Kolumne Ball und die Welt: Die Fußballrevolution

Wichtige Kompetenzen bei der ägyptischen Revolution: Steinewerfen und Autoanzünden. Sowas lernt man als Fußballultra. Und die waren in Ägypten so richtig mit dabei.

Die "Ultras Ahlawy" haben sich 2007 gegründet. Bild: public domain

Alaa Abd El-Fatah ist ein prominenter ägyptischer Blogger. Befragt vom Fernsehsender al-Dschasira, wie sich die Demokratiebewegung denn zusammensetze, sagte er: "Die Ultras haben eine bedeutendere Rolle gespielt als jede andere politische Gruppe." Tagelang verteidigten die Fans des Kairoer Fußballclubs al-Ahly den Tahrir-Platz gegen Polizei und Geheimpolizei. Der amerikanische Journalist James M. Dorsey schreibt: "Die Erfahrung der Ultras zeigt sich auch darin, wie sie soziale Dienste für die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz bereitstellten."

Die meisten jungen Männer nutzten, sagen wir: Kompetenzen, die sie sich als Fußballfans erworben hatten. Dass sie Spezialisten im Steinewerfen, im Autoumwerfen und -anzünden und in der Verteilung von Projektilen waren, ist dem Journalist Davy Lane aufgefallen. In einem Blog ist zu lesen, dass Ultras auch geholfen haben, Plünderungen des Ägyptischen Museums zu verhindern. Warum Fußball, warum Fans? "Du änderst in Ägypten nichts, wenn du über Politik redest", sagt ein Anhänger. Ein anderer Al-Ahly-Ultra meint: "Da es keine politischen Auseinandersetzungen mehr gab, hat sich das alles auf den Fußballplatz verlagert."

Die "Ultras Ahlawy" haben sich 2007 gegründet. Auf ihrer Facebook-Seite (hier verlinkt: die englischsprachige) betonen sie, "dass die Mitglieder frei in ihren politischen Anschauungen sind". Aber um ein Ultra in Ägypten zu sein, muss man in der Opposition sein. Und säkular. Denn Fußball lässt sich nur in kurzen Hosen spielen. James Dorsay schreibt: "Dass organisierte Fußballfans bei den Antiregierungsprotesten in Ägypten dabei sind, ist der schlimmste Albtraum jeder arabischen Regierung."

Al-Ahly, der mit Abstand der beliebteste Fußballclub Ägyptens, wurde 1907 gegründet. Schon das war ein Schritt gegen die damalige britische Kolonialherrschaft. Größter Konkurrent ist Zamalek, der Club gilt als bürgerlich und dazu als regimetreu. Und auch wenn nicht nur Al-Ahly-, sondern auch einige Zamalek-Spieler an den Protesten beteiligt waren, so hat sich die Differenz zwischen den Vereinen auch in der Revolution gezeigt.

Banner "We are Egypt". Bild: archiv

Kaum dass die Proteste gegen das Regime von Präsident Husni Mubarak begannen, setzte der ägyptische Fußballverband (EFA) den Ligabetrieb aus. Sogar das Training wurde untersagt. EFA-Präsident Samir Zaher begründete das damit, dass der Weltfußballverband (Fifa) Auflagen für die Sicherheit von Spielern und Fans gemacht hat. Der bekannteste Angestellte der EFA, Nationaltrainer Hassan Shehata, hatte sich in den letzten Wochen klar als Anhänger von Husni Mubarak zu erkennen gegeben.

EFA-Präsident Zaher klagt nun über ganz besondere Kosten der Revolution: "Die Ägyptische Liga auszusetzen kostet uns eine Menge Geld." Also schlug die EFA vor, Ligaspiele vor leeren Rängen auszutragen. Diese Idee – Fußball nicht für Fans, sondern zur bloßen Erfüllung von Fernseh- und Sponsorenverträgen – fand Unterstützung bei der Fifa und auch bei Zamalek, nicht aber bei al-Ahly.

Ausgegrenzt zu sein gehört zu den Grunderfahrungen ägyptischer Fußballfans: Zu hohe Eintrittspreise und Drangsalierung durch die Polizei waren wichtige Gründe für den Frust vieler Ägypter. Doch im Stadion gab es immer, mehr als an anderen Orten des Landes, die Möglichkeit, seinen Unmut zu zeigen. Dass das nicht nur für Ägypten gilt, zeigt der Beschluss von Algerien und Libyen, den Ligabetrieb einzustellen. Die Herrschenden haben Angst vor dem rebellischen Potenzial, das sich dort sammelt. Der amerikanische Sportjournalist Dave Zirin schreibt, dass wir bei der Revolution wieder mal Zeuge der "bemerkenswerten Fähigkeit des Sports, Menschen zusammenzubringen", wurden.

Etwas knapper haben es die Ultras von al-Ahwy auf einem Plakat im Januar beim letzten Derby gegen Zamalek formuliert. In englischer Sprache stand da: "We Are Egypt." Das Derby endete übrigens, gemäß der damaligen vorrevolutionären Situation, torlos. Mittlerweile dürfte al-Ahwy in Führung sein.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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