Koreanisches Kino: Auszeit vom Blutvergießen

"Im a Cyborg, but thats okay": Der neue Film des koreanischen Regisseurs Park Chan-wook spielt in einer außergewöhnlichen Nervenheilanstalt.

Am Telefon: Lim Soo-jung als Young-goon. Bild: rapieyemovies

Ein Film benötigt bekanntlich nicht viel mehr als ein Mädchen und eine Knarre. Besser noch, beides miteinander zu kombinieren. In japanischen Anime wimmelt es deshalb von unschuldigen Schulmädchen, die auf Knopfdruck zu wandelnden Waffenarsenalen mutieren, denen Maschinengewehre aus den Armen wachsen. In "Planet Terror" hat Regisseur Robert Rodriguez der akrobatischen Heldin die Feuerkraft mal ans Bein geschnallt. Die Frage, wie man unter solchen Umständen nachlädt, hat bislang niemand gestellt. In "I'm a Cyborg, but that's okay" des koreanischen Regisseurs Park Chan-wook schreitet Young-goon (Kim Ji-woon) zu Walzerklängen schlafwandlerisch durch die Gänge einer Nervenheilanstalt und erledigt als Körperwaffe einen Krankenpfleger nach dem anderen. Leere Patronenhülsen regnen aus ihrem Mund, Feuerblitze schießen aus ihren Fingern, während sie um sich herum alles in Schutt und Fetzen legt. Irgendwann ist die Munition aufgebraucht und Young-goon sinkt erschöpft zu Boden. Dann stehen Menschen und Dinge wieder unversehrt an ihrem Platz. Das Massaker war nur geträumt.

Man kann darin die Schlüsselszene sehen: Die Fantasie darf sich austoben, solange sie von der Wirklichkeit nicht eingeholt wird. Und in Wirklichkeit braucht selbst ein Amok laufender Cyborg irgendwann Munitionsnachschub. Nach den Gewaltexzessen seiner Rache-Trilogie (in "Oldboy" werden Zähne mit dem Hammer gezogen) wollte Park Chan-wook offenbar eine Auszeit vom Blutvergießen. Heraus kam, was der Filmemacher selbst eine "romantische Komödie" nennt, allerdings eine mit Hang zum Delirium. Mit seinen bonbonbunten Farben, seiner ausgelassenen Musik (inklusive jodelnder Koreaner) und der Choreografie seiner Bewegungen nimmt "I'm a Cyborg" gar Anleihen am Musical, wenn auch an einem, das unter lauter Verrückten spielt. Mit der beklemmenden Anstaltsenge von "Einer flog über das Kuckucksnest" hat diese Nervenklinik mit ihrem blühenden Park und den lächelnden Ärzten nichts gemein. Sogar die Gummizellen sind in freundlichem Grün gehalten, und ihre Gitterstäbe können keinen Träumenden aufhalten. So kann die Romanze zwischen Young-goon und Il-soon (Jung Ji-hoon) ihren Lauf nehmen.

Il-soon spielt exzellentes Tischtennis, trägt selbst gebastelte Hasenmasken, die ihn vor dem Verschwinden schützen, und besitzt das Talent, die Eigenschaften seiner Mitmenschen zu stehlen. Young-goon leckt an Batterien, spricht mit Leuchtstoffröhren und Kaffeeautomaten und lässt sich von ihrem selbst gebastelten Kofferradio Lektionen für ihr Roboterdasein erteilen. Denn Young-goon weiß nicht, worin ihr Zweck besteht. Darin liegt eine durchaus existenzialphilosophische Prämisse: Maschinen haben Gebrauchsanweisungen, Menschen sind zur Freiheit verdammt. Wenn es sein muss, sogar zur Narrenfreiheit. Verrücktsein ist ein Refugium. In der Welt da draußen sitzen Frauen an endlosen Fließbändern und malochen im Takt der Fabrik. Im sicheren Hafen der Klinik kann jeder ungehindert seinem Spleen frönen: rückwärts gehen, sich im Spiegel bewundern, Flugsocken tragen. Gegen solche kauzigen Individualisten wirkt das Anstaltspersonal, mit seiner geradezu manischen Freundlichkeit, wie die wahren Automaten, unbeteiligte Zuschauer eines Treibens, das sie nicht kontrollieren können. Die nicht unsympathische Botschaft von "I'm a Cyborg" lautet: Den Verrückten können wir nicht helfen, sie helfen sich gegenseitig.

Leider wird der erzählerische Überschwang, den Park Chan-wook entfesselt, von keinem Gegengewicht im Zaum gehalten, seine Lust an der Improvisation wirkt unentschlossen, nicht entspannt. Eine der Patientinnen leidet unter Mythomanie: dem Zwang, Geschichten zu erzählen, egal wie unwahrscheinlich oder inkonsistent sie sind. Davon scheint auch das Drehbuch infiziert. So besteht der Film aus vielen charmanten Einfällen, wie etwa dem, als es endlich zum Kuss zwischen Young-goon und Il-soon kommt: Einen zeitlosen Augenblick lang schwebt das Cyborg-Mädchen auf kleinen, zart summenden Raketendüsen ein wenig über dem Boden. Wenn sie noch dazu den Kopf auf den Rücken dreht, wie weiland Linda Blair im "Exorzist", kippt die Szene ins Groteske. "I'm a Cyborg" wirkt wie ein exzentrisch aufgemotzter, alkoholfreier Cocktail. So sehr man sich an seinem visuellen Irrwitz erfreut und seinen Stilwillen genießt, so wenig Nachwirkungen hinterlässt er.

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