Homosexuelle in Serbien: Kein Outing, keine Experimente

In Belgrad findet der 53. Eurovision Song Contest statt. Das Festival ist vor allem bei Schwulen und Lesben beliebt. Doch wie lebt es sich eigentlich als Homo in Serbien?

Boris Milicevic auf einer Homo-Demo in Zagreb. Bild: privat

Boris Milicevic humpelt, sein Fuß ist gebrochen. Nein, er ist zwar eine bekannte, in manchen serbischen Gemütern sogar verhasste Figur, aber er hat sich die Verletzung nicht bei einem Überfall auf ihn zugezogen, sondern vor zwei Wochen bei einem seiner geliebten Fallschirmsprünge.

Milicevic, 34, sagt freimütig: "Ja, ich bin schon öfter körperlich attackiert worden." Sein Gesicht ist bekannt, er ist das Gesicht der serbischen GLBT-Bewegung, der Bügerrechtsbewegung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender. Er ist während der Tage des Eurovision Song Contest gern bereit für eine Verabredung. Treffpunkt: das Drive-In einer amerikanischen Imbisskette, gleich unterm Sonnenschirm. Sobald einer der Nebentische besetzt wird, senkt sich seine Stimme: "Serbien ist noch kein gutes Pflaster, um als schwuler Mann unbehelligt leben zu können oder wenigstens Respekt zu geniessen." Der Journalist hat sich aber längst geoutet. Über eine Fernsehsendung. Das Einzige, was ihm seine Kollegen und Vorgesetzten später vorwarfen, war, dass er sie nicht ins Vertrauen gezogen hatte - "heute weiss ich, dass sie freundlich sind und keinen Hass gegen Andere, welcher Art auch immer, verspüren."

In Belgrad findet der 53. Eurovision Song Contest statt. Und wie bei diesem Festival üblich, ist das Gros der Journalisten und Fans eben nicht heterosexuell, die Parties im Euroclub auf der Rückseite des Pressezentrums im Sava-Zentrum gleichen einer monströsen Crusing-Area plus Dancefloor auf postsozialistischem Teppichboden. 15.000 Menschen aus 46 Ländern sind zu diesem Ereignis in die serbische Hauptstadt gekommen. Doch eine Manifestation des Christopher-Street-Days, beispielsweise am Sonnabend vormittag vor dem Finale, lehnt Boris Milicevic unverhohlen ab. “Für die Sicherheit hätte niemand garantieren können.”

Serbische Nationalisten, ohnehin unzufrieden mit dem Wahlergebnis, haben sich auf Homophobie als Kern ihrer Wut geeinigt - wie in allen anderen postsozialistischen Ländern auch. Milicevic berichtet: “Schon Mitte der Achtzigerjahre, als die Mauer noch stand, war in Jugoslawien alles leicht im Aufbruch. Auch wir als Homosexuelle konnten das spüren.Die jugoslawischen Sezessionskriege haben diesen politischen Frühling vollständig zerstört. 90 Prozent der wehrfähigen Männer verließen fluchtartig das Land – aus Angst, in den Krieg ziehen zu müssen. Und sie kamen später nicht wieder. Und waren sie schwul, hielten sie den Mund.”

Das traditionelle Lebensmodell von Homosexuellen in der illiberalen Gesellschaft feierte eine Renaissance: Kein Outing, keine Experimente, als Schwule oder Lesben zu leben, sondern - falls keine Flucht ins westliche Ausland gelingt - die heterosexuelle Scheinheirat. Dann erst wird man in Ruhe gelassen. Als Slobodan Milosevic noch regierte und zum Hass aufstachelte, hieß es in der Propaganda, dass nach Jugoslawien auch Serbien zerschmettert wurde – und um das zu verhindern, seien serbische Männer aufgefordert, wollen sie echte Männer sein, serbische Kinder zu zeugen. Milicevic: “Das Rollenmodell für einen Mann war eng umrissen. Er musste einen Körper wie ein Bulldozer haben, er durfte nichts Weiches zeigen, keine Gefühle, oder wenn, dann nur solche des Triumphes über andere.” Er hatte “Eier so groß wie das Amselfeld” zu zeigen – ein “klerikalnationalistischer Supermacho”.

Immerhin, die Befürchtungen von Eurovisionsbesuchern, in Serbien nicht sicheren Boden zu betreten, wurden von Staatspräsident Boris Tadic umgehend entkräftet. Eine Fülle von zivilen oder uniformierten Sicherheitsbeamten guckt, dass niemand von Schlägerbanden wie “Obraz” behelligt wird. Ein Erfolg, so Milicevic, denn erstmals habe sich eine serbische Regierung die Wünsche von Homosexuellen zu eigen gemacht – die Christopher-Street-Parade vor sieben Jahren wurde, in einer Allianz von Obraz-Leuten und Polizei militant zermörsert. Mit Hilfe der britischen Botschaft konnten Milicevic und Freunde einen LGBT-Flyer entwerfen – mit Notrufnummern und Erste-Hilfe-Stationen für Eurovisionsbesucher aus dem queeren Spektrum.

Die Eurovisionstouristen halten sich wirklich an den vorgeschlagenen Comment. Bloss nicht auffallen, keine, wie es vorher hieß, allzu offensichtlich “effiminierten Manifestationen in der Öffentlichkeit”, keine Ausfluege in Siedlungen, wo krasse Armut herrscht. Dennoch. Die Lage in Serbien, so Milicevic, sei nicht aussichtslos, aber in Bälde sei kein Aufschwung libertärer Lebensstile zu erwarten. Die Lage sei angespannt, der Krieg noch nicht verdaut, Kriegsverbrecher genössen immer noch Kredit, der serbische Supermacho werde noch in Ehren gehalten, besser, “man übt sich noch in Vorsicht”.

Er könne inzwischen offen auftreten, aber eine solche quirlige Szene wie in Berlin, Stockholm, Madrid oder anderen europäischen Metropolen werde es in Belgrad lange nicht geben. Was wäre denn behilflich? Milicevic: “Es muss langsam wachsen. Wir wünschen uns, dass viele nach Belgrad kommen. Dass die westlichen Länder uns unter die Arme greifen, indem sie einfach Kultur herschicken. Filmfestivals veranstalten. Oder dass schwule oder lesbische DJanes Platten auflegen. Oder dass es Konzerte gibt, so dass es irgendwann normal ist, nicht normal sein zu müssen.

Milicevic wirkt erstaunlich gelassen. “Ich muss es sein. Mein Land kann gerettet werden. Vom Nationalismus. Vom Machotum. Wir können nicht aufgeben, sonst hätte sich alles nicht gelohnt.”

(Übersetzung der Aussagen von Milicevic: Bojan Suman, Stuttgart/Belgrad)

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