Kommentar SPD-Parteitag: Gemütlich in den Abgrund

Bei der SPD müsste nach dem Wahldebakel eigentlich ein scharfer Grundsatzstreit ausgetragen werden. Doch in der Partei passiert nichts.

Sechs Millionen Stimmen hat die SPD bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2005 verloren. In 60 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte hat keine Partei ein solches Desaster erlebt. Und niemand kann heute sagen, ob die Sozialdemokraten damit schon auf dem Tiefpunkt angekommen sind oder ob der Verfall erst richtig beginnt.

Was nach einer solchen Katastrophe ansteht, ist, zumindest bei lebendigen Organistionen, sehr einfach. Gerade bei einer Programmpartei wie der SPD, die sich mit Sinnfragen auskennt, muss nun ein scharfer Grundsatzstreit ausgetragen werden: eine tabulose Debatte über die Agenda-Politik, die der SPD wie ein böser Schatten folgt; eine schonungslose Abrechnung mit dem Personal, das für dieses Debakel verantwortlich ist. So wie 1983, als die SPD schon einmal nach einem Jahrzehnt in der Regierung Bilanz zog. Damals bekam Helmut Schmidt für seine Nato-Politik beim Kölner Parteitag 14 von 400 Stimmen. Die SPD wandelte sich in eine Partei, die Sensoren für die Öko- und Friedensbewegung entwickelte und auf der Höhe der Zeit war.

2009 passiert in der SPD - nichts. In der Partei herrscht bis dato eine geradezu unheimliche Stille. Bei der einzigen Kampfabstimmung, die es in der SPD nach dem Debakel gab, ging es darum, wer Bundestagsvizepräsident werden darf. Das neue Führungspersonal wurde schnell und pragmatisch im Hinterzimmer ausgeheckt. Dementsprechend wird die SPD heute in Dresden wohl folgsam Sigmar Gabriel und Andrea Nahles an die Spitze wählen. Den Streit um Agenda und Steuersenkungspolitik unter Rot-Grün entsorgt der Leitantrag in einer geschickten Einerseits-andererseits-Rhetorik. Bloß keine Generalinventur, bloß kein Streit, der aus dem Ruder laufen könnte.

Die SPD wird sich auf ihrem Dresdner Parteitag nicht zerlegen. Es wird auch keine erbitterten Flügelkämpfe geben. Ja, in der Sozialdemokratie scheint es momentan gar keine Flügel mehr zu geben, die Debatten initiieren und zuspitzen können. Und es ist kaum vorstellbar, dass diese intellektuell so müde Partei stellvertretend für die Gesellschaft Debatten um Staat und Markt, Ökologie und Wachstum zu führen vermag.

Die SPD droht an einer geschäftsmäßigen Vernünftigkeit zu ersticken, an einem undeutlichen "Ja, aber", das nie ganz falsch ist. Aber es steht in einem bizarren Kontrast zu der existenziellen Gefahr, in der sie sich befindet.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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