Kommentar Mazedonien: Ins Wespennest gestochen

Seit 500 Tagen bekriegen sich User auf den Kommentarseiten von taz.de. Anstoß gab ein anscheinend harmloser Mazedonien-Kommentar vor anderthalb Jahren.

Das haut auch Zeitungsprofis um. 886 Kommentare nach 500 Tagen wegen eines anscheinend harmlosen Kommentars in der taz – und die Diskussion hält noch immer an. Das alte EU-Mitglied Griechenland war darin aufgefordert worden, doch ein bißchen duldsamer mit dem nördlichen Nachbarn „FYROM“ - der „Ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien“ - zu sein und dessen Integration in Nato und EU zu befördern anstatt zu behindern.

Seither wird über das Verhältnis der beiden Staaten heftig gestritten, die Diskussion hat sich längst vom Inhalt des Kommentars abgelöst und neben den üblichen Beschimpfungen von Nationalisten beider Seiten in letzter Zeit teilweise sogar ein ansehnliches Niveau erreicht.

Das Thema selbst ist das Wespennest, in das gestochen wurde. Ist es den slawischen Mazedoniern in der FYROM erlaubt, sich Mazedonier zu nennen? Sich also in die Tradition des größten Mazedoniers, Alexanders des Großen, zu stellen? Und sich den Namen der nördlichen griechischen Region Makedonien anzueignen? Nein, sagen die Griechen. Das sei ein Raub an der Geschichte des Hellenentums und wiese sogar auf territoriale Ambitionen des neuen Staates. Es gebe Landkarten, auf denen territoriale Ansprüche bis nach Tessaloniki aufgezeichnet werden.

Die heutigen slawischen Mazedonier seien erst viel später ins Land gekommen, seien eigentlich Bulgaren und dürften den Namen Mazedonien zur Selbstbezeichnung nicht mißbrauchen. Und da sind sich die Griechen einig: solange die „bulgaro-slawischen“ Bewohner des nördlichen Nachbarn dies tun, müsse Griechenland den neuen Staat daran hindern, in Nato und EU einzutreten. Nicht einmal das im Ursprungskommentar enthaltene Argument der Stabilisierung der Region durch die Integration Mazedoniens (FYROM) in die supranationalen Strukturen wird von den progriechischen Diskutierenden anerkannt.

Die Frage, ob nun die Neu-Griechen selbst in der Tradition des großen Alexander stehen, gehört zu den süffisanten Antworten von der slawo-mazedonischen Seite. Es ist sei ja keinswegs so sicher, dass die historischen Makedonier auch Hellenen waren. Ganze Literaturlisten und neue wissenschaftliche Erkentnisse sind in die taz-Diskussion geworfen worden. Klügere Diskutanten sehen in nationalen Identitäten ohnehin nur Konstrukte.

Und es stellt sich natürlich heraus, dass bei den slawischen Mazedoniern unvergessen ist, welch brutale und kompromisslose Assimilierungspolitik Griechenland gegenüber der slawischen und türkischstämmigen Bevölkerung in der griechischen Provinz Makedonien noch vor wenigen Jahrzehnten betrieben hat.

Eines zeigt die Diskussion sicherlich: die Emotionen auf beiden Seiten schwappen über, die Diskussion müßte in ruhigere Bahnen gelenkt werden. Zumal ja in Mazedonien nicht nur orthodoxe Slawen, auch muslimische Slawen und Albaner, Roma und andere Minderheiten wohnen. Das war eigentlich die Intention meines Kommentars damals.

Noch einmal: Griechenland, das ja von der Integration in die europäischen Strukturen wesentlich profitiert hat, sollte sich nicht als Balkanland aufführen, sondern als eines, das die wesentlichen Kategorien des neuen Europa verkörpert. Das kann man von Griechenland erwarten. Dazu gehört eben die Verständigung, das Akzeptieren der anderen und das geordnete Zusammenleben. Wenn sich die slawischen Mazedonier als Mazedonier fühlen, warum sollte man dies nicht akzeptieren können?

Besser als die Konfrontation wäre doch für die Griechen, in Skopje zu investieren, den Dialog zu führen und klugerweise mitzuhelfen, das neue Mazedonien in die Nato und EU zu führen. Stabilität ist doch besser als krampfhaften Kampf. In diesem Falle ist sogar Brüssel klüger. Bald werden alle Bürger Mazedoniens visafrei in die EU reisen dürfen. Das ist doch gut.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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