Schüler-Internetportal "spickmich": Lehrer, hört die Signale

Die Hierarchie an Schulen gerät ins Wanken: Bei spickmich.de werden Lehrer werden öffentlich benotet - und sind dagegen machtlos. Selbst vor Gericht.

Die spickmich.de-Initiatoren dürfen sich freuen. Bild: spickmich

Schulverweis. Weil die Schülervertreter einer hessischen Gesamtschule es gewagt hatten, ihre Mitschüler nach Noten für ihre Lehrer zu fragen, gab es mächtig Ärger. Die Ergebnisse der harmlosen Umfrage hingen nur ein paar Minuten am Schwarzen Brett, bis sie von wütenden Lehrern abgerissen wurden. Da saßen die gewählten Schülervertreter schon vor dem Direktor. Was man sich denn einbilde. Zwar blieb es bei der ultimativen Drohung, keiner musste die Schule in Nordhessen verlassen, aber die Lehrer hatten deutlich gemacht, was sie von der Meinung ihrer Schüler halten - gar nichts.

Auf der Internetseite Spickmich.de können Schüler ihre Lehrer in festgelegten Kategorien benoten. Angezeigt wird dann eine Durchschnittsnote für den Lehrer. Wer für wen abgestimmt hat, bleibt geheim. Bei der anonymen Lehrerbewertung machen nach Angaben der Betreiber rund eine halbe Million Nutzer mit. Die mit Name und E-Mail-Adresse Registrierten können nicht nur abstimmen, sondern sich auch in Foren austauschen und virtuelle Freunde finden. Wenn sich jemand unter falschem Namen anmeldet und besonders gut oder schlecht benotet, bleibt das in der Community nicht lange unbemerkt. Im vergangenen November wurden die Kategorien über eine Befragung der Mitglieder etwas angepasst, aus "sexy" wurde "vorbildliches Auftreten". Gestartet wurde Spickmich.de im Februar 2007 von den drei Kölner Studenten Tino Keller, Manuel Weisbrod und Philipp Weidenhiller. Mit einer Pressemitteilung küren die Spickmich-Macher die beliebtesten Lehrer und besten Schulen nach Bundesland im "Halbjahreszeugnis".

Viel mehr noch, sie hatten die unliebsame Umfrage erfolgreich verboten und die Ergebnisse aus dem Verkehr gezogen. Ohne den Aushang am Schwarzen Brett ging den Schülervertretern ihre Öffentlichkeit verloren.

So einfach wird es für die Lehrer nie wieder. Was die Lehrer an der hessischen Schule erfolgreich unterbinden konnten, findet heute im Internet statt. Schüler geben ihren Lehrern Noten, anonym, tausendfach und mit richterlicher Erlaubnis.

Denn gegen die Seite Spickmich.de, auf der rund eine Viertelmillion Schüler anonym ihre Lehrer bewerten, geht eine Gymnasiallehrerin aus Neukirchen-Vluyn gerichtlich vor - und erleidet Niederlagen in Serie. Ihr Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde vom Land- und Oberlandesgericht Köln abgelehnt. Danach klagte sie auf Unterlassung. In der ersten Instanz, vor dem Landgericht, wurde gestern das Urteil gesprochen. Aufgeben will sie trotzdem nicht.

Unterstützt wird die Lehrerin dabei von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Internetseite sei "nicht objektiv" und könne manipuliert werden, sagt Marianne Demmer von der GEW. "Spickmich kann zu anonymen, aber öffentlichem Lehrermobbing auf 'hohem Niveau' missbraucht werden."

Die Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen sieht ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Betreiber von Spickmich.de führen dagegen die freie Meinungsäußerung an. Weil es über die Notenvergabe hinaus auf der Seite nicht möglich ist, fiese Kommentare zu den Paukern abzulassen und somit falsche Tatsachen zu behaupten, wurde die Seite nicht verboten. Auch dass ihr Name in der Datenbank auftaucht, muss die Lehrerin hinnehmen: Dass sie an der Schule unterrichtet, ist ohnehin auf der Homepage der Schule nachzulesen.

Trotzdem möchte sie ihre Bewertung nicht vor der ganzen Welt im Internet einsehen lassen. Notfalls will sie bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen, auch wenn ihre Chancen schlecht stehen. Gegenüber den Betreibern der Seite ließ die Vorsitzende Richterin Margarete Reske durchblicken, dass man nicht dazu neige, sich im neuen Verfahren anders als im November zu entscheiden.

Gegründet wurde Spickmich.de von drei Studenten, Tino Keller, Phillip Weisenhiller und Manuel Weisbrod, alle Mitte zwanzig. Die Idee hatten sie zusammen mit Kellers kleiner Schwester auf einer Party erdacht. Seit Februar 2007 ist die Seiten online.

Dass Schüler wissen könnten, was für ein Unterricht ihnen den größten Lernerfolg beschert - für viele Lehrer unvorstellbar. Undenkbar auch, dass sie sich Kritik stellen müssten. Sich von Eltern und Schülern reinreden lassen, gilt als verpönt - wie sollten die auch beurteilen können, was einen guten Lehrer ausmacht? Mit Rückmeldungen zu ihrem Unterricht kämen sie nur in Ausnahmefällen klar, sagt eine Schülervertreterin aus Bayern.

Klar ist hingegen die Hierarchie, auch wenn in der Schule von heute der Rohrstock nicht mehr in der Ecke steht und Schüler wie Eltern auf der Schulversammlung vertreten sind. Das Internet stellt dieses Machtgefüge an Schulen grundlegend in Frage.

Handwerker, Ärzte, Professoren - im Internet werden auf diversen Seiten munter Noten verteilt. Auch manchen Hochschullehrern ist ihre Benotung nicht recht. Im vergangenen Jahr hatte ein Professor erfolglos auf Schadensersatz geklagt, nachdem er auf der Seite MeinProf.de als "Psychopath" bezeichnet worden war.

Der Eintrag wurde von den Betreibern der Seite umgehend gelöscht, Geld wollte der Professor trotzdem sehen. Das Berliner Landgericht sah das in zweiter Instanz anders und entschied, dass die Betreiber der Seite nicht jeden Kommentar vorab zu prüfen hätten. Außerdem müssten sich Hochschuldozenten öffentlicher Kritik stellen.

Bei Lehrern soll dies nach den Wünschen der Gewerkschaft und des Philologenverbandes anders sein. Schüler würden durch die Anonymität des Internets geradezu herausgefordert, es den Lehrern einmal so richtig zu zeigen. Schülervertreter sehen das natürlich anders.

Einerseits werde von Teenagern Verantwortung gefordert, wird das Wahlalter von 18 auf 16 Jahren abgesenkt, andererseits sollen sie die Leistung eines Lehrers nicht bewerten können. Die Durchschnittsnote aller Lehrer bei Spickmich.de beträgt nach Angaben der Seitenbetreiber 2,7, was nicht gerade nach unverantwortungslosem Lehrer-Bashing aussieht.

Die Benotung von Lehrern in harmlosen Kategorien (guter Unterricht, cool und witzig, fachlich kompetent, motiviert, faire Noten, faire Prüfungen, menschlich, gut vorbereitet, vorbildliches Auftreten, beliebt) ist nur ein prominentes Beispiel. Von der Seite ist potenziell jeder Lehrer betroffen, bei den Lehrerverbänden häufen sich Beschwerden, und weil Spickmich.de seinen Firmensitz nicht auf einer karibischen Insel, sondern in Deutschland hat, sind die Betreiber rechtlich fassbar.

Allein: Das Vorgehen gegen das Portal und damit die Notengebung der Schüler hilft nicht, das Ansehen der Lehrer zu schützen. Im Internet finden sich die Schüler zusammen, um ihre Meinung zu äußern. Sowohl in Form von ekligen und ehrabschneidenden Videos auf YouTube als auch textlastig in Gruppen und Foren wie auf SchülerVZ, der kleinen Schwester des Studenten-Flirtportals StudiVZ.

Längst erscheint die vom Direktor verbotene Schülerzeitung im Internet. Wenn die Schüler einen kostenlosen Bloganbieter aus Übersee benutzen und ihre Namen nicht angeben (und nicht zum Mord aufrufen), ist es für die Lehrer nahezu aussichtslos, die ungeliebten Inhalte loszuwerden.

Datenschützer aus Bayern springen der klagenden Lehrerin unterdessen bei. Am Montag gab die Aufsichtsbehörde in Nürnberg bekannt, dass die Bewertung mit weltweiter Zugänglichkeit eine unverhältnismäßige Steigerung sei. Die Persönlichkeit des Lehrers würde in einem höheren Maße beeinträchtigt als durch Äußerungen auf dem Schulhof.

Die Lehrer stehen vor einem Problem. Einerseits sollen die Lehrer ihre Schützlinge zu mündigen Bürgern eines demokratischen Staates erziehen, andererseits wünschen sich viele für das Internet chinesische Maßstäbe: Sie wollen die totale Kontrolle, nur das über sich lesen, was sie abgenickt haben. Und wenn jemandem ihr Unterricht nicht passt, soll er es ihnen doch bitte persönlich sagen, von Angesicht zu Angesicht.

Weil der Lehrer aber die Noten-Macht hat, finden Schülervertreter das schwierig. Mit den meisten Lehrern habe man kein Problem, aber bei den problematischen Fällen traue sich kaum ein Schüler, den Mund aufzumachen, aus Angst um seine Note. Da sei es nur verständlich, wenn die Schüler sich dann auf Spickmich.de äußerten.

Langsam erkennt auch der Philologenverband, dass Schüler etwas über ihren Unterricht zu sagen haben. Nachdem der Streit über Spickmich.de begann, wurde eine Arbeitsgruppe einberufen, in der über Lehrerbewertung nachgedacht wird. Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Philologenverbandes, begrüßt trotzdem die Klage gegen Spickmich.de. Inwieweit die anonyme Notenvergabe unter Meinungsäußerung falle, müsse geprüft werden. Sie trage jedenfalls nicht zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Schule bei.

Dass es an Schulen weitgehend an einer Feedback-Kultur mangelt, bestreitet er nicht. "Aber die Veränderungen müssen von innen heraus kommen." Denkbar seien Fragebögen, die Schüler für ihre Lehrer ausfüllen und die direkt an diesen gingen und nicht über den Schulleiter und die Schulaufsicht.

Auch Schülervertreter halten Spickmich.de nicht für die Lösung des Problems. Aber dass nun über eine Feedback-Kultur nachgedacht wird, werten sie als Erfolg. "Die Lehrerschaft wird jetzt mit der Nase darauf gestoßen, dass sie im Unterricht Raum geben muss für Schülerbeteiligung und Rückmeldung", sagt Marianne Demmer von der GEW. Es ist ein Anfang.

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