Rosa von Praunheim: Liebe, Schwanz und Film

Seine Tante nervt, aber die Dokus sind klasse: Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim ist 65 Jahre alt geworden.

Rosa von Praunheim, der nach eigenen Angaben wohl produktivste "Schwulenfilmer der Erde", wurde am 25. November 1942 im lettischen Riga geboren, nach neuesten Recherchen in einem Gefängnis. Er wurde als etwa einjähriges Kind aus einem Waisenhaus adoptiert und trug seitdem den Namen Holger Mischwitzky. Den Künsternamen Rosa von Praunheim nahm er in Erinnerung an den rosa Winkel an - das Zeichen, das schwule Männer in KZs der Nazis tragen mussten. Den Namensteil von Praunheim entlehnte er dem zeitweiligen Wohnort seiner Familie: Frankfurt-Praunheim. Neben seinen Filmen machten Rosa von Praunheim sein Engagement gegen Aids und sein - mittlerweile aufgegebenes - Outing schwuler Prominenter bekannt.

 

Nein, es geht nicht konventionell. Ein ganz normales Porträt zu schreiben über den schwulen Regisseur Rosa von Praunheim, der am Sonntag seinen 65. Geburtstag beging und im Rahmen einer großen Retrospektive im Berliner Kino Babylon Mitte bis spät in die Nacht gefeiert wurde - das wäre unangebracht. Deshalb hier für Leser mit wenig Zeit eine schöne Zusammenfassung seiner wichtigsten Eigenschaften, die der Jubilar selbst geliefert hat, als Einstieg für seine Autobiografie "50 Jahre pervers": "Ich liebe Schwänze und freche Frauen. Ich liebe Sensationen, Provokationen und Unverschämtheiten. Ich liebe das Abenteuer, die Unruhe und harte Muskeln, ich hasse Anpasser und Feiglinge und finde Hausfrauen und Beamte exotisch. Ich liebe mich, meine Energie und mein Arschloch."

Hier nun die lange Version:

1. "Ich liebe Schwänze."

Das fing schon früh an: Rosa von Praunheim, eigentlich Holger Mischwitzky, noch eigentlicher Holger Radtke (dazu später mehr), wurde am 25. November 1942 im lettischen Riga geboren - zu einer Zeit, als die Hafenstadt gerade von deutschen Truppen besetzt war. Nach dem Krieg lebte Rosa von Praunheim mit seinen Eltern in Teltow-Seehof, hundert Meter vor Westberlin. Sein Vater war Ingenieur, seine Mutter Hausfrau. Erste eindeutig sexuelle Erfahrungen machte Rosa von Praunheim als etwa zwölfjähriger Messdiener im rheinischen Wesel, wohin die Familie 1952/53 über Westberlin geflohen war.

"Mit meinen Freunden aus der Umgebung", schreibt Rosa von Praunheim in seiner Biografie, "entdeckte ich die gegenseitige Onanie." Und: "Je mehr ich das Wichsen unterdrücken wollte, umso heftiger wurde der Drang. Zum Schluss machte ich mir eine Strichliste, um dem Priester die genaue Anzahl, wie oft ich Unschamhaftigkeit getan hatte, zu beichten. Diese Schuld verfolgt mich bis heute, ein Rest in meinem Unterbewusstsein akzeptiert Sexualität nicht."

2. "Ich liebe freche Frauen."

Das erfährt jeder schnell, der Rosa von Praunheim in seiner Altbauwohnung in Berlin-Wilmersdorf besucht. Am Klingelknopf an der Straße steht "Mischwitzky/v.Praunheim" - wortlos wird die Haustür geöffnet, die Wohnungstür ist auf. Im Wohnzimmer, fast ein Saal, fallen zuerst der viele indische Hindukitsch, die zahlreichen Poster der Filme Rosa von Praunheims und die Masse an Fotos von ihm selbst auf. Rosa hat viele Filme über und mit (frechen) Frauen gedreht. Die letzten: "Meine Mütter", "Mit Olga auf der Wolga" und "Fünf tote Studenten", worin er seine sechsjährige Erfahrung als Filmdozent in Potsdam-Babelsberg verarbeitet, wobei seine Rolle eine Frau übernimmt.

Rosa von Praunheim hat einige ältere Frauen wiederentdeckt oder gefördert - am bekanntesten ist Lotti Huber. Er setzte ihnen in seinen Filmen ironische Denkmäler. Das gilt auch für seine geliebte Tante Lucy, die er in seinem ersten größeren Spielfilm "Die Bettwurst" (1970) feiert. Der Streifen ist ein Kultfilm, warum auch immer. Seine Tante kann nicht spielen, ihre Stimme nervt, der Witz des Films wirkt eher angestrengt - aber all dies ist häufiger so in seinen Spielfilmen.

Egal, Frauen waren immer wichtig für Rosa von Praunheim. Früher, erklärt er bei einem Kaffee im Wohnzimmer, waren Frauen für ihn "erst einmal Ficklöcher", in die man "abspritzen" konnte. "Ich war eher so'n Macho" - und eigentlich habe er Gleiches auch über Männer gedacht: "Die sind nur gut fürs Bett." Erst mit 40 etwa habe er sie differenzierter, tiefer wahrnehmen können, ihre Sensibilität und Verletzlichkeit erkannt.

Die wichtigste Frau im Leben Rosa von Praunheims ist aber zweifellos seine Mutter, mit der ihn eine innige Liebe verband. Sie lebte über ein Jahrzehnt, bis zu ihrem Tod 2003, in seiner Wohnung. Rosa von Praunheim hat sie in seinen Filmen auftreten lassen - rührend ist, mit welcher Zärtlichkeit er sie darin porträtiert und ihren Tod verarbeitet. Die Mutter hat ihm erst kurz vor ihrem Tod ("Holger, ich will mit keiner Lüge sterben") gebeichtet, dass sie nicht seine leibliche Mutter ist, sondern ihn in Riga adoptiert hat. Rosa von Praunheim ist von seiner leiblichen Mutter in einem Gefängnis geboren worden. Das erste Lebensjahr verbrachte er in einem Waisenhaus.

3. "Ich liebe Sensationen, Provokationen und Unverschämtheiten."

Das ist offensichtlich schon beim ersten Anruf bei Rosa von Praunheim. Es verläuft so, wie ein schwuler Kollege dies vorausgesagt hatte: "Er wird dich gleich duzen." Rosa also - alle nennen ihn so, und es ist nichts Krampfiges dabei - ist distanzlos. Er wird und ist immer sofort persönlich. Rosa duzt alle, fast alle umstandslos, fragt seine Gesprächspartner häufig, was ihr Sexleben mache. Gleich zu Beginn des Interviews in seiner Wohnung will er wissen, ob ich schwul sei. All dies sind kleine Unverschämtheiten, aber auch Zeichen hierarchielosen Denkens. Und natürlich liegt darin auch immer etwas Provozierendes. Dazu gehört Rosas sexualisierte Sprache. Ein Beispiel: Als Rosa in einer Randbemerkung sagen will, dass Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen müssten, sagt er: "Sie müssen ihn selber reinstecken."

Rosa liebt die Provokation, mit ihr ist er groß geworden. Die wichtigste: Sein Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" erschienen 1970. Natürlich war es für die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft eine Provokation, wie da die schwule Liebe gefeiert wurde. Als der Film 1973 in der ARD gesendet wurde, schaltete sich der Bayerische Rundfunk raus. Noch größer aber war die Provokation für die Schwulen selbst. Denn sie werden darin massiv attackiert.

Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker, der Rosas wichtigster Ideengeber für diesen Film war, schwärmt in seiner Berliner Wohnung noch heute von der Klarheit und Schärfe des aus dem Off gesprochenen Kommentars dieses Films, der irritierend mit der Süßlichkeit der Bilder kontrastiert: "Das war wirklich böse und kalt." Kleine Kostprobe: "Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger", heißt es im Film, "ihre politische Passivität und ihr konservatives Verhalten sind der Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden."

Trotz oder gerade wegen dieser Provokation bildeten sich nach Ausstrahlung des Films in vielen deutschen Städten Dutzende Schwulengruppen. Großkotzig und typisch für ihn schreibt Rosa auf seiner Homepage, "mit dem [Film] gründete ich die neue deutsche Schwulenbewegung". Wenn man heute mit jungen Aktivisten der Szene, den Berlinern Pascal (24) und Henning (20), den Film anschaut, schmunzeln die zwar über die Kleidung, die Frisuren und die schlechten Schauspieler des Streifens - der Kommentar aber provoziert immer noch. Ein wenig. Übrigens war den beiden Rosa so gut wie unbekannt. Und von Kindern samt fester Beziehung träumen beide. Irgendwann einmal.

4. "Ich liebe das Abenteuer, die Unruhe und harte Muskeln, ich hasse Anpasser und Feiglinge und finde Hausfrauen und Beamte exotisch."

Rosas Liebe zum Abenteuer ist sexuell zu verstehen, aber nicht nur. "Ich war immer sehr promisk", sagt er, und seine Biografie kündet seitenlang davon. Dass er sich dennoch nicht mit dem HI-Virus angesteckt hat, ist fast ein Wunder. Ein Teil der Erklärung: In der Regel "habe ich mich nicht ficken lassen", und er habe zeitweise monogam gelebt.

Die Seuche hatte dennoch gravierende Folgen für ihn, vor allem seelische: Zum einen starben Dutzende Freunde aufs Elendste. Andererseits machte er sich wegen Aids in der Szene viele Feinde, weil er schon früh eine radikale Werbung für Safer Sex eintrat, Gegner in diesem internen Kampf manchmal sogar als "Mörder" beschimpfte und den bisherigen schwulen Lebensstil in Frage stellte. Ausgerechnet der so überaus promiske Rosa! Hinzu kam das öffentliche Outing von Prominenten, die ihm das - wie etwa Alfred Biolek - heute zwar nicht mehr übel nehmen, was aber seinen Ruf in der Schwulen-Community nachhaltig geschädigt hat. Rosas Argument fürs Outing: Homosexualität sei eben nichts Privates. "Schwul- oder Lesbischsein ist so lange keine Privatsache, wie wir dafür zusammengeschlagen werden und aus unseren Jobs und Wohnungen fliegen "

Mehr als seine Filme hat Outing Rosa berühmt gemacht. Die jungen Schwulen Pascal und Henning kannten ihn eigentlich nur deshalb - Outing aber finden sie falsch.

5. "Ich liebe mich, meine Energie und mein Arschloch."

Rosas Eigenliebe und seine Energie sind nicht zu übersehen. Er hat mit etwa 60 Filmen ein gewaltiges Oeuvre geschaffen. Die meist schlecht gemachten Spielfilme taugen selbst mit viel Liebe zum Trash bestenfalls als Zeitdokumente. Rosas Stärke aber sind seine Dokumentationen, von denen viele brillant sind. Denn hier zeigt er, was ihn groß macht: eine Liebe zum Menschen, die seine Eigenliebe übersteigt.

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