Das Schlagloch: Staatskunde für Anfänger

Eine doppelte Staatsbürgerschaft stürzt eigentlich niemanden in Loyalitätskonflikte.

Es gibt eine Stelle in dem Bridget Jones-Roman "Am Rande des Wahnsinns", die mir so gut gefallen hat, dass es mich freut, sie endlich einmal zitieren zu können. Bridget Jones ist inzwischen mit Mark Darcy zusammen und lernt dessen Freundeskreis kennen. Wir erinnern uns, dass Darcy als engagierter Rechtsanwalt in ihr berufliches Leben getreten ist, irgendetwas mit Asylrecht und so; daher muss Bridget davon ausgehen, dass er zu "den Guten" gehört. Während Bridget aber seinen Freunden zuhört, merkt sie, dass die alle den Tories anhängen, und es stellt sich sogar heraus: Mark Darcy auch!

Bridget ist, verständlicherweise, völlig entsetzt: Man lässt sich nicht der "verbalen Inkontinenz" bezichtigen und hoppelt im Hasenkostüm über eine Gartenparty, um später herauszufinden, dass der eigene Freund der falschen Partei anhängt. Also klärt sie Mark in beinah vorwurfsvollem Ton darüber auf, dass sie Labour wählt. "Und warum?", fragt dieser zurück. Und Bridgets Argumente sind so gut und einleuchtend, die lassen sich fast nicht in Worte fassen, daher sagt sie schließlich: "Weil … weil … weil alle das tun!" Die Wahlergebnisse sprächen da aber eine andere Sprache, antwortet Mark Darcy trocken.

Weil alle das tun, die auch nur ein klein bisschen vernünftig nachdenken, meinte Bridget selbstverständlich. Auch das wird zwar nicht von den Wahlergebnissen belegt, dies mindert die Vernünftigkeit aber nicht. Und genau dasselbe Staunen, das Bridget unter den Tories erlebt, befällt mich, selbst Inhaberin zweier Pässe, jedes Mal, wenn es in der Politik um die doppelte Staatsangehörigkeit geht. Was in aller Welt spricht denn dagegen?

Es ist in den letzten Tagen vielerorts bereits erklärt worden und sei hier nur noch einmal kurz zusammengefasst: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist für Angehörige anderer EU-Länder sowie der Schweiz längst erlaubt. Umgekehrt dürfen auch deutsche Green-Card-Besitzer ihre deutsche Staatsbürgerschaft behalten, wenn sie vorab eine Beibehaltungsgenehmigung beantragt haben.

Daher hat Konan Kelat vom Dachverband der Türkischen Gemeinden in Deutschland völlig Recht, wenn er sagt, dass nach Abzug aller Ausnahmen "vor allem die Türken übrig bleiben, die ihren Pass abgeben müssen", wenn das Gesetz nun bei einigen tausend Doppelpässlern die Entscheidung für nur einen einzigen Pass erzwingt.

An dieser Stelle also erfasst mich das bridgetjonesianische Staunen: Wie sollen die hier lebenden Türken darüber nicht paranoid werden? Wie sollen sie nicht den Eindruck gewinnen, dass sie - und zwar fast ausschließlich und vor allem sie - hier nicht gewollt sind?

Von einem testosterongesteuerten, der Langzeitarbeitslosigkeit ins Auge blickenden türkischstämmigen Hauptschüler zu verlangen, er solle sich brav "integrieren", ist ein Ding der Unmöglichkeit in dieser Situation, in der sogar gesetzte Akademiker und Gutverdiener den Eindruck gewinnen, dass man sie eigentlich nicht dabei haben will. Jedes Mal, wenn die potenzielle Aufnahme der Türkei in die EU diskutiert und in den hiesigen Debatten die Fremdartigkeit der Türkei erörtert wird, sagte einmal die politisch aktive Zahnärztin Ezhar Cezairli, spüren wir hier lebenden Türken doch, dass auch wir als fremd empfunden werden. - Und wer Spätaussiedlern, Schweizern, Italienern, Griechen und Portugiesen den Doppelpass zubilligt, ihn Türken aber verweigert, legt damit seine wahren ausländerpolitischen Motive offen: dass die gebetsmühlenartige Aufforderung zur "Integration" nämlich keine Einladung (inklusive sanfter Ermahnung) an alle bedeutet, sondern die schroffe Zurückweisung einer bestimmten Gruppe ist.

"Sie haben eine ausländische Staatsangehörigkeit, aber leben bereits längere Zeit in Deutschland? Sie wollen dauerhaft hierbleiben?", fragt die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration auf ihrer Website. "Dann laden wir Sie ein, gleichberechtigte Bürgerin oder Bürger unseres Landes zu werden und die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Die Vorteile liegen auf der Hand …" Das tun sie, die Vorteile, in der Tat. Nur sieht die Party, zu der hier geladen wird, aus der Nähe betrachtet, leider anders aus.

Und deswegen gilt mein Staunen ebenso den hier lebenden Türken, insofern sie sich von Schäubles Integrationsgipfel und seiner Islamkonferenz haben um den Finger wickeln lassen. Es gab so viele, die diese Initiative als "positives Signal" empfunden haben, als freundliches Schulterklopfen, als Respektbeweis. Doch nicht als eindeutige Geste des Respekts hat sich die Islamkonferenz der Öffentlichkeit präsentiert, sondern als ambivalente Botschaft mit der heimlichen Unterstellung, der Islam bedeute ein besonders gravierendes "Integrationsproblem". Letztlich aber zählt ohnehin, welches Gesetz am Ende herauskommt, und weder mit der Neuordnung des Zuwanderungsrechts noch mit seiner jetzigen Stellungnahme zur doppelten Staatsbürgerschaft erweist sich Wolfgang Schäuble als Türkenfreund.

Sein Parteikollege Bosbach wiederum hat einen neuen alten Begriff in die Debatte eingeführt, als er sagte, dass "es eben keine doppelte Loyalitäten bei der Staatsangehörigkeit geben kann". Diese Bosbachsche "Loyalität" ist eine Busenfreundin der Merzschen "Leitkultur", nur hat sie sich aufs Staatsangehörigkeitsrecht spezialisiert. Auf diesem Gebiet fordert sie plötzlich Hingabe fürs Deutsche insgesamt, wohingegen sich das Grundgesetz ganz bewusst mit der Verfassungstreue zufrieden gibt. Weder der deutsche Staat noch die Prozedur der Einbürgerung verlangen eine allgemeine Treue zu Deutschland, dem Deutschsein oder der Fahne (anders als der Treueeid der USA), sondern nur, dass der Einzubürgernde "sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt".

Als Tochter eines binationalen Paares darf ich auch künftig beide Pässe behalten; unnötig zu sagen, dass sie mich noch nie in Loyalitätskonflikte gebracht haben. Loyalitätsgefühle haben sie in mir allerdings auch nicht geweckt. Würde mich Wolfgang Bosbach fragen, warum ich keine Loyalität mit auch nur einem der beiden der Staaten empfinde, müsste ich wie Bridget Jones stottern: "Weil … weil … weil niemand das tut." Jedenfalls nicht vernünftigerweise.

Per definitionem bedeutet Loyalität, dass man auch über die Grenzen allgemeiner moralischer und politischer Regeln hinaus zu jemandem hält. Loyalität ist erst im Konfliktfall gefordert und erweist sich letztlich im Konflikt, wenn also der Anspruch eines Freundes oder der Gemeinschaft mit den eventuell sogar noch stärkeren, berechtigten Ansprüchen anderer in Widerstreit gerät. Freunde können solch unbedingte Unterstützung bisweilen verlangen, Staaten dürfen es nicht. Solange sich die deutsche Außen- oder Innenpolitik im moralischen Rahmen des Grundgesetzes bewegen, ist Verfassungstreue angesagt. Und sollten sie sie übertreten, wäre nicht Loyalität, sondern Einspruch, notfalls auch ziviler Ungehorsam gefragt.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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