Kommentar Tibet: Luftschlösser im Himalaja

Sechs Tage lang berieten die Exiltibeter im indischen Dharamsala über ihren künftigen Kurs. Der ist leider ziemlich unrealistisch.

Der Dalai Lama hatte gehofft, dass die Versammlung der Exiltibeter, die auf seinen Wunsch letzte Woche im indischen Dharamsala zusammenkam, "realistische und gewaltfreie Optionen für den künftigen Kurs" bestimmen möge. Doch er muss gewusst haben, dass die Stimmung nicht danach war, wie jetzt die Ergebnisse zeigen.

Diskutiert wurden über die Alternativen "Unabhängigkeit für Tibet" und den sogenannten Mittleren Weg des Dalai Lama, der eine weitgehende Autonomie Tibets verlangt. Beide Ziele aber sind illusionär. Selbst der "Mittlere Weg" sieht eine Rückkehr zu einem Großtibet vor, für das die Grenzen mehrerer chinesischer Provinzen weit ins Innere Chinas verschoben werden müssten. Autonomie für alle sechs Millionen in China lebenden Tibeter würde bedeuten, dass ein Viertel des chinesischen Territoriums unter tibetisch-autonomer Verwaltung stehen müsste.

Die Forderungen der tibetischen Exilbewegung werden in einer westlich-demokratischen Öffentlichkeit oft leichtsinnig unterstützt, während die Tibet-Debatte innerhalb Chinas nicht wahrgenommen wird. In China selbst aber wird nicht nur das Ansinnen auf eine Unabhängigkeit Tibets als ethnische Kriegserklärung empfunden. Auch die Vorstellung, 0,5 Prozent der chinesischen Bevölkerung (so groß ist der Anteil der Tibeter) eine Autonomie zu gewähren, der bevölkerungsreiche Provinzen wie Sichuan oder Yunnan ihre größten Flächen opfern müssten, ist in China völlig indiskutabel.

Dass der Dalai Lama allein Peking die Schuld dafür zuweist, dass es die vergangenen Verhandlungen mit ihm nicht zu Kompromissen genutzt habe, ist deshalb einseitig. Ein "realistischer" Kurs dagegen müsste die Autonomieforderung auf die zwei Millionen Tibeter beschränken, die im heutigen "Autonomen Gebiet Tibet" leben. Doch davon hat selbst der Dalai Lama noch nie gesprochen. Ihm muss deshalb endlich gesagt werden, dass seine Forderungen - zum Beispiel in territorialer Hinsicht - unakzeptabel sind. Weil das aber keine Regierung im Westen wagt, bauen die Exiltibeter weiter ihre Luftschlösser.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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