Ein hypertrophes Ich

SAMMLER Direkt neben den Kunst-Werken eröffnet der Wella-Erbe Thomas Olbricht seinen pompösen „ME Collectors Room Berlin“

Das in Kunst investierte Geld ist allemal gut investiertes Geld. Denn es kann nicht mehr in die Aktien von Ölmultis investiert werden, die Lobbyarbeit gegen Umweltschutzauflagen betreiben, um später folgerichtig den Golf von Mexiko mit einer Ölpest bislang unbekannten Ausmaßes zu überziehen. Es kann auch nicht mehr in Pharmaunternehmen investiert werden, die uns heute Contergan als letzte Innovation unter den Zytostatika andrehen, zum zighundertfachen Preis des Uraltmedikaments. Wem also an einem gesunden Gesundheitssystem liegt, für den kann gar nicht genug Kapital in Kunst angelegt werden.

Aus diesem Grund möchte man es besonders begrüßen, dass Thomas Olbricht, promovierter Chemiker, promovierter Arzt – als solcher auf Endokrinologie spezialisiert – und Wella-Erbe, sein Geld aus der Chemie in die Kunst transferiert. Sofern einem allerdings an der Kunst selbst und nicht an ihrem wohltätigen ökonomischen Kollateralschaden liegt, sieht das etwas anders aus. Der erste Eindruck jedenfalls, den man jetzt von Thomas Olbrichts Sammlung gewinnen kann, ist schockierend. Unversehens reitet einem da Michael Jackson hoch zu Ross entgegen: Kehinde Wiley hat sein „Equestrian Portrait of King Philip II“ von 2009 auf nicht weniger als dreieinhalb mal drei Metern in Öl erstehen lassen. Der Prachtschinken gehört, wie Jonas Burgerts auf altertümlich getrimmte „Schergen“ (2009) und weitere aktuelle Neuerwerbungen, zu den „Passion Fruits“, mit denen Olbricht und sein langjähriger Berater Wolfgang Schoppmann an diesem Wochenende die riesigen Räume des „ME Collectors Room Berlin“ in der Auguststraße eröffnen.

Nachdem man erst den ME-Collectors-Room-Shop und das ME-Collectors-Room-Café durchquert hat, um vor diesen Großformaten in der monumentalen Halle des Untergeschosses zu stehen, glaubt man eher ein Geschäftsmodell als einen privaten Ausstellungsraum zu erkennen. Denn müssten diese Räume nicht wunderbar für exquisite Bankette zu vermieten sein? Auch den passenden Titel der Geschäftsidee gibt es schon: ME eben, auf gut Deutsch, pardon Englisch „Moving Energies“.

In Hinblick auf die Kunst lässt sich das ME nur als ein hypertrophes ICH interpretieren, das in einem sechs Meter hohen, 3.330 Quadratmeter umfassenden Betonkasten haust, der den zierlichen Barockbau der direkt danebenliegenden Kunst-Werke mit brachialer Wucht zu erdrücken versucht, die tatsächlich eine dynamische Kraft im Berliner Kunstgeschehen darstellen.

Das irritiert und vergrätzt, nicht der extrem subjektive Charakter der Sammlung Olbricht. Nicht die grelle Kunstgeste, die der Sammler in den Werken der Künstler sucht – weswegen man nie auf die Idee käme, die bunten vulvazeigenden Weiblein im kleinen Bildformat („Ohne Titel“, 2009) stammten ausgerechnet von Andreas Slominski. Es irritiert der anmaßende Kunsthallen-Anspruch, den der „Me Collectors Room Berlin“ signalisiert. Er will eben nicht nur die private Wunderkammer sein, die ebenfalls Teil der aktuellen Ausstellung ist, mit barocken Elfenbeinschnitzereien, mit allen denkbaren mittelalterlichen Memento Mori plus der neuesten Goldschmiedekunst von Georg Hornemann („Astro Boy“, 406 schwarze Diamanten, 14.76 ct und 548 pinke Saphire, 16.07 ct und 42 grüne Tsavorite, 2.03 ct, Gelbgold 750/000). Trotzdem ist die Wunderkammer der charmanteste Teil im Rundgang – danach setzen wir uns an die Bar der Lounge im ersten Stock. Wenn schon nicht als Kunstraum, als Hangout könnte ME reüssieren. BRIGITTE WERNEBURG