Konvent für Deutschland: Ein letztes Rucken

Unverdrossen forden Roman Herzog und sein "Konvent für Deutschland" eine "Reform der Reformfähigkeit". Dabei sind sie es selbst, die mit jeden Veränderungswillen ausgelöscht haben.

Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), RWE-Vorsitzender Jürgen Großmann und der Boss des Konvents für Deutschland, Hans-Olaf Henkel (von l.-r.), bei der Vorstellung ihres Buches. Bild: dpa

Immerhin wissen wir jetzt, dass die Ruck-Redner ihre monotonen Pamphlete selbst nicht mehr zur Kenntnis nehmen. "Ich gestehe, dass ich die 600 Seiten noch nicht durch habe", sagte der frühere Bundespräsident Roman Herzog am Mittwoch bei der Vorstellung eines dickleibigen Interviewbands, den sein "Konvent für Deutschland" herausgebracht hat. "Ich habe auch noch nicht alles gelesen, aber schon vieles", assistierte Konventsmitglied Wolfgang Clement - und fügte als Egozentriker hinzu: "Vor allem, was ich selbst geschrieben habe."

Herzog hat also das Vorwort zu einem Buch verfasst, dessen Inhalt er gar nicht kennt. Fünf Ex-Politiker und Wirtschaftsführer haben die Presse zur Präsentationen eines Werks eingeladen, das offenbar nicht einmal sie selbst für lesenswert erachten. Das Letztere kann man ihnen nicht verdenken, denn der Band ist tatsächlich von einer kaum fassbaren Trostlosigkeit. Es reden ausschließlich Politiker und Wirtschaftsführer, zu 93 Prozent Männer, fast alle weit über fünfzig, außer einem Engländer und einem Amerikaner allesamt Deutsche ohne Migrationshintergrund.

Von Innovation und Aufbruch keine Spur. Das neue Deutschland, das sich in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Politik, aber auch gegen ihren Widerstand oder ganz ohne sie entwickelt hat - es kommt einfach nicht vor. Niemand aus Kultur oder Gesellschaft darf das Wort ergreifen, keiner lobt Fortschritte und Vielfalt, der Reformbegriff bleibt aufs Ökonomische verengt.

Kaum hatten Herzog, Clement und der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel ausgeredet, da war sonnenklar: Diese Männer sind nicht Teil der Lösung, sie sind Teil des Problems. Als die rot-grüne Regierung das Land reformierte, gingen die Veränderungen niemals weit genug. Nichts wurde anerkannt, alles heruntergeredet, Gerhard Schröder aus dem Amt gejagt. Gleichzeitig torpedierten die professoralen Reformrhetoren, ohne jedes Gespür für Takt und Tempo, mit maßlosen Forderungen die Wahlkampagne Angela Merkels. Nun wundern sie sich darüber, dass die Parteien von ihren oberlehrerhaften Ratschlägen für eine "Reform der Reformfähigkeit" nichts mehr wissen wollen.

Letztlich waren es Herzog und seine Gesinnungsgenossen, die mit ihren zutiefst unpolitischen Kampagnen die Reformära in Deutschland beendeten und das Wort "Reform" auf eine Weise in Misskredit brachten, dass es jeden interessierten Staatsbürger schmerzen muss. Es stimmt zwar, dass dem Reformbegriff schon mindestens seit Martin Luther eine Komponente der kasteiung innewohnte: keine Musik mehr in der Kirche, keine Bilder mehr auf den Altären, kein leichtes Leben mehr auf Ablassschein. Wer aber den Leuten immer nur erklärt, warum sie mit weniger Lohn, weniger Rente, weniger Arztbesuchen auskommen müssen - der wird sie nicht begeistern können, vor allem dann nicht, wenn er selber im Hotel Adlon tagt. Reformieren müssen sich immer nur die anderen: Auch das ist eine Konstante des Reformdiskurses seit Jahrhunderten.

Bei Luther triumphierten am Ende Katholizismus und Gegenreformation, bei Roman Herzog die Linkspartei. Ausgerechnet im Bündnis mit den ostdeutschen Reformkommunisten wollen Oskar Lafontaine und der nordrhein-westfälische CDU-Mann Jürgen Rüttgers das bundesdeutsche Sozialsystem wiederherstellen, wie es bis zum 2. Oktober 1990 um 23.59 Uhr bestanden hat. Dass es auch ein besseres Neues gibt, dass Flexibilisierung nicht nur schlecht ist und das alte System mit Hausfrauenbonus oder mittelständischer Statussicherung nicht nur gut: Das haben uns die Anti-Utopisten gründlich ausgeredet, zu denen Herzog genauso zählt wie Lafontaine.

Für die Einzelheiten von Chancengleichheit oder gesellschaftlicher Liberalisierung interessiert sich die Ruck-Fraktion ohnehin nicht. Dabei ist jede gelingende Reform konkret, erweist sich ihre Alltagstauglichkeit erst im Kleinen. Der preußische Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt hatte seine Klassiker selbst gelesen, der Heeresreformer Carl von Clausewitz verstand etwas vom Krieg. Das macht den demonstrativen Unernst so erschreckend, mit denen die Juristen Herzog und Clement am Mittwoch ihr inhaltliches Desinteresse zur Schau stellten.

Roman Herzog u. a.: "Mut zum Handeln. Wie Deutschland wieder reformfähig wird", Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2008, 624 Seiten, 39,90 Euro.

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