Selbstversuch Paintball: Ballert weiter, Mutti wäscht!

"Paintball" soll verboten werden. Ein Kriegsspiel, sagen die Kritiker. So ziehe man Amokschützen groß. Ist das so? Ein Selbstversuch.

Einfache Regeln: Das eine Team schießt auf das andere. Wer übrigbleibt, gewinnt. Bild: dpa

Da drüben hinter dem Baumstamm versteckt er sich. Mein Herz klopft, ich kann kaum atmen hinter meiner Schutzmaske. Er sieht mich nicht.

Die Spieler: Laut Deutscher Paintball Liga haben schon mehr als 100.000 Menschen in Deutschland mit Paintball-Waffen aufeinander geschossen. 1.700 tragen regelmäßige Turniere aus.

Die Verbotsdebatte: Der Amoklauf von Winnenden war der Anlass für Politiker, die schon länger ein Paintball-Verbot im Auge hatten, dies voranzutreiben.

Die Partei: Die Interessenvertretung Pro-Paintballsport will mit einer eigenen Partei ein Verbot verhindern. Zitat: "Genauso gut könnte die Innenministerkonferenz Fechtsport verbieten."

Ich stürme hinter dem Holzstapel hervor und richte meine Waffe auf ihn. Ich drücke ab - nichts. Noch mal - nichts. Fuck. Keine Kugeln mehr. Jetzt sieht er mich. Er schießt, links und rechts fliegen die Geschosse an mir vorbei. Ich renne los, stolpere durch den Matsch und rette mich in eine Holzhütte. Die Kugeln prasseln gegen die Bretter. Tok. Tok. Tok. Warum tue ich mir das an?

Ich öffne den Munitionspack an meinem Gürtel, will neue Kugeln rausholen. Vor lauter Panik fällt mir die Hälfte in den Schlamm. Ich lade durch und suche meinen Gegner. Wo ist er?

Plötzlich trifft mich eine Kugel am Arm, orange Farbe spritzt auf meinen grünen Overall. "Scheiße, Hit", rufe ich und strecke meine Arme in die Luft. "Ich bin getroffen."

Verdammt, das tut weh!

Als ich vom Feld schleiche, frage ich mich: Was macht eigentlich meine Kollegin?

Hinter einem kleinen Wall aus Ästen kauere ich, seit das Spiel begonnen hat, in einer Schlammpfütze. Mein Herz rast und der Brustpanzer sorgt dafür, dass es nur noch schlimmer wird. Meine Finger verkrampfen sich um den Abzug des Gewehrs. Ich soll die Gegner abschießen - aber ich sehe keine. Schüsse fallen. Was soll ich machen? Am besten erst mal nicht auffallen. So funktioniert doch Guerillakampf! Auf einmal sprintet mein Kollege in eines der Holzhäuser und wird beschossen. Er schreit. Und ist raus.

Ich bleibe in meinem Versteck und sehe drei Gegner auf mich zukommen. Ich muss sie nur der Reihe nach abschießen. Zitternd hebe ich zum ersten Mal meine Knarre und ziele.

Da winken mir meine Gegner zu. "Wir sind alle getroffen", ruft einer. Das erste Gefecht ist vorbei, ohne dass ich auch nur einmal gefeuert hätte. "Du weißt schon, dass du die anderen abschießen sollst, sagt einer vorwurfsvoll.

Paintball für 129,90

Der Kriegsspielplatz liegt in einer ehemaligen Kaserne der Nationalen Volksarmee im thüringischen Tautenhain, in der Nähe des Kurorts Bad Klosterlausnitz nordwestlich von Gera. "Paintball Jungle" steht in krakeliger Handschrift auf einem Zettel am Kasernentor.

Zu DDR-Zeiten war hier die NVA-Raketenbrigade "Otto Schwab" stationiert, um im Ernstfall die Feinde aus dem Westen zu bekämpfen - heute beschießen sich hier erwachsene Männer aus Ost und West mit Farbe. Für 129,90 Euro gibt es ein ganzes "Paintball-Wochenende" mit Übernachtung im nahe gelegenen Waldhotel "Ziegenböcke" - fünf halbe Liter Bier pro Abend inklusive. Gut 60 Männer sind heute hierhergekommen - und zwei Frauen.

Als wir in der Kaserne eintreffen, sehen wir sofort eine Gruppe von Männern in Tarnkleidung und Bundeswehrklamotten. Einer trägt einen Pullover mit dem Schriftzug "Isaf" - so heißt die Nato-Truppe in Afghanistan. Auf dem T-Shirt eines anderen steht: "Hell is here".

Alles nur Leistungssportler? Wir überlegen, ob wir überhaupt aus dem Auto aussteigen sollen.

Der Weg führt über grasbewachsene Betonplatten zu einem rostigen Hangar. An einer Bar, über der ein Tarnnetz hängt, steht der Betreiber des Paintball-Jungle, ein sympathischer Mittvierziger mit Ziegenbärtchen, langen Haaren und Schiebermütze. Er nennt sich Griffin.

Auf Holzbänken hat sich eine Gruppe Männer breitgemacht. Gefechtspause. Es sind Firmenkollegen, und offenbar haben sie später noch etwas vor. "Wir gehen noch in den Titty-Twister", ruft einer. Erst ballern und dann in die Table-Dance-Bar - ein hübscher Sonntagsausflug.

Griffin erklärt uns die verschiedenen Ausrüstungspakete. "Sniper" oder "Standard"? Wir wählen die Variante "für alle, die mehr wollen". Gesichtsschutz. Olivegrüner Overall. 500 Farbkugeln. Zwei Munitionstanks. Und ein schwarzes Gewehr, den "Tippmann Custom 98." Die Betreiber selbst sprechen nicht von Waffen, sondern von "Markierern". Frauen erhalten noch einen Brustpanzer kostenlos dazu. "Ein blauer Fleck auf der Brustwarze kann unangenehm sein", warnt Griffin.

Seine Lebensgefährtin erklärt uns die Regeln. Aber viel zu erklären gibt es da nicht. Das eine Team schießt auf das andere. Wer übrig bleibt, gewinnt.

"Man kann auch Elimination spielen", sagt Griffin. Was das ist, wollen wir wissen. "Da zählen nur Kopfschüsse." Von draußen hören wir Schreie und ein lautes Rattern.

Wir wollen uns der Gruppe anschließen, die am harmlosesten wirkt, und finden fünf Studenten aus Bayern. Einer trägt ein Zwischending aus Palischal und Küchentuch um den Hals. Die Jungs sehen nicht nur harmlos aus, sie sind es. Einer wird nach dem Gefecht orange Farbe auf seinem weißen T-Shirt haben und sagen: "Mutti wäscht."

Wir ziehen die olivgrünen Overalls an, binden uns die Munitionspacks um die Hüften und gehen mit den Bayern zum ersten Spielfeld, dem "Village". Apocalypse Now: Hütten, eine Feuerstelle, ein Dorfbrunnen, Hühner, die mit dem Kopf nach unten hängen - hier sind sie aus Gummi.

Wir liefern uns mehrere Gefechte mit den Bayern zum Warmwerden. Und um Hemmungen abzubauen. Bis eine Gruppe von Leipzigern in schwarzen Kapuzenpullis und Sporthosen auf uns zukommt. Einer wird "Funker" genannt, der andere "Sniper" - Scharfschütze. Sie fordern uns heraus.

Als ich die Maske aufsetze, verspüre ich endlich den Adrenalinkick, von dem die Jungs die ganze Zeit reden. Jetzt will ich auch jemanden abschießen, nicht nur selber die Schmerzen der aufprallenden Kugel spüren.

Ich verschanze mich mit drei anderen am Fuß des abschüssigen Geländes. "Zwei frontal, einer links. Wir lassen sie kommen", ruft einer.

Plötzlich ein Kugelhagel auf den Bayern vor mir. Er dreht sich um: "Übernimm du!" Ich ballere los. Jemand schreit. Hab ich getroffen? Dann fliegen mir die Kugeln um die Ohren. Der Bayer ruft nur: "Deckung". Ich ducke mich hinter ein paar Grashalme. Ich atme durch, presse meinen Körper auf den matschigen, mit Farbe verschmierten Boden. Neben mir plätschert ein kleiner Bach. Die Sonne scheint durch die Bäume auf meinen Brustpanzer. Mir wird heiß, ich schwitze. "Why?", frage ich mich. Dann trifft mich eine Kugel am Hals.

Der Student neben mir gibt mir ein Handzeichen. Soll ich ihm Deckung geben? Plötzlich stürmt er nach vorne. Ich schieße wild in den Wald hinein. Hinter einer Baumwurzel fliegen Kugeln zu uns herüber. Wer schießt da?

Ich versuche mich hinter einer Birke zu verstecken, bis ich merke: Sie ist viel zu dünn für mich. Ich werfe mich auf den Boden, über mir zischen die Kugeln hinweg. Was jetzt?

Ich halte meine Waffe über mich in die Luft und schieße. Fünfmal, zehnmal, zwanzigmal. Mein Atem stockt. Habe ich ihn getroffen? Kann ich aufstehen? Ich richte langsam meinen Oberkörper auf - und die Kugeln jagen schon wieder knapp an mir vorbei. Er ist keine zwanzig Meter von mir entfernt. Ich ziele auf ihn, drücke ab.

Tok. Tok. Zwei Kugeln treffen mich, eine auf die Brust, eine an der Hand. Verdammt, tut das weh! An einem Finger sehe ich etwas Blut zwischen der orangenen Farbe.

Ich schaue nach meinem Gegner und sehe: Er hat auch eine Farbkugel abbekommen - direkt im Gesicht, das Visier ist verschmiert.

"Und jetzt?", frage ich ihn. "Double-Kill", antwortet er. Wir sind beide tot. Unentschieden.

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