Kolumne Das Schlagloch: Last Exit Gartenparadies

Der Kleingärtner kultiviert in seinem Garten ein mörderisches Zeichensystem.

Wenn man es, ein bisschen wenigstens, "geschafft" hat, wenn man noch nicht abgestiegen, abgeschoben, abgestorben ist, dann hat man einen Garten. Der Garten, mag er noch so klein sein, ist der Schutzraum, der das Innere vom Äußeren, die Familie (der nicht zu trauen ist) von der Gesellschaft (der noch weniger zu trauen ist) trennt und beides semantisch miteinander verbindet. Im Garten soll sich erfüllen, was uns versprochen war (und was noch keiner erreicht hat): ein reiches und erfülltes Leben, Harmonie, die Verständigung von Kultur und Natur. Kurzum: Im Garten soll geglückt sein, was ansonsten schiefgelaufen ist, politisch und sexuell.

Dieser Garten darf natürlich keine Wildnis sein, sich aber auch nicht in der Produktion von Nahrung erschöpfen. Der Kleinbürger will kein Kleingärtner sein. Im Gartencenter lernt man groß denken auf kleinstem Raum. Man stellt sich im Garten die Welt vor, und man stellt sich der Welt durch seinen Garten vor. So zeugt, neben dem kleinen Reichtum und der Sorgfalt, der Arbeit und der kleinen Schönheit, der Garten davon, wie jemand das Leben im Griff hat. Er ist Abbild der Kontrolle und Selbstkontrolle. Der Blick über den Gartenzaun ist einer in den Spiegel. Diese Weltordnung gedeiht nur in Serie. Man trifft sich im Gartencenter.

Wenn man sich hier umsieht, wird diese Ordnung erstens erzeugt durch eine Gliederung des Gartens durch Absperrungen, Begrenzungen, Beton. In einem Gartencenter gibt es beinahe so viel Steine wie Pflanzen zu kaufen. Zweitens durch Pflanzen, die das Ordentliche schon in sich haben, kerzengrade, vorsortiert und winterhart. Und drittens benötigt die schöne Gartenwelt sehr, sehr viele, nennen wir es einmal: Sachen.

Man muss den Garten mit Objekten verschönern. Je kleiner der Garten, desto mehr muss er dabei offensichtlich aushalten. Nutzpflanzen und Zierpflanzen, Organisches und Kristallines, Gewachsenes und Gebautes, Wege und Rasen, all das sind Herausforderungen für einen kleinen Weltenschöpfer. Für den Schöpfer der symbolischen Kleinbürgerwelt zwischen Hausgefängnis und Karrierekampf.

Je kleiner der Garten, desto größer der Widerspruch zwischen Sinn- und Zeichensystem: gekieste Wege, die nirgendwo hinführen (dies aber in schöner Windung machen), Brunnen, in deren Innerem Wasser unentwegt im Kreis gepumpt wird, Einfassungen, geriffelte Pflanzhilfen, Rosentorbögen, Jägerzäune - das alles erinnert noch an Dinge, die einst, als Gärten noch Lebenssysteme waren, einen Sinn hatten: Ordnung in die Natur bringen. Im Kleinbürgergarten ist so viel Ordnung, dass für Natur gar kein Platz mehr ist.

Der Gartenzwerg von einst (mutiges Bekenntnis zur Kleinheit der eigenen Träume und daher trotzig klassenstolz) hat sich in endlose Zeichenketten aufgelöst: tönerne Buddhastatuen, wasserspeiende Frösche, Portallöwen aus Waschbeton. Am Ende ist der kleine Garten so voller Sachen, dass für Menschen und Pflanzen kaum noch Platz bleibt. Die Pflanze muss daher auf eine der Schrumpfnatur des Kleinbürgergartens angemessene Größe heruntergezüchtet werden.

Nicht nur unser Garten, die Natur selbst soll "kompakt" sein. Vielfalt auf engstem Raum, "all-in-one", von allem etwas, wie im Fernsehen: Es ist ein semiotisches System, das wachsen muss und absehbar zusammenbrechen wird. Um sich der Welt und die Welt sich vorzustellen, muss der Garten mit immer mehr Dingen, mit immer mehr Ordnungen, mit immer mehr Zeichen bedeckt werden, deren Bedeutungsverfall nur als rapide zu bezeichnen ist. Die Arbeit im Garten führt zu nichts als zu einem ästhetischen Objektsystem, das den Arbeitenden selber ausschließt.

Für den Mann darf natürlich schweres Gerät nicht fehlen. Ein Rasenmäher, zum Beispiel, wird erst dann als angemessen angesehen, wenn er nicht unter einem Zehntel der zu mähenden Fläche ausmacht. Spezialisierung allüberall bis zum elektrisch verstärkten Rosenstrauchzwicker. Einen Gartenschlauch kann man nicht ohne einen formschönen Gartenschlauchumleiter (Froschmotiv, schon wieder) umleiten. Es gibt stets das Areal, in dem Gartencenter und Baumarkt ineinander übergehen (und andere, in denen das Möbelhaus angrenzt).

Wenn auch der Grill seinen Platz gefunden hat, geht es darum, die geschaffene Welt vor der Haustür mit einem weiteren Zentrum zu besetzen: das "andere Haus". Man mag dabei mit einem hölzernen oder metallenen Gerätehäuschen beginnen, gefolgt von einem "Partyzelt", aber früher oder später sollte es ein kleines Häuschen mit Veranda und Fensterchen sein. Dieses Holzhäuschen ist das Pendant einer Jagd- oder Almhütte. Ein Nonplusultra von in Besitz genommener Einfachheit und Gemütlichkeit.

Der Kleinbürgergarten ist ein sich selbst auffressendes System, das perfekte Abbild des späten Kapitalismus. Hat man alle Vorgaben der entsprechenden Gartenkultur erfüllt, Geld und Arbeit bis an den Rand der eigenen Fähigkeiten und in stetem Konkurrenzkampf mit anderen investiert, so hat man sein kleines Stückchen Land zwischen unerträglichem Innen und unerträglichem Außen in ein sowohl von der Natur als auch von der Kultur her unbewohnbares Areal verwandelt.

Nicht nur, dass man sich vor lauter Dingen und Ordnungen nicht mehr bewegen kann, das ganze System bricht auch semiotisch zusammen: ein Glücksversprechen aus lauter Dingen, die ihr Unglück herausschreien. Daher kann der Kleinbürgergarten nur als Labyrinth überleben. Ansonsten muss er ständig aus seinen Ruinen wiedererrichtet werden. Und dann ist aus der großen Welterzählung Garten, die schon immer Aspekte der Tragödie und des Satyrspiels hatte, endgültig die Soap Opera der Krisenzyklen geworden.

Am Rand des "Außenbereichs" meines Gartencenters wachsen ein paar Brennnesseln durch den Maschendrahtzaun. Wie kriegt man so was weg?, fragt einer die Fachkraft in der grünen Schürze. Niemand lacht.

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