Deutsch-türkischer Freudentaumel: 1:0 für die Integration

Das Verhältnis zwischen deutscher Mehrheit und türkischstämmigen Einwanderern ist weitaus besser als sein Ruf.

Es war dann doch ein historisches Spiel. Zwar wirkte der Völkerfreundschaftskitsch, der im Vorfeld der Halbfinalbegegnung zwischen Deutschland und der Türkei beschworen wurde, zuweilen etwas dick aufgetragen. Doch er hat gewirkt: Nachdem das türkische Team gegen die deutsche Mannschaft aus der Fußball-EM ausgeschieden war, lagen sich Deutsche und Türken fast bundesweit in den Armen, und auf den meisten Public-Viewing-Plätzen deutscher Großstädte wie in deren Einwanderervierteln herrschte eine Stimmung wie bei einem "Karneval der Kulturen".

Die einzigen hässlichen Zwischenfälle wurden aus Sachsen gemeldet, wo es zwar so gut wie keinen türkischstämmigen Einwanderer, aber eine aktive rechtsextreme Szene gibt.

Normalerweise sind gute Nachrichten ja keine Nachrichten. Angesichts der Befürchtungen, die vor dem Spiel geäußert wurden, und den vielen Appellen an die Fans, doch bitte friedfertig zu bleiben, liegen die Dinge aber ein wenig anders. Es hat sich gezeigt, dass das Verhältnis zwischen deutscher Mehrheit und türkischstämmigen Einwanderern, wenn es darauf ankommt, oft besser ist als sein Ruf. Und dass ein sportliches und kommerzielles Großereignis wie die Fußball-EM eine symbolische Kraft haben kann, die sich durch zehn offizielle "Integrationsgipfel" nicht aufwiegen lässt.

Gewiss haben deutsche wie türkische Medien im Vorfeld viel dazu beigetragen, das Spiel zu einer Art Freundschaftsfest umzudeuten. Umgekehrt heißt das aber auch, dass sie oft genug mehr tun könnten, um bestehende Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht noch zusätzlich anzuheizen. Gerade konservative Medien, die ja "Multikulti" für Teufelszeug halten, neigen gelegentlich zur Apokalyptik. Gerne erwecken sie den Eindruck, ein Funke würde schon genügen, dann hätte man es auch hierzulande mit wochenlangen Krawallen wie einst in französischen Vorstädten zu tun.

Doch wer selbst türkische Fahnen bei einem Fußballturnier als "Menetekel" empfindet, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung dieser Tage schrieb, (während sie an italienischen Fahnen in deutschen Pizzerien bislang keinen Anstoß nimmt), der legt nur seine eigenen Neurosen offen.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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