Streit der Woche: Missbrauch - Agiert der Staat zu lasch?

Die Missbrauchsdebatte spitzt sich zu, die Politik findet keine Lösung. Während immer mehr verjährte Übergriffe ans Licht kommen, wächst der Druck auf den Staat. Agiert er zu lasch?

Dass die Betroffenen ihr Schweigen brechen, bringt Bildungseinrichtungen und Kirchen in Zugzwang. Bild: photocase/allzweckjack

Die Missbrauchsenthüllungen an Schulen nehmen kein Ende. Nachdem über hundert Fälle sexuellen Missbrauchs am katholischen Canisius-Gymnasium in Berlin gemeldet wurden, steht nun die renommierte Odenwaldschule in Südhessen im Verdacht, sexuelle Gewaltdelikte über Jahre geheim gehalten zu haben. Anfang des Monats trat die Leiterin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, an die Öffentlichkeit. Sie bestätigte, dass 1971 bis 1985 rund hundert Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften und Gästen sexuell missbraucht wurden. Der ehemalige Internatsleiter soll einige Zöglinge sogar hundertfach vergewaltigt haben. Die Eliteschule wurde bereits 1999 über die Vorfälle unterrichtet, als die Staatsanwaltschaft erstmals gegen den Direktor ermittelte.

Dass die Betroffenen ihr Schweigen brechen, bringt Bildungseinrichtungen und Kirchen in Zugzwang. Der Odenwaldschule und dem Jesuitenkolleg wird vorgeworfen, die Taten vertuscht zu haben. Papst Benedikt XVI wird zur Stellungnahme aufgefordert, weil er zu der Zeit Erzbischof in München war, zu der sich Übergriffe im oberbayerischen Kloster Ettal und bei den Regensburger Domspatzen ereigneten. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, kritisierte die katholische Kirche, eine „Schweigemauer“ um sich herum aufzubauen.

Kritische Stimmen werden vor allem wegen bestehender Rechtsverhältnisse laut. In Deutschland besteht keine Pflicht, sexuelle Übergriffe anzuzeigen. Außerdem ist der Missbrauch oftmals schon verjährt, bevor sich Opfer zu einer Anzeige entschließen. So wurde auch das Verfahren gegen den Internatsleiter der Odenwaldschule vor elf Jahren wieder eingestellt, weil die Übergriffe zu weit zurücklagen. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen drei und zwanzig Jahren.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan, CDU, hat sich deshalb für eine Verlängerung der Fristen ausgesprochen. Auch Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein, fordert eine Überprüfung der Verjährungsdauer. Leutheusser-Schnarrenberger lehnt längere Verjährungsfristen hingegen ab. Stattdessen möchte die FDP-Politikerin einen runden Tisch mit Vertretern der Kirche, Heimträgern und Jugendhelfern zum Thema Kindesmissbrauch und Kinderpornographie einrichten, wo über „freiwillige Entschädigungszahlungen“ der katholischen Kirche und Vorbeugungsmaßnamen beraten werden soll.

Klar ist: Politiker stehen zusehends unter Druck, Veränderungen einzuleiten, um Missbrauchsfälle zügig aufklären zu können. Unklar ist wie.

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