Monströses Schlaraffenland für Vögel

WINTERKUNST Im Projektraum Ozean hat der britische Künstler David Edward Allen einen überdimensionalen Meisenknödel installiert. Jetzt hofft er darauf, dass die Vögel auf ihn fliegen und ihn zum Verschwinden bringen

Da hängt er, der Traum, vielleicht auch Alptraum eines jeden kleinen Meisenvogels

VON ALEM GRABOVAC

Da hängt er, der vielleicht größte Meisenknödel, der jemals in Berlin hergestellt wurde. Riesig, wuchtig, voluminös, zwei Meter im Umfang, mehrere Hundert Kilogramm schwer, der Traum, vielleicht aber auch Alptraum eines jeden kleinen Meisenvogels.

Der Winter in Berlin ist mal wieder hart und eisig. Schwere Zeiten für unsere kleinen Mitbewohner. Die Böden sind gefroren, kaum eine Chance, um an etwas Essbares zu gelangen. Doch der Künstler David Edward Allen hatte eine Idee: „Berlin ist ein verdammt kalter Ort. Als ich diesen großen offenen Ausstellungsraum sah, dachte ich sofort an einen riesigen Futterball für die Vögel.“

Jetzt hängt sein Meisenknödel für einen Monat im Projektraum Ozean – einer überdachten Garagenanlage auf dem Gelände des Atelierhofs Kreuzberg. Eine essbare Skulptur aus Fett und Körnern. Von einem Metzger hat Allen 200 kg Rinder- und Schweinefett gekauft, die er in den letzten paar Tagen aufgekocht und verknetet hat. „Der Gestank beim Arbeiten war nahezu unerträglich,“ sagt Allen mit fettverschmierten Klamotten. In die fettige Masse hat er 30 kg Vogelkörner mit hinein verarbeitet. Die Kugel musste mit einem Flaschenzug hoch gezogen werden. Und jetzt schwebt sie da wie ein einsamer Planet im Universum. Die Garage ist zur Seite hin offen. Tag und Nacht können die Vögel jetzt kommen, sich satt fressen und das Kunstwerk zum Verschwinden bringen.

Kein kleiner Meisenmann muss, wie in dem Lied von Helge Schneider, nunmehr traurig darüber sein, dass für ihn nichts mehr übrig bleibt. Der Knödel kann auch nicht von einer bösen schwarzen Krähe gestohlen werden. Aber werden sie auch kommen, all die Berliner Spatzen, Meisen und Rotkehlchen? Und was werden sie sich beim Anblick dieses gigantischen Wolkenkratzer-Knödels denken? Werden sie sich überfressen, den Knödel verschmähen und sich als Kunstbanausen outen oder gar glücklich frohlockend um ihn herumschwirren? Ach, wüsste man doch nur, was in so einem kleinen Spatzenhirn so alles vor sich geht.

David Allen hofft jedenfalls darauf, dass so viele Vögel wie nur möglich kommen und sein Kunstwerk mitgestalten. Der 1977 in England geborene Allen setzt sich in seinem gesamten Werk mit dem Verhältnis von Natur und Mensch auseinander. Er konstruiert einfache und abstruse Bedingungen, die offen für den Prozess einer Neukonfiguration sind. 2001 hat er die Unterwassergeräusche der Themse in London aufgenommen und sie live in eine Museumsausstellung übertragen. 2005 hat er Eier vom Einstein-Turm in Potsdam geworfen. Mit zwei Kameras hat er die Flugbahn und den Aufprall der Eier aufgezeichnet. Das „Eier-Video“ ist eine humorvolle Anspielung auf die Gravitation und Einsteins Relativitätstheorie. 2008 hat er auf einem Flugfeld in Brandenburg den Sound einer Dynamitexplosion aufgenommen und ihn später in einem klaustrophobisch engem Raum immer wieder abgespielt. Oftmals natürliche Phänomene wie Gravitation, den Verlauf einer Schallwelle oder Futternahrung nutzend, evozieren seine Arbeiten durch Wiederholung, Dekontextualisierung oder Veränderung der Größenverhältnisse eine Perspektivverschiebung. Absurde Momentaufnahmen des Lebens, die den Übergang zwischen Ordnung und Chaos symbolisieren und ihre Form durch Einflüsse aus der Umwelt verändern.

Jetzt also ein überdimensionierter Futterknödel, der von den Berliner Stadtvögeln ummodelliert werden soll. Die Erfindung der Natur in der Stadt, die Nahrung als Kunstwerk, ein exorbitanter Knödel als modernes Schlaraffenland und die hungrigen Vöglein als Künstler. Die süßen kleinen Vögel essen Rind und Schwein. Aber sie können ja nichts dafür. Es ist eine fette Kunst. Beuys lässt grüßen. (Und Wolfgang Müller, der Berliner Spezialist für Meisenknödel – die Red.) Und jetzt fällt mir doch noch ein, was die Vögel beim Anblick des gigantischen Futterballes denken werden. „Kick mal eener an,“ werden sie sagen. „Uff so ne bekloppte Idee kann ja nur so nen degenerierter Engländer kommen. En Berliner hätt sich da was Praktischeres einfallen lassen. Machen se ja och, mit ihren kleenen Knödeln. Nee, so nen riesiger Knödel, der passt vielleicht in so ne Weltstadt wie London. Wir Berliner backen da lieber kleenere Knödel. Ja, so nen richtig schöner kleener Meisenknödel an nem Berliner Balkon im achten Stock in so nemem tollen Plattenbau mit lauter Balkonen und Knödeln iss doch immer noch det schönste uff der janzen Welt!“

■ David Allens Installation „Fatballs“ kann man täglich im Projektraum Ozean in der Schleiermacherstr. 31 besuchen. Eintritt frei bei Tag und Nacht. Bis 6. Februar