Debüt von Salvador Plascencia: Krieg der Romanfiguren

Der Debütroman "Menschen aus Papier" von Salvador Plascencia ist irre verstrahlt – und irre gut. In seinem Buch üben die Romanfiguren den Aufstand. Das bekommt auch das Layout zu spüren.

Die "Menschen aus Papier" sind starke Persönlichkeiten – und machen sogar Schnitte in die Buchseiten. Bild: promo/edition nautilus

Ein Mann nässt sich Nacht für Nacht ein. Der Uringestank im Bett, der sich auch nicht durch Minzblätter in der Matratze vertreiben lässt, schlägt schließlich seine Frau in die Flucht. Der Mann wird von großer Traurigkeit befallen, die er durch Selbstverletzungen zu heilen lernt, dann verlässt er mit seiner Tochter Mexiko und wandert nach El Monte aus, eine Stadt der Nelkenfelder und Latino-Gangs in den Suburbs von Los Angeles. Dort beginnt er, einen Krieg zu führen. Einen Krieg gegen Saturn, den neugierigen Planeten, der den Menschen von El Monte herablassend aus der Höhe seiner Umlaufbahn in ihre Gedanken und Schlafzimmer schaut. De la Fe spürt: "Wir werden belauscht und beobachtet, unser Leben wird verscherbelt, um andere zu unterhalten." Er vereint die tätowierten Blumenpflücker mit unsicherem Aufenthaltsstatus zum Krieg gegen das Dasein als Romanfiguren.

Der Debütroman des 1976 in Guadalajara geborenen und achtjährig mit seiner Familie nach El Monte ausgewanderten Salvador Plascencia ist irre. Irre verstrahlt, irre gut geschrieben, irre gut gebaut, irre gut. Neben Saturn und den Gang-Mitgliedern treten unter anderem auf: Rita Hayworth, Mönche, exkommunizierte Wunderheiler, heilige Wrestler, Saturns Exfreundin und seine neue Geliebte, ein von den Stichen der Honigbiene abhängiges Mädchen und ein zurückgebliebenes Baby, das sich als ein telepathisch begabter kleiner Nostradamus entpuppt.

Sie alle ergattern sich Platz und ihre Redeanteile im Buch, ringen sie sozusagen Saturn - der natürlich niemand anderes als der Autor Salvador Plascencia selbst ist - ab. Parallelhandlung wird in parallelen Spalten erzählt, manchmal ist das Stimmgewusel so dicht, dass Text auch waagerecht liegend auf die Seite gequetscht wird. Irgendwann kleiden die Bewohner El Montes ihre Häuser mit Blei aus, wo der Blick Saturns nicht durchkommt; sind sie im Haus, gibt es keinen Text. Außerhalb ihrer Häuser verordnen sie sich, nur zu denken, was "mit Nelken, Nutztieren oder Gegenständen zu tun hat, die zu braun oder formlos waren, um von Bedeutung zu sein". Auch so kann man dem Fortgang einer Erzählung Sand ins Getriebe streuen. Irgendwann beherrschen sie sogar, schwarze Flecken auf die Schrift klecksen zu lassen und den Text so unleserlich zu machen.

Dass die Figuren des Romans um ihre Privatheit kämpfen, ist für Saturn selbstredend ein Problem. Er muss ja schreiben, um die Frau, die ihn verlassen hat, weil er zu viel schrieb, mit einem ihr gewidmeten Oeuvre zurückzugewinnen - oder zumindest die Traurigkeit nicht überhandnehmen zu lassen. Er stellt sich den Qualen des Schreibens also aus der gleichen Motivation heraus, wie sich sein Hauptprotagonist de la Fe Brandwunden beibringt. Dass sich just dieses Alter Ego gegen ihn als allwissenden Erzähler auflehnt, verursacht bei ihm eine Schreibkrise, die ihn 100 Seiten lang von den Menschen von El Monte ablenkt und nur um sich selbst kreisen lässt. Dann aber schiebt er seinen Protagonisten die Schuld an Liebeskummer und verhunztem Romanprojekt in die Schuhe und geht im Showdown "mit ungebremster Raserei" gegen sie vor. Mehr als ganze vier Seiten als allwissender Erzähler bringt ihm das aber auch nicht ein.

Plascencia hat ein Buch gemacht, das mit einem seltenen Zauber, mit großer Fantasie, offenherzigem Exhibitionismus und viel Selbstironie den Kampf um die Entstehung einer geschriebenen Geschichte plastisch werden lässt: als eine Schlacht zwischen einem liebeskranken Planeten und einer Schar nach Kalifornien immigrierter mexikanischer Blumenpflücker. Und wenn sich das jetzt als fies formalistisches, postmodernes Kunstgetue in Sachen Metafiktion anhört - das ist es nicht. Plascencias Sprache ist anschaulich und robust und atmet den magischen Realismus eines Borges oder Marquez. Und als Federico de la Fe ganz am Ende mit seiner Tochter "nach Süden von der Seite herunter" geht und dabei keine für Saturn verfolgbaren Fußabdrücke hinterlässt, ist klar, was dieses Buch ist: eine bezaubernde Respektsbezeugung eines Autors vor seinen Figuren und den echten Menschen in seinem Leben, die er für deren Entstehung missbraucht hat.

Salvador Plascencia: "Menschen aus Papier". Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Edition Nautilus, Hamburg 2009, 243 Seiten, 19,90 €

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.