Brockhaus künftig nur noch Online: Abschied vom Bildungsbürgermöbel

Es sieht ganz so aus, als wäre die 21. Auflage des Brockhaus die letzte ihrer Art - trotz ihrer haptischen Qualitäten. Ein Abgesang.

Immer dann, wenn gar nichts mehr hilft, wird sie eilig übergestreift wie eine rhetorische Schwimmweste: die Haptik.

Haptische Wahrnehmung, also das Erfühlen von Objekten, ist immer toll. Haptik ist vor allem der einzige Reiz, für den die digitale Revolution noch keine Entsprechung gefunden hat. Deshalb beruft sich ja auch die Plattenindustrie mit rührender Hilflosigkeit auf die Haptik, die ihre billig produzierten Plastikschachteln dem wuchernden Angebot von Onlinemusikdiensten voraus hätten. Und deshalb war vom Brockhaus-Verlag seit Jahren die leicht nervöse Beschwichtigung zu hören, Onlinewissensdienste wie Wikipedia fürchte man nicht, fehle es dem konkurrierenden Internetlexikon doch an den guten alten, nämlich haptischen Qualitäten.

Zwar darf bezweifelt werden, dass sich jemand allen Ernstes 30 Bände für 2.670 Euro anschafft, weil sie sich "gut anfühlen". Nicht von der Hand zu weisen ist aber, dass sie gut aussehen.

Zuletzt war es vor allem das Ende der Diskussion um die Rechtschreibreform, die dem Verlag noch einmal den Hals rettete. Mehr als eine Million verkaufter Rechtschreibduden bescherte der Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG noch 2007 einen eher unerwarteten Umsatzsprung. Hinzu kamen, wie es sich für schlau diversifizierende Unternehmen geziemt, Themenlexika in Zusammenarbeit mit Geo, eine neue Lizenz für das Guiness-Buch der Rekorde sowie das solide Kalendergeschäft. Noch auf der vergangenen Buchmesse in Frankfurt protzte der Verlag - nach dem Motto: "Was du nicht verbergen kannst, das betone!" - mit überdimensionierten Brockhaus-Brocken im Stonehenge-Format. Was über den massiven Einbruch im Geschäft mit Nachschlagewerken allerdings nicht hinwegtäuschen konnte. Der Markt habe sich "schneller gedreht" als erwartet, erklärte Brockhaus-Vorstand Marion Winkenbach: "Die Marktanalysen zeigen eindeutig, dass die Kunden künftig Sachinformationen in erster Linie online nachschlagen werden", so ein Sprecher: "Die 21. Auflage der 'Brockhaus Enzyklopädie' war voraussichtlich die letzte - ab jetzt findet alles online statt."

Die Verlagsleitung denke daher über "umfassende Kostensenkungsmaßnahmen" nach und prüfe einen sozialverträglichen Personalabbau "in der Größenordnung von um die 50 Stellen" am Standort Mannheim. Derzeit beschäftigt die Gruppe bundesweit noch rund 450 Mitarbeiter, davon etwa 250 in Mannheim.

"Relevante und geprüfte Informationen aus allen Wissensgebieten" möchte der Verlag freilich weiter liefern, ab Mitte April mit einem kostenlosen Lexikon-Portal namens "Brockhaus online", das sich als eine Art zertifiziert-seriöse Alternative zu Wikipedia etablieren will. Das wird schiefgehen. Mangels Haptik.

Denn war es nicht sein enormer Protzfaktor, der dem Brockhaus seinen Stammplatz im Bücherregal bürgerlicher Haushalte sicherte? Der Brockhaus, das war das Wissen der Welt, meterlang und kiloschwer, enzyklopädisch geordnet, in Leder gebunden und mit goldenen Lettern versehen - und notorisch veraltet (siehe Kästen).

Zu bedauern ist das deshalb nicht. Schon 1796, in seiner 1. Auflage, war es ein "Conversations-Lexicon oder kurzgefasstes Handwörterbuch für die in der gesellschaftlichen Unterhaltung aus den Wissenschaften und Künsten vorkommenden Gegenstände mit beständiger Rücksicht auf die Ereignisse der älteren und neueren Zeit".

Und bei der "beständigen Rücksicht" auf die Zeitläufte war die Haptik immer schon Störfaktor und Ballast.

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