MANTRAS FÜR EISERN UNION
: Eingebung

„Sanskrit“, antwortet die Frau. – „Sans-wat?“, fragt er

Ich sitze in der S3 Richtung Erkner. Die Frau auf dem Platz gegenüber schaut mich an, seit wir am Ostkreuz in die Bahn gestiegen sind. Sie trägt einen Kittel aus roter Baumwolle, auf ihrer Stirn klebt ein Halbmond. Ich schaue zurück, und wir spielen, wer zuerst wegguckt. Zwei Stationen halten wir durch, dann sagt die Frau plötzlich: „Du siehst aus, als hättest du ’ne ganzheitliche Weltanschauung.“ „Wie bitte?“, frage ich. „So als wärst du eins mit dir und dem Kosmos.“

Sie drückt mir einen Flyer in die Hand, auf dem orientalische Kringel stehen und darunter: Mantra- und Gesangsworkshop Om Namah Shivaya. „Lust?“, fragt die Frau. „Leider keine Zeit“, sage ich. „Merkwürdig“, sagt sie. „Ich hatte diese Eingebung …“

Mittlerweile sind wir an der Wuhlheide angekommen. Drei Männer steigen ein, sie sind in Rot-Weiß uniformiert. Der linke von ihnen scheint der Anführer zu sein, er dirigiert die anderen beiden mit einer Flasche Sterni. Sie singen: „Eisern Union, immer wieder Eisern Union.“

„Frag doch die mal“, sage ich zu der Frau. „Die singen jedenfalls auch!“ Der Mann mit dem Sterni kommt auf uns zu. „Ooch Union-Fans?“, fragt er und zeigt auf den roten Kittel der Frau. „Fan oder nicht Fan“, sagt sie und gibt ihm einen Flyer. Der Mann setzt sich. „Wat is dit denn?“, fragt er. „Sanskrit“, antwortet die Frau. „Sans-wat?“

Jetzt gesellt sich auch der Rest des Knabenchors zu uns. „Jibts Probleme?“, fragt der eine. „Om Namah Shivaya“, sage ich schnell, „das ist so was wie die Union-Hymne, bloß auf Hindi.“ „Selber behindi“, sagt der andere. In Köpenick steigen sie aus.

Die Frau und ich fahren weiter bis Friedrichshagen. Sie trommelt mit den Fingern gegen die Scheibe und summt vor sich hin. „Vielleicht treffe ich ja noch wen in der Straßenbahn“, sagt sie und: „Ist halt so ’ne Sache mit den Eingebungen, nicht wahr?“ „Ja“, sage ich, „das ist immer so ’ne Sache.“

JANA HEINICKE