Der KiWi-Verlag fand Roches Buch pornografisch. Dabei ist es eine feministische Hommage an den Körper der Frau, geschrieben aus der Sicht einer sexfixierten Antiheldin.: Schleimporno gegen Hygienezwang

Der KiWi-Verlag fand Roches Buch pornografisch. Dabei ist es eine feministische Hommage an den Körper der Frau, geschrieben aus der Sicht einer sexfixierten Antiheldin.

Gegen Frauenrasur und parfümierte Slipeinlagen: Charlotte Roche. Bild: dpa

"Blumenkohl" nennt sie die Hämorrhoiden, deretwegen sie in der proktologischen Abteilung des Krankenhauses liegt. Helen Memel, 18 Jahre, hat sich bei einer Intimrasur derart verletzt, dass eine Operation nötig wurde. Und so langweilt sie sich im Klinikzimmer, macht sich vorsichtig an einen Pfleger ran und erzählt von: 1. sämtlichen Analsujets zwischen Sex und Schließmuskelinkontinenz, 2. möglichst antihygienisch eingesetzten Körperflüssigkeiten und 3. dem Frauen auferlegten Rasierzwang. Den findet sie bescheuert, gibt aber zu, selbst süchtig geworden zu sein, seit ein wildfremder äthiopischer Gemüseverkäufer sie wöchentlich an bestimmten Körperteilen per Nassrasur vom Pelz befreit. "Willst du mich jetzt ficken?", fragt Helen nach der ersten Sitzung den nackten Barbier. "Nein, dazu bist du mir zu jung." "Schade, darf ich mich dann bitte selber ficken, hier?" "Du bist herzlich eingeladen."

Ein bemerkenswertes Mädchen, diese Helen. Altersgemäß sexfixiert, aber mit einem großen Faible für weitere, trickreiche Obsessionen. Sie inszeniert sich als Bakterienschleuder: Hinterlegt überall getragene Tampons, damit ihr Blut unter die Leute kommt. Züchtet hingebungsvoll Avocadokerne, weil sie die schleimige Oberfläche liebt und man prima mit ihnen onanieren kann. Versucht, auf öffentlichen Toiletten möglichst viele Bakterien von der Kloschüssel mitzuschnacken. Lutscht und knabbert exzessiv jedes Fitzelchen Blut, getrockneten Schleim oder Eiter ab, das sie an sich findet.

Kiepenheuer & Witsch, bei denen die Autorin seit einem nicht erschienenen ersten Buch unter Vertrag war, hatte das Manuskript über die notorische Helen abgelehnt. Pornografie, schnaufte man, und damit ein No-no für den wohlgelittenen Verlag. Doch die Autorin heißt Charlotte Roche, ist eine der populärsten Populärkulturschaffenden, schlagfertige und geistvolle Moderatorin, Talkshowgastgeberin, Grimmepreisträgerin, Bild-Zeitungs-Gegnerin, Mutter. Der nicht weniger wohlgelittene Kölner DuMont Verlag machte daraufhin mit ihr das Buch "Feuchtgebiete" über die Hämorrhoidenpatientin. "Eine Art sexuelle Überforderung von sich selber" sei es, was ihre Heldin treibe, sagt Roche dazu im Gespräch. "Die will sich stählen für irgendwelche Ernstfälle."

Die 30-Jährige ist seit Montag auf Lesetour, in 38 Städten wird sie vom Masturbieren mit Fingern und Rasierern, vom Mitesseraufessen und vom "weiblichen Schleim" lesen. "Parfümierte Slipeinlagen", echauffiert sich Roche, "da ist die Botschaft, dass man es schaffen muss, auch abends noch frisch zu sein, damit man beim Sex nicht so doll nach Frau riecht!" Empörend findet das Feministin Roche. Der Druck, der hygienemäßig auf Frauen laste, das tägliche Pensum an Rasieren, Maniküre, Pediküre, appetitlich sein, perfekt sein, werde immer stärker. "Ich kann ja nicht eine Entwicklung stoppen", sagt Roche, "ich bin ja nicht größenwahnsinnig und denke, wenn man in ein paar Interviews sagt: 'Rasiert euch nicht mehr!', dann hören alle damit auf. Aber ich möchte fragen, ob die den Druck spüren oder ob die das wirklich freiwillig machen."

Irgendwie geht sie also auch das Thema Übersexualisierung an. Indem sie den angeblich selbstbestimmten, aber äußerlich bis zum i-Tüpfelchen den videocliporientierten Männerfantasien entsprungenen jungen Mädchen, den Shopping-Mäusen zwischen Gangbang und Poesiealbum eine Antiheldin entgegensetzt. Eine, die schwitzt und stinkt, pinkelt, kackt und Schorfe abknibbelt. Ihre Feuchtgebiete exponiert. Am liebsten ins Gesicht von Leserin und Leser.

Doch der oft ernüchternd kurzen Erregung gleich, die so ein Buch provozieren kann, findet sich außer der plauschenden Helen kaum etwas in der Geschichte. Viel zu kurz und vage erfährt man, dass Helen als Kind einen Selbstmordversuch ihrer Mutter vereiteln musste, bei dem auch ihr Bruder mit in den Tod genommen werden sollte. Inwieweit dieses Trauma mit Helens Verhalten zusammenhängt, möchte Roche nicht beleuchten - "ich mag nicht, wenn Leute sagen, die ist völlig gestört und deshalb macht sie diese Sachen". Ihr gehe es eher um "diese Grundidee von Familie, in der irgendwas Heftiges vorgefallen ist, und keiner spricht drüber. Denn das gibts oft!" Das stimmt. Aber so bleibt Helen als Figur seicht - die zurecht weitverbreitete Leidenschaft fürs Ficken und ihr Hang zur Bakterienzucht allein macht sie noch nicht zu einem Charakter, dem man gern folgt, vor allem, wenn sie auf 200 Seiten auf einer Krankenhausmatratze lümmelt und monologisiert.

Das Buch funktioniert also nur auf der Ebene der Provokation: Wie eine hysterische, teils amüsante, teils aufregende Hommage ans Unhygienische. Ein in verknapptem Teenagerstil verfasstes Pamphlet für Masturbation, ein Schocker für Menschen, die Angst vor jeglichen Körpern haben. "Das ist stellenweise absichtlich so geschrieben, dass es Männer und Frauen aufgeilt. Und wenn ich so was in der Ichform schreibe, gehe ich bewusst ein Spiel ein, mit dem ich klarkommen muss. Ich finde es auch mutig!" Es sei tatsächlich eine Menge von ihrer Persönlichkeit in Helen, erklärt Medienprofi Roche. Sie wird einkalkuliert haben, dass sich FeuilletonistInnen, die vorher eine Schwäche für das kleine schlaue Mädchen Charlotte hatten, nun angeekelt abwenden. Das ist das eigentlich Mutige an Roches Hämorrhoiden-Schmöker.

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