Kommentar Afghanistan: Ohne Integration kein Frieden

Deutschland schließt die Augen vor der Realität in Afghanistan. Die blutigen Konsequenzen trägt die afghanische Zivilbevölkerung.

Die Opfer des Bombenattentats auf das Nato-Hauptquartier in der afghanischen Hauptstadt Kabul am Samstag sind ein hoher Preis für die demokratischen Spiegelgefechte des Westens am Hindukusch. Denn ein Krieg schafft kein Umfeld für ordentliche Wahlen.

Acht Jahre nach dem Engagement der Nato in Afghanistan sollten einige Wahrheiten begriffen werden. In Afghanistan herrscht Krieg, und jede bewaffnete Einheit, so auch die Bundeswehr, ist Kriegspartei. Der Irrglaube, es handele sich bei den Bundeswehrbasen im Norden Afghanistans um Pfadfinderlager mit bewaffneten Entwicklungshelfern, führt zu gefährlichen Fehleinschätzungen.

So muss beispielsweise der Opiumanbau in Afghanistan legalisiert werden. Am besten kauft die internationale Gemeinschaft die Ernte zu Marktpreisen bei den Bauern gleich vom Feld. Andernfalls finanziert der illegale Opiumanbau und Schmuggel die Taliban und andere blutrünstige Warlords. Nato-Soldaten sollten die Bevölkerung mit großer Präsenz vor den Warlords schützen und ihr wirtschaftliches Überleben sichern. Die Taliban müssen von al-Qaida getrennt und als Bürgerkriegspartei in einen Friedensprozess einbezogen werden.

Bis 2001 waren die Taliban für viele Afghanen im langjährigen Bürgerkrieg eine ersehnte Ordnungsmacht. Kabul wurde nicht von den Sowjets oder den Taliban zerstört, sondern von den Warlords, die sich in Bonn 2001 bei der Afghanistankonferenz trafen. Die Taliban hatten die meisten Warlords bis 2001 aus Afghanistan vertrieben. In Bonn hätte die Nato sie am besten gleich verhaftet und ihnen nicht das Land zum Beutemachen überlassen. Auch Kundus war bis zum Einmarsch der Taliban 1998 ein gefährliches Räubernest. Erst nachdem die Taliban die Stadt kontrollierten, öffneten sich die Basare, und wenigstens die Jungen konnten wieder zur Schule gehen, ohne von Warlords geraubt zu werden.

Vor allem Deutschland schließt die Augen vor dieser Realität. Die blutigen Konsequenzen trägt die afghanische Zivilbevölkerung. Der Beginn von Friedensverhandlungen wäre eine notwendige Grundlage gewesen, um über Wahlen nachzudenken.

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„Das liegt doch irgendwo in Russland“ oder „Samarkand?  Seidenstrasse?“ sind zwei häufige Antworten, wenn ich in Deutschland von meiner Arbeit in Zentralasien erzähle. Die Region zwischen dem Kaspischen Meer und chinesischer Grenze tut sich auch 20 Jahre nach der Unabhängigkeit schwer, einen Platz in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit zu erobern.Mich aber faszinieren Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan seit vielen Jahren, obwohl in den Redaktionen das ungeschriebene Gesetz gilt,dass Veröffentlichungschancen sinken, je mehr Stans in einem Satz vorkommen. Ich berichte aus dem Hinterland des Natokrieges in Afghanistan über Aufstände, Revolutionen,Wasserkriege und wie deutsche Politiker mit dem usbekischen DespotenIslam Karimow kungeln, um sich die Bundeswehrbasis in dessen düsteren Reich an der afghanischen Grenze zu sichern.Ich nehme die Ereignisse selbst in Augenschein und berichte in Zentralasien oft als einer der ersten, manchmal sogar als einziger, vom Ort des Geschehens. Sei es bei den zwei Machtumstürzen (2005 und 2010), und dem ethnischen Konflikt in Kirgistan (2010), dem Massaker in der usbekischen Provinzstadt Andischan (2005), den Ölarbeiterstreiks in der westkasachischen Steppenstadt Schanaozen und dessen blutigem Ende (2011), und den Gefechten in der tadschikischen Pamirprovinz Badachschan (2012). Ich, Jahrgang 1969, arbeite seit 1994 aus Zentralasien für Schweizer und deutsche Medien. Seit 2006 bin ich zudem dort als taz-Korrespondent tätig. Ich halte Vorträge zu Zentralasien und beteilige mich an Podiumsdiskussionen. Deutschland:+491795057442 Kirgistan:+996777565575

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