Kommentar Kopftuchverbot in der Türkei: Türkei in schlechter Verfassung

Die Justiz bestätigt das Kopftuchverbot an Hochschulen. Mit seinem Urteil stellt sich das Verfassungsgericht einer gewählten Regierung in den Weg und leitet eine Staatskrise ein.

Die Türkei ist neben Tunesien das einzige Land, an dessen Universitäten ein striktes Kopftuchverbot gilt. Tunesien ist keine Demokratie, die Türkei will eine sein. Jetzt hat das Verfassungsgericht des Landes die Lockerung dieses Verbots für unrechtmäßig erklärt, obwohl die Regierung dafür im Parlament sogar eine Zweidrittelmehrheit gefunden hatte. Ist dieses Urteil der Vorbote eines Parteiverbots durch das gleiche Gericht, mit dem die konservativ-islamische Regierungspartei AKP jederzeit rechnen muss? Ein gutes Omen ist es nicht.

Die türkische Justiz scheint gewillt, immer mehr jene Rolle übernehmen, die bislang die Armee ausgefüllt hat: sich als oberster Wächter des Staates zu gerieren, der immer dann eingreift, wenn er dessen Grundlagen durch die Politik bedroht sieht. Mit seinem Urteil stellt sich das Verfassungsgericht einer gewählten Regierung in den Weg, die sich damit als unfähig erweist, eines ihrer zentralen politischen Versprechen zu erfüllen. So droht der banale, aber symbolisch hoch aufgeladene Streit um das Kopftuch an den Hochschulen nun, die Türkei in eine Staatskrise zu stürzen.

Immer deutlicher wird, dass die AKP einen Fehler gemacht hat, als sie sich auf die Lockerung des Kopftuchverbots versteift hat, statt gleich den Entwurf für eine ganz neue, liberalere Verfassung auf den Tisch zu legen, die zu mehr Freiheiten für alle geführt hätte. Damit hat sie nur jene Angst vor einer "Islamisierung" verstärkt, die ihre Gegner ohnehin schon ständig schüren und die auch viele liberalere, säkulare Türken umtreibt. Äußerungen wie die des türkischen Außenministers Ali Babacan haben nicht dazu beigetragen, sie zu beruhigen. Er hatte vor der EU beklagt, die Religionsfreiheit der Muslime in der Türkei sei eingeschränkt. Das aber ist blanker Unsinn: Immerhin päppelt der türkische Staat den sunnitischen Islam, baut landesweit Moscheen und regelt in diesem Sinne auch den Religionsunterricht an den Schulen.

Dass AKP-Politiker jetzt von einem "Putsch" der Justiz sprechen, macht die Sache nicht besser. Klüger wäre es, endlich die Debatte über eine ganz neue, liberalere und demokratischere Verfassung zu eröffnen. Fragt sich nur, ob sie dazu überhaupt noch Gelegenheit haben werden.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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