"Nachmacher"-Streit von StudiVZ und Facebook: Kampf der Giganten

Das Onlinenetzwerk Facebook verklagt StudiVZ wegen Missbrauchs geistigen Eigentums. Dabei sind beide Nachmacher: Schwule Communities waren viel früher online.

Erster! Bild: screenshot gayromeo.com

Wenn man in der Schule voneinander abschreibt, gibt es eine Sechs, wenn man erwischt wird. Noch schlimmere Folgen hat so etwas während der schriftlichen Abiturarbeiten - doch richtig ernst wird es im richtigen Leben, dann nämlich, wenn es um richtig viel Geld geht.

Daher verklagt nun das weltweit beliebte und äußerst erfolgreiche Social Network Facebook das ebenfalls beliebte und erfolgreiche deutsche Holtzbrinck-Portal StudiVZ vor einem kalifornischen Gericht, und zwar wegen "Missbrauchs von Facebooks geistigem Eigentum". Alles, aber auch alles an der deutschen Community sei abgekupfert: Das Design und die Funktionen, sogar das "Look and Feel." Marcus Riecke, CEO (Chief Executive Officer, wo haben die das eigentlich her?) von StudiVZ bezieht wie folgt Stellung: "Nachdem es Facebook trotz aufwändiger Bemühungen bisher nicht gelungen ist, in Deutschland Fuß zu fassen, versucht man jetzt offenkundig, den Erfolg von StudiVZ gerichtlich zu behindern."

StudiVZ, das vor zwei Jahren vom Holtzbrinck-Verlag für ein hübsches Sümmchen im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich erworben wurde und auch gerne mal selbst als Kläger auftritt, gerät nun zumindest offiziell unter einen Druck, der der Anfechtung des gerade erfolgreich bestandenen Abiturs durch die Schulbehörde gleichkommt. Hat aber eine gute Ausrede: "Es gibt weltweit zahlreiche soziale Netzwerke. Facebook war nicht das Erste und ist beileibe nicht das Einzige. Mit dem Versuch, StudiVZ durch die Durchführung eines Prozesses ohne Erfolgsaussichten vor einem amerikanischen Gericht zu schädigen, erhebt Facebook im Prinzip den Anspruch auf ein weltweites Monopol bei sozialen Netzwerken. Dies ist vermessen und wird sich schnell entlarven. Wir sehen der Sache gelassen entgegen."

Das mit dem Spicken ist ja auch so eine Sache. Facebook wurde nach seiner Gründung im Jahr 2004 bereits mit triftigen Plagiatsvorwürfen konfrontiert. StudiVZ gibt es seit 2005. Viel früher dran als beide zusammen waren zum Beispiel schwule Kontaktportale wie Gaydar, das bereits 1999 weltweit reüssierte. Und die deutsche schwule Internet-Community Gayromeo startete bereits im Jahr 2002 - und zwar mit fast allem Pipapo, das man von den 2.0.-Communities kennt. Man hat einen Steckbrief, verlinkte Freunde, Chat- und Sonstwas-Funktion. In der "Gay Community" sind diese Portale weltweit längst Standard, inklusive sämtlicher - positiver wie negativer - Auswirkungen auf das Sozialverhalten.

Ob da mal jemand von schlauen Studenten, ob nun amerikanisch oder deutsch, einfach mal schnell ans andere Ufer gerudert war, um sich neue Anregungen zu holen? Wer weiß. Aber vielleicht haben ja auch alle zusammen ihre Inspiration aus anderer Quelle bezogen. Die Holz-Version dieser Internet-Steckbrief-Seiten war schließlich das Steckbrief-Büchlein, das in den Achtzigern die Nachfolge des klassischen Poesie-Albums angetreten hatte: Anstatt sich hübsche Schüttelreime auszudenken (oder irgendwo zu klauen) die mit Schönschrift auf die Aufschlagseite zu drapieren waren und das Ganze entweder mit selbstgemaltem Zierrat oder entsprechenden Aufklebware zu versehen, musste man nun nur noch einen Steckbrief ausfüllen. Lieblingsessen, Lieblingsband, Hobbys. Oben rechts ein Passfoto eingeklebt, fertig. Anstatt Gedichte zu verfassen, lernte man dort recht früh, sich über seinen Konsum zu definieren und darzustellen. Andere Zeiten, andere Sitten.

Bei den heutigen Digi-Steckbriefen muss man das Foto eben als Jpeg einflicken und bloggt so vor sich hin. Die Verbreitung selbiger ist zugegeben wesentlich größer als zu den Zeiten der Steckbriefbücher, die nur in Ausnahmefällen über die Stadtgrenze von Detmold oder Hattersheim getragen wurden. Allerdings verhält es sich im Gegenzug heute mit den Usern so wie damals mit den Büchern. Verlassen diese jeweils ihre Kammern mit den flimmernden Bildschirmen, um ihren "Freunden" aus dem Netz mal tatsächlich die Hand zu schütteln, oder lassen sie das lieber, weil diese womöglich im richtigen Leben Mundgeruch haben?

Ein virtueller Freundeskreis ist ganz einfach - im kulturkritischen Sinne - pflegeleicht. Kein Wunder, dass sich mit so etwas auch prima Geld verdienen lässt. Im Alltag sind solche Netzwerke praktisch, um niedrigschwellig im Kontakt mit Menschen zu bleiben, die man sowieso schon kennt, also mit Freunden und Bekannten. Wer da die Benutzeroberfläche von wem geklaut hat, ist den Usern am Ende auch egal.

Nicht egal wäre nur noch eine Frage: Ist eigentlich eine "Community" wirklich eine Gemeinschaft, wenn man sie komplett im Paket verkaufen kann? CEO, antworten Sie!

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