Kommentar Schwarz-Gelb: Die lauernde Kanzlerin

Merkel ist seit fünf Jahren an der Macht, weil sie ihre relative Machtlosigkeit akzeptiert. Sie führt, wohin die Mehrheiten drängen. Sie regiert, indem sie lauert.

Eine Bundeskanzlerin kann sich vor Ratschlägen kaum retten. Auch diesmal wussten viele Kommentatoren genau, was Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung ansprechen sollte. Sie sollte sich zur Gesundheitsreform positionieren, ihre Meinung zu AKW-Laufzeiten kundtun, sich zu Westerwelle äußern - und natürlich erklären, wie Deutschland jemals seine Schulden loswerden soll.

Wenig erstaunlich: Merkel hat diese Ratschläge nicht beherzigt. Sie hat sich durch ihre Rede geschwiegen. Sie hat zwar viele Themen berührt, blieb aber unverbindlich. Das kann man enttäuschend finden, es dürfte aber für Merkel die beste Strategie sein. Sie blieb ihrer Taktik treu, einfach abzuwarten, bis sich die Konflikte von selbst erledigen.

Man könnte auch sagen: bis sich ihre Kontrahenten selbst erledigen. Warum, zum Beispiel, sollte sie Gesundheitsminister Rösler bloßstellen, wenn doch sowieso klar ist, dass seine Kopfpauschale niemals kommt? Die Bevölkerung will sie nicht, und zu finanzieren ist sie auch nicht. Irgendwann wird Rösler dies selbst einsehen müssen. Merkel kann nichts dabei gewinnen, wenn sie vom Rednerpult aus chaotischen Koalitionspartnern Nachhilfeunterricht erteilt.

Stattdessen kann sie nur davon profitieren, wenn FDP und CSU rund um die Kopfpauschale in einen Dauerstreit treten. Die beiden kleinen Parteien wollen sich dringend profilieren, sind also pathologisch streitsüchtig. Da ist es doch am besten, sie beharken sich gegenseitig und lassen die CDU samt Kanzlerin weitgehend in Ruhe.

Von Anfang an ist sich Merkel treu. Sie regiert, indem sie lauert. Sie handelt nicht, sie vermeidet. Sie macht kaum Fehler, also kann sie auf die Fehler der anderen warten. Es wäre ein Missverständnis, diesen Regierungsstil als "präsidial" zu bezeichnen. Denn Merkel schwebt nicht über den Konflikten - sie nutzt sie aus. Das ist nicht nur Kalkül: Sie hätte auch gar nicht die Macht, die Konflikte per Machtwort zu beenden. Sowohl FDP wie CSU wollen die Konfrontation.

Die Kanzlerin ist seit fünf Jahren an der Macht, weil sie ihre relative Machtlosigkeit akzeptiert. Sie führt, wohin die Mehrheiten drängen - in ihrer Partei, in der Koalition und an den Urnen. Das nächste Signal, das sie sehr ernst nehmen wird, sind die Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Das gibt den Wählern dort sehr viel Macht, auch über die Bundespolitik. Das sollten die Bürger dort nutzen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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