Kolumne Einen Versuch Legen: Leiser schreien!

Wie schwer es ist, im fußballverrückten Brasilien seinen Fanatismus als Anhänger des VfB Stuttgart auszuleben.

Die Programmplanung des Sportkanals ESPN Brasil beeinflusste in den letzten fünf Jahren meines Lebens in Brasilien oft das Stimmungsbarometer am Wochenende. Zum Glück entwickelte ich hier schnell Fanatismus für den Clube Atlético Mineiro, sonst hätte es mich wohl früher mal wieder nach Deutschland gezogen. Denn: Die Bundesliga ist, verglichen mit anderen europäischen Ligen, total unterrepräsentiert im Lande Pelés.

Ein Spiel pro Woche wird auf eben genau diesem verschlüsselten Kanal ESPN Brasil aus Deutschland übertragen - ganz selten auch mal zwei. Wir haben in meiner heimischen Favela dank Anzapfens beim Nachbarn alle Kabelfernsehen, doch ESPN Brasil ist so exklusiv, das kriegt man nicht mal bei unserer duften Programmauswahl. Nur in ganz speziellen Sportbars an der Copacabana oder in besseren Restaurants. Von den beiden verschlüsselten ESPN-Kanälen ist der mit der Bundesliga der rarste. So bin ich seit meinem Umzug aus Minas Gerais nach Rio de Janeiro hier schon lange bekannt als Bundesliga- und vor allem VFB-Fanatiker, der so lange in diesen speziellen Bars quengelt, bis sich die Chefs erbarmen und im Sommer um 12.30 Uhr bei brütender Sonne oder im milden Winter bei 25 Grad um 10.30 Bundesliga anbieten.

Oft bin ich in den letzten Jahren gekränkt worden mit einer haarsträubenden Auswahl der Partien. Immer nach dem Motto: Es muss Bayern sein oder der jeweilige Tabellenführer. Sie weichen niemals auf ein attraktives Verfolgerduell aus. So musste ich im Sindicato do Chopp an der Copa im Sommer 2007 ein gewürgtes 1:0 von Schalke 04 über den HSV - glaube ich zumindest - erdulden. Schalke war eben zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer. Vom sensationellen 4:1 des VfB über Werder Bremen an diesem Tage wurde dagegen nur der jeweils neueste Spielstand eingeblendet. So blieb es meinen wilden Fantasien vorenthalten, mir die Stimmung im Gottlieb-Daimler-Stadion vorzustellen. Manchmal zeigt der Sender Bandeirantes am Montagmorgen wenigstens die Tore des Spieltags. Doch da schläft ein Funk-MC in Brasilien leider noch.

Als der VfB die Meisterschaft gewann, bat uns der brasilianische Wirt während der Übertragung von VfB Stuttgart - Energie Cottbus, etwas leiser zu schreien. Ein brasilianischer Wirt bat Deutsche, weniger Krach zu machen. Hmm. Ein paar Promotor vom Rathaus fotografierten uns und waren zufrieden, weil sie genau solche euphorischen und ausgelassenen Gringos für Ihre Rio-Image-Dokumentation bislang vergeblich gesucht hatten. Wir ließen sie erst fotografieren, nachdem wir sie gezwungen hatten, den Wirt mit "VfB, VfB!" anzubrüllen!

Was haben die deutschen Vermarkter nur alles verbockt, dass Deutschland so schwach vertreten ist in einem so fussballverrückten Land! Ich würde es einfach gern sehen, wenn meine brasilianichen Funkkumpels mehr gefälschte Deutschlandshirts tragen würden als ewig nur Arsenal, Chelsea, Manchester United, Real Madrid, FC Barcelona, Inter Mailand und AC Mailand. Selten sieht man mal ein Shirt von Schalke 04 (gesprochen übrigens "Schauke säru quaatru"), Bayern München, ("Bayan tschi Muniki") oder Borussia Dortmund ("Borussa Dortschimundschi").

Der Übertragungsstyle von ESPN Brasil trägt leider nicht unbedingt zu einer Imageverbesserung der BuLi in Brasilien bei. Der Gaucho Gerd Wenzel (Gaucho = Bewohner des Bundesstaats Rio Grande do Sul, in dem etliche deutschstämmige Brasilianer leben) kann als altbacken bezeichnet werden. Er erinnert mich von Stimme, Gestik und Optik her an Loriot in einem Sketch. Dafür mag ich ihn. Mit einem Wischer als Komoderator, der auch ein paar Fetzen einwerfen darf, berichtet er von einem schrecklich hässlichen Studio aus. Ich versuche, ihn zu mögen, schließlich bringt er mir die einzigen Bilder der Woche aus meinem Heimatland. Mit Sicherheit gut wäre ein jüngeres Programmformat für ein so junges Land wie Brasilien. Und, bitte, auch mal Zusammenfassungen von allen Spielen! Englischer, italienischer und vor allem spanischer Fußball kommt zur Genüge bei uns auf den freien Kanälen Rede TV und Bandeirantes. Während Ronaldinho, Kaka und Robinho in aller Munde sind, werden Superauftritte von Diego oder Marcelinho nicht wahrgenommen. Bilanz: Deutschland ist den Brasilianern fussballerisch gesehen fremder als England, Italien, Spanien und sogar Portugal. Und so sind auch wir den Brasilianiern ein Stück weit fremder als andere europäische Völker.

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