Kommentar Bürgerversicherung: Sozialer Frieden kostet Geld

Eine Bürgerversicherung würde die ewige Neiddebatte beenden – die finanzielle Mehrbelastung für die Mittelschicht darf dennoch nicht heruntergespielt werden.

Die Bürgerversicherung sei schon allein deshalb gut für alle, weil sie kostengünstiger ist als unsere derzeitige Zwei-Klassen-Medizin. Dieses Argument ist beliebt bei den Verfechtern einer gemeinsamen Krankenversicherung und war auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende auch wieder zu hören. Leider ist es falsch. Die Bürgerversicherung wird unser Gesundheitssystem nicht wesentlich billiger machen. Die Ersparnis ist eher marginal. Das belegt jetzt auch ein Gutachten - im Auftrag der Grünen.

Wer den Kampf um eine gerechte medizinische Teilhabe führen und auch gewinnen will, der muss diese Nachricht offensiv kommunizieren. Denn eine Bürgerversicherung müsste mehrheitlich von der oberen Mittelschicht finanziert werden, die gleichzeitig Privilegien aufgeben müsste, die ihr die Privatversicherung garantiert. Warum sollte sie sich auf ein solches Minusgeschäft einlassen?

Der Widerstand gegen soziale Gerechtigkeit, das zeigen die Debatten um Bildungs- und Schulpolitik, wächst auch bei der grünen Wählerklientel mit der eigenen Betroffenheit. Daher ist eine Bürgerversicherung nur erfolgreich, wenn einsichtig wird, dass der Verlust einer besonderen Behandlung Vorteile bringt: So werden Privatversicherte häufiger als Versuchskaninchen benutzt als Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen. Nicht wenige der privaten Leistungen nützen dem Arzt oder der Forschung und nicht dem Patienten.

Tatsächlich würde eine Bürgerversicherung die ewige Neiddebatte beenden und den Armen die Chance auf eine bessere medizinische Versorgung bieten. Das allein - Stichwort sozialer Frieden und Zusammenhalt der Gesellschaft - ist ein sehr guter Grund, sich für die Bürgerversicherung einzusetzen. Das muss dann aber auch so benannt werden. Wer hingegen die finanzielle Mehrbelastung für die Mittelschicht herunterspielt, handelt kontraproduktiv. Er verkauft die für dumm, die das neue System schultern müssen.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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