Ted Gaier über Hamburgs Raumkonflikte: "Kultursozialismus? Wir haben gelacht"

Um den Ausverkauf Hamburgs an Investoren zu stoppen, hat Ted Gaier von den Goldenen Zitronen das Manifest "Not In Our Name, Marke Hamburg", mitinitiiert. Ein Gespräch über "die hohle Verwertungslogik".

Im Schanzenviertel flankiert die Polizei die Hamburger Verwertungsstrategie mit Erfrischungsmaßnahmen: "Florida-Boy" kommt da aber nicht aus den Düsen. Bild: rtr

taz: Herr Gaier, Sie sind einer der Initiatoren des Manifests "Not In Our Name, Marke Hamburg", das sich gegen den Ausverkauf Hamburgs an Investoren wendet. Warum kam das Manifest gerade jetzt?

Ted Gaier: Wir haben jetzt einen Zeitpunkt, wo Leute mit dem unterschiedlichsten sozialen Background die Schnauze voll haben vom neoliberalen Ausverkauf der Stadt. Einfach, weil dieser Prozess alle betrifft. Schlagworte wie "Unternehmen Hamburg" kamen zwar von der SPD-Regierung, aber seit Schill/Beust wird die Ideologie des Verschacherns an den Meistbietenden eine ganze Ecke verschärfter durchgezogen. Mit denen ist der Kaufmannsgeist durchgegangen.

Der Musiker: Geboren 1964 in Stuttgart, ist er neben Schorsch Kamerun das letzte noch verbliebene aktive Gründungsmitglied der Goldenen Zitronen. Er ist Texter, Bassist, Gitarrist und Keyboarder der Hamburger Band.

Die Band: Die Goldenen Zitronen haben gerade ihr neues Album "Die Entstehung der Nacht" veröffentlicht. Nächste Tourtermine: heute Abend in Stuttgart, am 11. in Darmstadt, am 13. in Bremen und am 14. im Uebel und Gefährlich in Hamburg.

Das Manifest: Das von Ted Gaier mitinitiierte Manifest "Not In Our Name, Marke Hamburg!" ist zu lesen unter www.buback.de/nion

Warum sind Sie überhaupt in Hamburg und nicht in Berlin?

Solche Fragen entscheidet man ja erst mal mit 19, wenn man sich in der Provinz überlegt: Wo gehe ich hin? Hamburg war für mich interessant, weil es neben dem Schnösel-Hamburg immer auch Orte gab, die sich der staatlichen Kontrolle entzogen.

Orte wie St. Pauli?

Ja, so etwas gibt es in Süddeutschland nicht. Ich kam 1983 her und da war der Kiez wie in dem Udo-Lindenberg-Song "Kulisse fürn Film, der nicht mehr läuft". Ich hab 15 Jahre lang in einer Ladenwohnung am Fischmarkt gewohnt - ohne Bad, mit Kohleofen. Tür an Tür mit dem Punkerladen Kravall 2000, zwei Minuten von der Hafenstraße entfernt. In einer vergessenen Zone, wo wir wirklich machen konnten, was wir wollten Das war genau das Leben, das ich gesucht hatte.

Da waren Sie Punk?

Da war ich im Punkmilieu, war aber Teddy Boy. Das war eine interne Rebellion gegen Punktum unter Punkvoraussetzungen. Deswegen heiße ich Ted, weil ich der Ted unter den Punks war. Als Punk oder Teddy Boy war es hier gar nicht so easy, über den Kiez zu laufen. Man konnte schnell Ärger mit Luden bekommen. Aber ich wollte in St. Pauli wohnen. Klar, gab es damals schon diese Perlenkettenpläne, aber die wurden durch die Kämpfe um die Hafenstraße zunächst verhindert.

Aber jetzt ist sie da, diese schicke Reihe von Glasbauten an der Elbe.

Na gut, aber wenn es ein Beispiel für verzögerte Gentrifizierung gibt, dann muss man doch die Hafenstraße nennen. Für die Szene war das ein unglaublicher Erfolg. Man hat die Machtfrage auf diese militante Art gestellt - und es hat funktioniert. Das prägt das Viertel bis heute und ist auch einer der Gründe, warum es in den letzten Monaten geglückt ist, die sehr heterogene Nachbarschaft gegen die Investorenpläne zu mobilisieren.

Aber die Hafenstraße ist jetzt weitgehend ruhig, oder?

Heute sind das zum großen Teil auch ganz andere Leute, das ist ein anderes Klima. Damals hattest du nur was zu melden, wenn du nachweisen konntest, dass du mit einem Fuß im Knast stehst und nah an den RAF-Gefangenen dran bist. Ernstgenommen wurden wir mit den Zitronen erst mit der Zeit. Für Polittypen war unsere Lustigkeit ein rotes Tuch. Geblümte Schlafanzüge und Plateauschuhe, das war den aufrechten Kämpfern suspekt. Ich habe dabei jedenfalls gelernt, dass es bei politischen Kämpfen auch um das Offenhalten einer Verschiedenartigkeit geht. Bambule war ja auch so ein Fall.

Der Bauwagenplatz in St. Pauli?

Ja, wer will so einen Lifestyle denn haben? Aber darum ging es bei den Protesten auch nicht. Man wollte sich solidarisch zeigen mit denen. Dass es nicht Sache eines rechtsradikalen Senators und eines bürgerlichen Bürgermeisters ist, zu entscheiden, wie man hier leben darf und wie nicht. Ich will Stylekämpfe nicht grundsätzlich von politischen Kämpfen trennen. Aber ich denke, wenn mans ernst meint mit bestimmten Grundsätzlichkeiten, wird die Frage, ob diejenigen, mit denen man für eine Sache eintritt, hässliche Wollpullis und Dreadlocks tragen, nebensächlich. Das finde ich auch problematisch an jemandem wie Jan Delay, für den am Ende des Tages seine Nikes wichtiger sind als politische Inhalte.

Trotzdem wirbt nun das Stadtmarketing in Broschüren auch mit Ihrer Band, den Goldenen Zitronen.

Als wir mit unserer WG hier auf die Reeperbahn gezogen sind, meinten die von der Wohnungsgesellschaft: "So Leute wie Sie wollen wir hier, das ist gut. Der Subtext davon ist: "Anders als die Kanaken da unten, die sollen nämlich weg." Ich bin aber froh, dass es die gibt. Und den Kampf, den wir jetzt mit dem Manifest angestoßen haben, führen wir gemeinsam mit unseren Nachbarn, egal wer sie sind.

Könnte man nicht auch sagen: Hinter Ihrem Manifest steht ein Bündnis gegen Veränderung?

Der Kiez hat sich immer verändert, das ist nicht das Problem. Wenn eine Puffbar dicht macht und jemand im selben Interieur einen coolen Laden macht, macht er das vor allem der Sache wegen. Klar freut er sich, wenn er damit gut verdient, aber auf alle Fälle gibts da einen Bezug zur Umgebung. Was anderes ist es, wenn ein Investor nach einem Masterplan vorgeht, einen Straßenzug kauft und dann errechnet, wie viel Profit man aus der Quadratmeterzahl des Grundstücks rausschlagen kann, und anfängt zu überlegen, was da rein soll: Büroräume? Pennymärkte? Eine Endoklinik? Und vier wichtige Clubs sollen dafür weichen.

Wollen Sie die Freiräume im Kapitalismus erhalten oder wollen Sie ihn überwinden?

Überwinden? Klar gerne, geht nur gerade nicht. Das Manifest ist auch ein Versuch, eine andere Sprache zu sprechen. Wir könnten da auch in einem antikapitalistischen Kommandoton losbrettern, aber darum geht es nicht. Eine andere Sprache gegen die herrschende Sprache zu stellen, ist immer auch ein Kampf für ein Anderes, von dem natürlich niemand genau benennen kann, wie das eigentlich aussieht. Die Kämpfe sind nicht nur territorial, es geht auch um Sprache, soziale Codes und so was.

Das Manifest klingt sehr freundlich: "Bitte hört auf mit dem Scheiß."

Das Manifest vermittelt aber ganz klar den Eindruck, dass für einen Haufen Leute andere Sachen zählen als die lahme hohle Verwertungslogik. Es kann neue Netzwerke schaffen. Was dieser Farid Müller gesagt hat …

der kulturpolitische Sprecher der in Hamburg regierenden Grünen …

… Da haben wir gut gelacht, als wir hörten, dass er das Manifest als "kultursozialistisch" bezeichnet. "Kulturbolschewismus" haben die Nazis gegen linke Kulturschaffende gesagt. Wenn es sozialistisch sein soll, eine Stadt zu fordern, in der nicht alles dem Markt untergeordnet ist, dann meinetwegen, na und? Daran sieht man nur, wie neoliberal die Hamburger Grünen geprägt sind und in der Regierungskoalition hier in Hamburg auf Linie liegen.

Glauben Sie ernsthaft, dass Sie jetzt eine Chance haben?

Es geht darum, sich bewusst zu machen, wie man sich organisieren kann. Das Schlimmste ist ja, sich gegenüber allem, was einem aufgezwungen wird, ohnmächtig zu fühlen.

Was erwarten Sie von der Hamburger Politik?

Die sollen einfach begreifen, dass der Wert einer Stadt in ihrer Heterogenität liegt, in der Unterschiedlichkeit ihrer Bewohner und ihren Aktivitäten. Die Frage ist, ob man einstampft und sagt: Alles ist Markt. Oder ob man sagt: Das ist nicht alles Markt, wir lassen Freiräume.

Die Stadt Hamburg macht genau mit diesen Freiräumen Werbung.

Cleverer wären sie allemal, wenn sie die Leute machen ließen und nicht versuchen würden, alles in ein Raster reinzupferchen. Nach Hamburg sind mehr kreative Leute wegen der Roten Flora und der Hafenstraße gezogen als wegen Color Line Arena und Hafencity. Eigentlich sind Werbestrategen da auch schon weiter.

Gibt es keinen Widerspruch zwischen den politischen Kämpfen und Ihrem Leben als Künstler?

Für mich steht das in einem direkten Zusammenhang. Ich habe den Widerspruch nie so wahrgenommen. Eigentlich handeln unsere Texte immer von sozialen und politischen Verhältnissen. Ich habe mit dem Bekennertum auch kein Problem. Wir haben uns auch immer als ein Teil von Bewegungen verstanden.

Sie haben aber auch bei einer Pro-System-Aktion unter dem Motto "Helft den Reichen" mitgemacht?

Das war im Zuge von Schlingensiefs "Notruf Deutschland"-Aktion, mit dem Mischmasch aus Obdachlosen und Theaterpublikum. Aus dem Umfeld des Pudel-Clubs haben wir Aktionen im öffentlich Raum gemacht, uns verkleidet, Dienstleistungen angeboten. Weil: "Wenns den Reichen gut geht, dann geht es uns auch gut." Wir haben bei Gucci Taschen getragen und am Neuen Wall Porschescheiben geputzt. Das waren bizarre, komische, spontimäßige Aktionen - ist lange her. Das war 1998. Ich bin dieser clownesken, überaffirmativen Humorschiene aber ein bisschen überdrüssig geworden.

Das Lachen ist Ihnen vergangen?

Das ist eine Aktion, die macht man einmal. Ich finde es gut, dass es jetzt gerade so legalistisch ist. Aber man sollte nicht vergessen, dass es auch ungemütlich werden kann, wenn weiterhin so systematisch großen Teilen der Bevölkerung vor den Kopf gestoßen wird. Es ist nicht verkehrt, in militantem Widerstand auch eine Option zu sehen.

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