Kommentar Politikkrise in NRW: Pokerspiel mit offenem Ende

Plötzlich werden Neuwahlen in NRW für beide Seiten attraktiv. Die CDU stellt sich als seriöse, maßhaltende Alternative dar. Rot-Grün will die wacklige Minderheitsregierung beenden.

Als "beschämende Niederlage" wertet die CDU in Nordrhein-Westfalen das Urteil des Landesverfassungsgerichts gegen den Nachtragshaushalt 2010. In der Tat muss die rot-grüne Minderheitsregierung jetzt ihre Haushaltspolitik überdenken.

Doch Scham wäre auch bei CDU und FDP angebracht, die den Spruch nun zur Katastrophe für Rot-Grün umdeuten. Schließlich sind in den Haushalt Milliarden für das WestLB-Desaster eingeplant, das vor allem die schwarz-gelbe Vorgängerregierung verantwortet - die zudem 2005 selbst einen von den Verfassungsrichtern kritisierten Nachtrag auflegte.

Die Aufgeregtheit der CDU gehört ebenso wie die demonstrative Gelassenheit von SPD und Grünen zu einem viel größeren Pokerspiel, auf dessen Folie derzeit alles in NRW interpretiert wird: Es geht um die Frage, ob und wann Neuwahlen stattfinden könnten. Das Urteil ist nur ein Faktor in diesem Spiel, aber es macht sie wahrscheinlicher.

Plötzlich werden nämlich Neuwahlen auch für die Christdemokraten attraktiv. Sie stellen sich als seriöse, maßhaltende Alternative dar und wittern die Chance, der SPD einen Schulden-Wahlkampf aufzudrücken. SPD und Grüne hingegen sind interessiert daran, die wacklige Minderheitsregierung zu beenden, von der Anti-Atom-Stimmung in Deutschland zu profitieren und ihre Umfragewerte in eine Mehrheit umzuwandeln.

Das Hin und Her beider Seiten dokumentiert jedoch ihre Unsicherheit: Während SPD und Grüne das Haushaltsthema vermeiden und einen anderen Anlass suchen wollen, stellen sich viele CDUler die berechtigte Frage, wie Landeschef und Umweltminister Norbert Röttgen einen deutlichen Schwenk in der Atompolitik und einen Wahlkampf parallel managen soll. Auch wenn also die Chancen für Neuwahlen steigen - entschieden ist das Spiel noch lange nicht.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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