Kolumne Landmänner: Nazis kann man einfach abknibbeln

Unser brandenburgisches Ackerbürgerstädtchen ist klein. Daher wird hier um jeden Quadratzentimeter gekämpft. Die lokale Lichterkettenstrategie: NPD-Aufkleber abknibbeln.

Die Nazis sind schon wieder da. Die letzten hatte das LKA Brandenburg weggeräumt, nachdem sie ein Haus zwei Straßen weiter in Beschlag genommen hatten. Bei unseren neuen Nazis handelt es sich jedoch vom Alter her um Debütanten, weder sind sie trocken hinter den Ohren noch haben sie die Mittel, sich ein eigenes Haus anzueignen. So versuchen sie es nun mit dem öffentlichen Raum.

Als Erstes verschwand das Plexiglasschild, das an der Außenmauer des ehemaligen Kleinstadtkinos angebracht war: "Hier sprach einst der Arbeiterführer Karl Liebknecht zu den Bürgern von Ackerbürgerstadt". Schade um dieses Kleinod, das den Niedergang des öffentlichen Lebens in dieser Stadt ohne Kino, Arbeitsplätze und Zukunft beschilderte.

Die Jungnazis huben nun an, ihrerseits Botschaften anzubringen, nämlich in Form von allerlei NPD-Aufklebern an Regenrinnen, Rollläden, Laternenpfählen, Tisch und Wänden. "Können die ihre Message nicht einfach ins Internet kotzen wie alle anderen auch?", fragte ich meinen Mann genervt, während ich die Leiter festhielt, auf die er geklettert war, um den Fenstersturz zu reparieren, "und wer ist bitte auf die Idee gekommen, sich Plastestörche auf den Dachsims zu stellen, drehen die jetzt hier total durch?"

Unsere kleine Stadt ist mir manchmal unheimlich, aber ich ihr womöglich auch - dachte ich in dem Moment, als einer der beiden Störche auf dem Sims einfach wegflog. Unsere Nachbarin kam dazu, um die Leiter zusätzlich zu beschweren. Sie erläuterte mir die lokale Lichterkettenstrategie: Abknibbeln. Die Bürgerschaft ist rund um die Uhr damit beschäftigt, die Aufkleber der Jungmänner wieder zu entfernen, was manchmal fummelig ist.

Um die Ecke schwankte nun ein alkoholisierter älterer Ackerbürger; Hartz IV. Er hielt sich an der Leiter fest, auf der noch immer mein Mann stand, um zu hämmern. "Die Scheißschwulen da von der Regierung in Berlin", lallte er, "die machen uns alle fertig." Ich sagte erst mal nichts, weil ich nach dem Erlebnis mit den Störchen dachte, dass ich mir diesen Satz bestimmt bloß einbilde. Der betrunkene Bürger flog dann auch einfach weiter. "Hat der das wirklich gesagt?", fragte mein Mann vom oberen Ende der Leiter. "Hat er", sagte die Nachbarin.

Später gingen wir noch ums Karree, um unseren Beitrag zur politischen Hygiene zu leisten. Der Mond schien helle und die Straße war erfüllt von Mozart. Ich knibbelte einen Aufkleber von einem Stromkasten und erblickte am Fenster jenes Hauses, aus dem die Musik erklang, ein von innen angeklebtes Poster mit einem halbnackten Modelmann darauf, der auf diese Weise direkt in unseren Garten blickte. Der Störche wegen sagte ich erst mal gar nichts dazu.

"Hat Siegfried uns zuliebe hingehängt, er sagt, wir sollen auch mal was Schönes zum Anschauen haben", erklärte mein Mann, der nun einfach in das Haus ging. Siegfrieds Türen stehen immer offen, bei ihm gibt es nichts zu stehlen, und den Verstand hat er auch verloren. Er deckte Siegfried zu, der völlig betrunken auf seiner Couch lag, und breitete per On-/Off-Taste einen Mantel der Stille auf die Stadt. "Siegfried hatte heute Geburtstag, und wir waren eingeladen. Verdammt", sagte mein Mann. Vor lauter Abknibbeln hatten wir nicht ernst genommen, dass uns ein ganzes Fenster im öffentlichen Raum geschenkt war, hundertmal so groß wie ein Nazi-Aufkleber.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.