Kommentar Bildungsgipfel: Probleme und Problemchen

Es ist ein zivilisatorischer Fortschritt, dass intellektuelle Debatten auch außerhalb Universitäten geführt werden. Dahinter sollte die Politik nicht zurückfallen.

Die Reaktionsgeschwindigkeit des politischen Systems kann sehr unterschiedlich ausfallen, sogar auf demselben Politikfeld. Nur wenige Wochen nach den Studentenprotesten gegen die Bologna-Reformen haben Bund und Länder am Mittwoch ein Sofortprogramm in dreistelliger Millionenhöhe beschlossen. Es soll die gröbsten Mängel binnen Jahresfrist beheben, zumindest kosmetisch. Dabei wissen die meisten der Beteiligten, dass die Probleme mit den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen in erster Linie organisatorischer Natur sind. Mit weniger Bürokratie und Besitzstandsdenken hätten Bürokraten und Professoren das Desaster abwenden können, das sie jetzt opportunistisch beklagen.

Während die Politik auf die Proteste der Studierenden binnen Wochenfrist reagiert, lassen Antworten auf weitaus größere Probleme des deutschen Bildungssystems jahrzehntelang auf sich warten. Zwar gibt der Bund jetzt auch Geld für vorschulische Sprachkurse, aber das war ein harter und langer Kampf. Auch der Umbau des deutschen Schulsystems zu mehr Chancengleichheit steckt erst in den Anfängen.

Bei einem Migranten ohne Hauptschulabschluss oder einem Lehrling auf dem Bau bewegt die Frage, ob das Curriculum die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zulässt, die Öffentlichkeit weit weniger. Wenn angehende Akademiker hingegen unbezahlte Praktika absolvieren, entspinnt sich sofort eine politische Debatte.

Der Fehler der Studentenbewegung alten Stils war es, die Universität mit der Welt zu verwechseln. Es ist ein zivilisatorischer Fortschritt, dass sich die Bildungsdebatte für andere Probleme geöffnet hat, dass intellektuelle Debatten auch außerhalb Universitäten geführt werden. Dahinter sollte die Politik nicht zurückfallen. Es ist richtig, dass sie den Studenten hilft. Mit noch größerer Energie sollte sie sich aber um jene kümmern, die nicht in gleichem Maße die Zuwendung der Medienöffentlichkeit genießen.

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