Debatte Demut in der Politik: Kampfbegriff Demut

Zunächst war inflationär von Gier die Rede. Nun ruft die Politik nach Demut - und weist mit dieser heuchlerischen Wortwahl die Verantwortung für die Krise zurück.

Pünktlich zu Weihnachten hat jetzt auch im politischen Geschäft die Zeit der "Demut" wieder begonnen. Kaum ein Politiker, der noch ohne die Anrufung dieser angeblichen politischen Kardinaltugend auskommt.

Albrecht von Lucke ist Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik" (www.blaetter.de). Demnächst erscheint sein neues Buch "Die gefährdete Republik. Von Bonn nach Berlin: 1949 - 1989 -2009" (Wagenbach Verlag).

Dabei handelt es sich bei Demut um einen Begriff, der noch nicht allzu lange sein politisches Unwesen treibt. So kennt das vermeintlich topaktuelle digitale Wikipedia-Lexikon zwar neben der gängigen Demut in Religion und Philosophie auch jene in Psychologie und Verhaltensforschung - was aber bislang fehlt, ist eine kleine Geschichte der "Demut in der Politik".

Befund Nummer 1: Speziell in Zeiten der Krise entdecken Politiker die Demut. Den Anfang machte der Bundespräsident, der, selbst einschlägig vorbelastet, just von den Bankern eine Kultur der Demut und des Anstands verlangte. Da wollte der Wirtschaftsminister, ansonsten in der Krise bisher eher unterbelichtet, nicht nachstehen und votierte für "Demut und Reue", allerdings mit gänzlich anderer Stoßrichtung. Denn, so Michael Glos, auch die Politik hätte Anlass zur Demut - allerdings primär die seiner Vorgänger. Schließlich habe am Beginn dieser Krise ein politisches Fehlverhalten seitens der Geldpolitik in den USA und das Versagen öffentlich-rechtlicher Banken gestanden. Befund Nummer 2: Offensichtlich spielt Demut in dieser Verwendung die Rolle des Kampfbegriffs - demütig zu sein hat immer der Andere.

Die eigentliche Wirkung der Demut reicht jedoch tiefer. Sie hat nämlich reinigende Wirkung gerade für denjenigen, der sich selbst als demütig in die Brust wirft - indem er von dem eigentlichen Souverän die Absolution erteilt bekommt. Tatsächlich scheint sich hier der Befund Carl Schmitts als treffend zu erweisen: Alle politischen Begriffe sind säkularisierte religiöse Begriffe. Ursprünglich aus dem jüdisch-christlichen Glauben stammend, erfuhr die Demut in den letzten Jahrhunderten eine radikale Profanisierung. Der Christ kennt Demut vor Gott, der Kommunist die vor dem revolutionären Lauf der Geschichte - und der moderne Politiker verhält sich als echter Demokrat ostentativ demütig nur vor dem heutigen Souverän, also dem Wähler - oder, in seiner neuesten, vulgärsten Form: vor den Medien als den Hütern des Volkswillens.

Das Ergebnis ist in allen Fällen gleich: die Erhöhung des Demütigen. So heißt es im Ersten Petrusbrief (5,5 f.): "Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit." Befund Nummer 3 lautet folglich: Zeige Demut, und du wirst erhöht - so die einfache Politikerrechnung. Ganz in diesem Sinne wird kein rhetorisches Mittel heute mit größerer Berechnung eingesetzt. Bloß ein bisschen demonstrativ demütig sein - und schon winkt die Vergebung der Sünden. Demut als die moderne Unterwerfungsgeste - zum Nutzen der Politik. "Wer Demut sagt, will betrügen", ist man mit Carl Schmitt zu sagen geneigt.

Und die Rechnung geht auf: Öffentliche Demut entlastet - und macht sich bezahlt. Denn die Medien als kontrollierende Vierte Gewalt machen bei diesem Spiel allzu bereitwillig mit. Schließlich ist öffentlich zelebrierte Demut der Politiker stets auch Ausdruck der eigenen Macht - als des vermeintlichen Sachwalters des Souveräns.

Prompt unternimmt denn auch Die Zeit in ihrer aktuellen Ausgabe zum Jahresabschluss auf Seite 15 den "Demuts-Test". Schmerzlich vermisst wird die erforderliche Demut bei der Linkspartei und - natürlich - auch bei der in Rekordzeit zur Unperson mutierten Andrea Ypisilanti. Voll Freude fündig wird man dagegen bei Roland Koch, der sich in für Die Zeit vorbildlicher Weise zerknirscht gibt - und dem unsere geschätzte Hamburger Wochenzeitung prompt seine Sünden vergibt. Dabei hatte der stellvertretende Chefredakteur Anfang des Jahres eine Wiederwahl Kochs noch inständig verhindern wollen. Ganz egal, am Ende des Jahres ist die neubürgerliche Welt doch wieder in Ordnung: die demütigen Schwarzen ins Töpfchen, die aufmüpfigen Roten ins Kröpfchen. Kurzum: Kein Begriff scheint heute mehr auf den Hund gekommen als der der Demut.

Weit wesentlicher wäre es, man könnte bei allen angeblich so Demütigen mit wirklichen Lehren aus der Geschichte rechnen. Wer aber wollte ernsthaft daran glauben, dass bei Roland Koch ein echter Gesinnungswandel eingetreten wäre? Wenn eine auf Ressentiments basierende Kampagne Erfolg verspricht, wird er auch beim nächsten Mal nicht darauf verzichten - das hat er bei aller Demut immerhin schon zweimal furios bewiesen. "Weiß Herr Glos überhaupt, wie man Demut buchstabiert?", fragt ein zu Recht empörter Blogger und fordert das eigentlich Notwendige: nämlich "Kompetenz - sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik".

Bezeichnenderweise ist in Max Webers klassischer Definition des Politischen von Demut weit und breit nichts zu lesen. Augenmaß, Leidenschaft und Verantwortungsgefühl sind für den Mitbegründer der Soziologie die politischen Kardinaltugenden beim geduldigen "Bohren dicker Bretter" in der Politik. Deshalb lautet Befund Nummer 4: Öffentlich propagierte Demut kaschiert die eigenen Mängel und lenkt von den wirklichen Erfordernissen ab.

Angesichts der dramatischen Kumulation der Krisen - ökonomischer, ökologischer und sozialer Art - fehlt es offensichtlich weit weniger an pseudopolitischer Demut als an politischem Mut. Die Krise als Chance? Sicher nicht, wenn Kleinmut und Ideenlosigkeit auch 2009 grassieren wie bisher. Dabei ahnen längst die meisten, dass allein mit Konsumgutscheinen oder keynesianischen Konjunkturprogrammen der globalen sozialökologischen Krise nicht Herr zu werden ist.

Was fehlt, sind deshalb nicht die kleinteiligen Pragmatiker des bürokratischen Alltagsgeschäfts, sondern Projektemacher und Visionäre des Politischen, die die erforderliche Kreativität, ja Kühnheit neuer politischer Ideen aufbringen. Demut als ein Verhältnis der Dienstbarkeit und Ergebenheit ist gerade jetzt denkbar ungeeignet - da nämlich der Souverän, der Wähler, selbst hochgradig orientierungslos ist angesichts des Scheiterns des Neoliberalismus als der dominanten Ideologie der letzten zwei Jahrzehnte.

Sich ernsthaft mit den Ursachen der Krise befassen und für die gemachten Fehler Verantwortung übernehmen, so lautet das Gebot der Stunde - anstatt sofort wieder in die alte Wahlkampflogik zu verfallen: Gehandelt wird erst dann, wenn sich damit die eigene Partei profilieren lässt. "Sapere aude" - habe nicht Demut, sondern den Mut, dich deines eigenen (politischen) Verstandes zu bedienen -, möchte man den Demutsaposteln unter den Politkern kritisch-kantianisch zurufen. Zum kommenden Krisenjahr erhofft man sich deshalb vor allem eins: weniger Demut proklamieren und endlich Verantwortung übernehmen.

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