Neuer Roy Anderson-Film: Mosaik des Morbiden

Samuel Beckett meets Monty Python: In Roy Andersons Film "Das jüngste Gewitter" führen allerhand Außenseiter zu Dixielandjazz ihre Eigenarten vor.

Es ist offenbar auch nicht leicht, Hund zu sein. Bild: neue visionen

"Es ist nicht leicht, Mensch zu sein", sagt ein Mann in Roy Anderssons "Songs from the Second Floor", nachdem er gerade seine eigene Fabrik angezündet hat. In dem im Jahr 2000 in Cannes mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Film reiht der schwedische Regisseur lose zusammenhängende Episoden aneinander, die mal komisch, mal böse, mal tieftraurig vom menschlichen Elend in all seinen Facetten erzählen. Es ist, als hätten sich Samuel Beckett und Monty Python zusammengetan, um gemeinsam einen Film zu drehen.

Anderssons neues Werk "Das jüngste Gewitter" ist so etwas wie die inoffizielle Fortsetzung von "Songs from the Second Floor". Während der Vorgänger zumindest ansatzweise einer Handlung folgte, jagt hier ein skurriler Einfall den nächsten, ohne dass sich die 50 Szenen zu einem kohärenten Ganzen fügen würden.

Ein Rentner schleicht mit einer Gehhilfe durchs Bild, an einer Leine zieht er einen auf dem Rücken liegenden jaulenden Hund hinter sich her. Ein Mann sinniert beim Sex über Möglichkeiten der Altersvorsorge. Eine Lehrerin bricht vor ihren Schülern in Tränen aus, weil sie von ihrem Mann als "Hure" bezeichnet worden ist. Oft geht es in diesen überwiegend mit Laienschauspielern besetzten Miniaturen ums Ausgeschlossensein im wörtlichen Sinne: Menschen, die nicht in den Fahrstuhl hineingelassen werden, denen eine Wohnungstür vor der Nase zugeschlagen wird, die neben der Bushaltestelle im strömenden Regen stehen müssen, weil ihnen von unnachgiebigen Mitbürgern der Zutritt verweigert wird.

Zusammengehalten werden diese Mosaiksteinchen von einer Bildsprache, die sich der 64 Jahre alte Roy Andersson in seiner langen Tätigkeit als Werbefilmer angeeignet hat. Der Regisseur verzichtet auf Zooms und arbeitet ausschließlich mit Plansequenzen. Aufgrund ihrer extremen Tiefenschärfe und der genau choreografierten Anordnung der Figuren im Raum erinnern seine Filmbilder an Gemälde. Die meisten Szenen spielen in Innenräumen, oft ist die Kamera auf Fenster oder Türen gerichtet, der Blick verstellt, der Bildausschnitt reduziert. Die Kulissen zu diesen Tableaux vivants menschlichen Leids entstehen in Anderssons Stockholmer Studio 24, wo er, um bestimmte optische Effekte zu erzielen, auch mal Einrichtungen in kleinerem Maßstab nachbauen lässt.

Musik dient Roy Andersson vor allem dazu, die Übergänge zwischen einzelnen Szenen fließender zu gestalten. Meist erklingt Dixielandjazz, wie man ihn aus Filmen Woody Allens kennt - mal als Soundtrack, mal von einem Marschorchester gespielt, mal fragmentiert, wenn ein dicker Mann im Unterhemd seinen Part auf der Tuba übt. Das vermeintliche Manko einer fehlenden Rahmenhandlung kompensiert Roy Andersson nicht nur auf ästhetischer Ebene, sondern auch dadurch, dass er mehrere Bedeutungsebenen ineinander verschränkt. In einer Szene steht eine Familie vor einer üppig gedeckten Tafel. Bevor das Festmahl beginnt, möchte ein Handwerker unbedingt noch den "Tischtuchtrick" vorführen, also die Tischdecke mit einem Ruck herunterziehen. Der Trick misslingt, das Service geht zu Bruch. Auf der blanken Tischplatte ist ein riesiges Hakenkreuz zu sehen. Solche Verweise durchziehen den Film wie ein roter Faden. So sehr Roy Andersson dem Individuum und seinen Nöten zugetan ist, so sehr misstraut er dem Kollektiv.

<typohead type="5">"Das jüngste Gewitter". Regie: Roy Andersson. Mit Elisabeth

Helander, Björn Englund u. a., Schweden/Deutschland/Dänemark/Norwegen

2007, 94 Min.</typohead>

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.