeitmutter. Jetzt sind Sie schon neun Jahre im Parlament.

Ich habe tatsächlich eine ganze Menge gemacht, das meiste auch recht erfolgreich. Ich war sehr früh Fachleiterin, meine Galerie habe ich unheimlich gerne geführt, und Politik macht mir eben auch Spaß. Die Alternative wäre jetzt, zu Hause die Hände in den Schoß zu legen, und das will ich einfach noch nicht.

Sie könnten ja noch mal etwas ganz Neues anfangen.

Nee, dazu hätte ich jetzt keine Lust mehr. Ich bin 57, und jetzt noch mal völlig neu anzufangen, nein, den Elan hätte ich nicht mehr. Ich würde lieber Politik weitermachen.

Was ist denn Ihr Plan B, sollten Sie nicht wieder ins Abgeordnetenhaus kommen?

Ich würde mich sicher ehrenamtlich engagieren, auch im Bildungsbereich. Aber ich bin glücklicherweise finanziell unabhängig und muss mich nicht unter irgendeinen Stress setzen. Dann ist es mir lieber, dass mein Mann und ich uns einfach noch eine schöne Zeit machen.

Es geht bei Ihnen alles so ineinander über: Ihr politisches Engagement ist verbunden mit Ihren eigenen persönlichen Erfahrungen. Gibt es denn auch etwas, das so gar nichts mit all dem zu tun hat, ein Hobby, eine Leidenschaft?

Wir gehen gerne auf den Golfplatz. Einmal am Wochenende schaffen wir es auch meistens - mein Mann geht öfter, er ist schon pensioniert. Ob das nun Sport ist oder nicht: Auf dem Golfplatz zu sein ist für mich wie ein Tag Urlaub. Handy aus, abschalten, wunderbar.

Geht das nur auf dem Golfplatz? Können Sie sonst nicht mal loslassen?

Die Frage kommt oft. Ich glaube, wenn man in diesem Ding drin ist - ob das nun der Parlamentsalltag ist oder das Parteileben -, dann ist es sehr schwierig loszulassen. Man hört Nachrichten, Inforadio ist immer an, ich lese drei bis vier Zeitungen am Tag. Und insofern glaube ich schon, dass die Politik mich nie so richtig loslässt, auch wenn ich zu Hause sitze oder wenn ich im Garten buddele und dabei in Ruhe nachdenken kann.

Nur mal ruhig im Gartenstuhl in der Sonne zu hocken ginge nicht?

Nein, einfach mal gar nichts tun, das kann ich nicht. Dann versuche ich ein Buch zu lesen und stelle fest, dass da doch noch ein Sträußlein Unkraut ist, das ich ausrupfen könnte. Das ist nicht immer von Vorteil, aber ich kann halt nicht gegen meine Natur.

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