THEATER

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Der Herbst ist da, es wird kühler, und wenn man jetzt noch von weißen Stränden oder blauem Himmel träumt, könnten es schon Strände in der Karibik sein. Wie man dahin kommt? Mit der U-Bahn zum Beispiel, U-Bahnhof Kottbusser Tor. Dort befindet sich im 1. Stock des berüchtigten Betonkomplexes Neues Zentrum Kreuzberg in einer ehemaligen Arztpraxis die „Vierte Welt“, eine kleine aber feine Spielstätte, die 2010 vom Theatermacher Dirk Cieslak und seiner Kompanie „Lubricat“ gegründet wurde. Zum Spielzeitauftakt geht es um die Karibik, jene mittelamerikanische Region, die nicht nur Inseln mit traumhaften Stränden, sondern auch eine schlimme koloniale Geschichte hat, seit sie im 15. Jahrhundert von den Spaniern „entdeckt“ wurde. Dieses Wort an sich ist ja schon ein Alarmsignal: Was soll das überhaupt heißen, „entdeckt“? Die Menschen, die dort lebten, mussten die Karibik nicht entdecken. Sie lebten ja dort. Das Wort „entdecken“ markiert also den Beginn eines kolonialistischen Ausbeutungszusammenhangs. Diesen Zusammenhang verhandeln die unterschiedlichen „performativen Blickwechsel“ aus Film, Diskurs und Theater, mit denen die Vierte Welt in die neue Spielzeit startet: „Er(d)eben: Fortschritt Karibik“ (Vierte Welt, 18.–20. 9., jeweils um 20 Uhr, Alle Infos unter: www.viertewelt.de).

Doch vielleicht möchten Wärmesuchende auch lieber Zuflucht in der „Liebeslaube“ suchen, die Aktionskünstler Gregor Schneider am 15. September in einem Teil des Ranges der Volksbühne eröffnet hat. Noch bis zum 23. November können mitten im normalen Theaterspielbetrieb Liebes- und Wärmesuchende (oder Neugierige und Interessierte) diesen Sonderbereich mit Bett, Wanne und Schrank benutzen. Einlass zur „Liebeslaube“ ist immer eine Stunde vor dem Beginn der jeweiligen Vorstellung. Und natürlich werden immer nur zwei Personen gleichzeitig hineingelassen! (Volksbühne: „Liebeslaube“ – 15. 9.–22. 11., www.volksbuehne-berlin.de).

Alle Bemühungen, der Kälte der Welt zu entkommen, werden uns natürlich immer nur mit größerer Härte auf diese Kälte stoßen. Deshalb lieber gleich in den Theaterdiscounter gehen, wo am 20. 9. das Projekt „Untergrund“ der Gruppe „real*theater*kollektiv“ über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) Premiere hat. Anhand von Medienmaterial soll ein theatralischer Bericht zur Lage der Nation entstehen. Damit wollen die MacherInnen ein „Kontinuum der Normalität“ freilegen, das die TerroristInnen mit der sozialen Wirklichkeit verband, in der sie untergetaucht waren – einen kollektiven Untergrund des deutschen Bewusstseins (Theaterdiscounter: „Untergrund“, Premiere 20. 9., 20 Uhr).