Debatte: Kyrillischer Kleinkram

Der neue EU-Vertragsentwurf soll Europa handlungsfähig machen. Doch diesem Anspruch er nicht gerecht. Europas Einfluss in der Welt wird deshalb nicht wachsen.

Beim Gezänk um die Reform der Europäischen Verträge fällt es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Wer sich vom Streit um "Ioannina-Klauseln" und "Opt-Outs" benebelt fühlt, der könnte beim Blick ins eigene Portemonnaie wieder Klarheit gewinnen. Denn die Münzen und Scheine der europäischen Einheitswährung führen bildlich vor Augen, worüber in Lissabon bis zur letzten Minute gefochten wird: Um die richtige Balance zwischen Einheit und Vielfalt.

Diese zwei Seiten der Medaille zeigen die Euro-Münzen. Vorne prangen zwölf Sterne, der Schriftzug "Euro" und die westeuropäische Landkarte, die bei künftigen Prägungen um Osteuropa erweitert werden soll. Auf der Rückseite finden sich je nach nationalem Gusto Musikinstrumente, Politikerköpfe oder gar Sprachen, die in der EU offiziell gar nicht zugelassen sind wie das moselfränkische "Letzebuerg" für Luxemburg. Ganz anders die Scheine: Sie sehen im ganzen Euro-Raum gleich aus und tragen den Schriftzug "Euro" in lateinischer und griechischer Schrift.

Nur: Die bulgarische Regierung möchte nun durchsetzen, dass der Schriftzug künftig auch kyrillisch auf den Scheinen steht. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer im Prinzip schon verständigt. Sie haben aber ein kleines Detail übersehen: Den Wortstamm "euro" gibt es in der bulgarischen Sprache nicht. So sagt man sagt auch "Ewropa". Deshalb will Bulgarien durchsetzen, dass die Buchstabenfolge EBPO (transkribiert EWRO) auf die Scheine gedruckt wird.

Das will die Europäische Zentralbank, die auf das einheitliche Erscheinungsbild der Einheitswährung zu achten hat, keinesfalls zulassen. Der Konflikt, der auf den ersten Blick wie eine lächerliche Nebensache aussieht, hat grundsätzlichen Charakter. Die bulgarische Regierung will den Reformvertrag von Lissabon nur unterzeichnen, wenn in der bulgarischen Übersetzung der Texte die Einheitswährung ihrer Sprachtradition entsprechend geschrieben ist.

Mittelfristig mögen sich solche Konflikte zwischen dem Wunsch nach Vielfalt und der Notwendigkeit zur Einheit in einem Europa der Regionen lösen lassen, dessen nationalstaatliche Ebene überflüssig geworden ist. Doch derzeit scheint der Nationalstaat eher eine Renaissance zu erleben. Auch Länder wie Spanien, Großbritannien oder Belgien, die vorgeblich ihre Regionen stärken, schaffen in Wahrheit schrittweise neue staatliche Einheiten. Ausgerechnet in Belgien, wo die europäischen Institutionen ihren Hauptsitz haben, ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten.

Der durchaus verlockenden Utopie eines Europas der Regionen, wo die nationale Ebene schrittweise schrumpft und sich am Ende überlebt hat, sind wir damit keinen Schritt näher gekommen. Denn wenn sich Belgien in ein unabhängiges Flandern und eine eigenständige Wallonie spaltet, würden dabei keine autonomen Regionen unter einem europäischen Dach entstehen sondern junge Nationalstaaten, die ihre Eigenständigkeit zunächst eifersüchtig gegen Brüssel verteidigen müssten, bevor sich nach einigen Jahrzehnten hoffentlich eine neue selbstbewusste Gelassenheit ausbreiten würde.

Die Diskussion um die Folgekosten der Renationalisierung wird in den Mitgliedstaaten der EU nicht geführt. Den Menschen muss klar werden, dass sie nicht beides haben können: Die absolute wirtschaftliche, politische und kulturelle Eigenständigkeit und eine starke Stimme Europas in der Welt. Der nun vorliegende Vertragsentwurf wird dem Anspruch, Europa handlungsfähig zu machen, nicht gerecht. Mit seinen Extraklauseln, Sonderzirkeln und Ausnahmeregeln gleicht er einem juristischen Flickenteppich, der die Funktionsweise der EU weder für ihre Bürger noch für die Partner in der Welt erhellt.

Natürlich ist die "balkanesische Krankheit" der Aufsplitterung Europas in viele neue Nationalstaaten eine Nachwirkung der Umwälzungen, die durch die Auflösung der Blöcke ausgelöst wurden. Vielleicht kann man in ein paar Jahren, wenn das Bedürfnis nach kyrillischen Banknoten oder baskischer Nationalhymne befriedigt ist, zu den wesentlichen Themen zurückkehren. Doch in der Zwischenzeit wird wirtschaftliches und politisches Terrain verloren gehen.

Auch Indien und China sind Völkergemische mit unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Bräuchen. Doch sie bilden staatliche Einheiten mit einer für alle verpflichtenden Amtssprache, einer Zentralregierung, einer- von Europa aus betrachtet - starken nationalen Identität. Undenkbar, dass die chinesische Zentralbank den Yuan in mehreren Minderheitensprachen auf die Scheine drucken würde. Wenn der Euro die starke Einheitswährung bleiben soll, die er in den sieben Jahren seiner Existenz geworden ist, dann müssen die Bulgaren auf den ihnen vertrauten Wortstamm EBPO verzichten.

Doch auch viele andere Mitgliedstaaten haben derartige Sonderwünsche. Die Vielfalt, die sie für sich in Anspruch nehmen, wollen dann auch andere gewürdigt sehen. Seit Malta beim EU-Beitritt für seine 400.000 neuen EU-Bürger Maltesisch als Amtssprache durchsetzte, wollen sich baskische oder katalanische EU-Abgeordnete ebenfalls in ihrer Muttersprache mitteilen. Gälisch ist seit dem 1. Januar diesen Jahres offizielle EU-Sprache, obwohl von den 13 irischen Abgeordneten im Europaparlament nur sechs das Idiom ansatzweise beherrschen. Sie haben es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre Reden im Plenarsaal mit einem gälischen Satz einzuführen. Dann wechseln sie ins Englische, das ihnen wesentlich leichter von der Zunge geht. Die hochbezahlten Dolmetscher drehen derweil Däumchen.

Mehr als 50 Zusatzerklärungen und Dutzende von Protokollen, über die beim Gipfel von Lissabon bis zur letzten Minute gestritten werden wird, sollen dem reformierten EU-Vertrag angefügt werden. Wer einen Blick darauf wirft, bekommt einen kleinen Einblick in die Themen, die andere Mitgliedstaaten für das Herzstück ihrer Kultur halten. Ob es um angelsächsische Rechtstraditionen oder Polens katholische Wurzeln geht - für sich betrachtet erscheinen viele Anliegen zunächst legitim und verständlich. Doch in der Summe hindert stures Beharren auf Sonderkonditionen Europa daran, mit einer Stimme zu sprechen und auf internationaler Bühne gehört zu werden.

Selbst wenn die Europäer zusammenstehen, bringen sie nur acht Prozent der Weltbevölkerung auf die Waage. Jeder dritte Mensch auf diesem Globus lebt in China oder Indien. Diese Zahlen machen deutlich, dass selbst große EU-Länder wie Deutschland oder Frankreich für sich betrachtet zur Bedeutungslosigkeit verdammt sind. Ob es um Handelsbedingungen geht, um den Zugriff auf Energieressourcen, um Konfliktschlichtung in Krisengebieten oder den Einsatz für europäische Werte und Menschenrechte - ohne einheitliches Auftreten nach außen können die EU-Mitgliedstaaten nichts bewegen. DANIELA WEINGÄRTNER

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