Die "Netzeitung" ist bedroht: Online last!

Der einst so großspurig angekündigte Onlineausbau im Berliner Verlag ist nicht mehr erstrangig - und die Belegschaft der "Netzeitung" treibt die Sorge, die Redaktion könne zerschlagen werden.

2000 gegründet, mehrfach verkauft, immer noch da: Netzeitung.de Bild: screenshot netzeitung.de

Zu Weihnachten machte die Geschäftsführung des Berliner Verlags den Mitarbeitern Geschenke: Polohemden. Mit der Aufschrift: "Go online!" Die Mitarbeiter hatten sich ein neues Redaktionssystem und ein Content-Management-System gewünscht, mit dem sie die Pläne, Printausgaben und Onlineauftritte des Verlags miteinander zu verzahnen, auch umsetzen könnten. Sie bekamen Polohemden. Aber immerhin, es war eine Geste. Und es war ein passendes Geschenk.

Denn man trägt ja seit einigen Jahren bisweilen eigenwillige Mode in der deutschen Abteilung des britischen Medienkonsortiums Mecom, das den Berliner Verlag 2005 mit Hilfe von Finanzinvestoren gekauft hat. Im Oktober 2005 etwa, als Mitarbeiter der Berliner Zeitung vor dem Verlagshaus am Alexanderplatz gegen die Übernahme durch Mecom protestierten, trugen sie T-Shirts, auf die durchgestrichene Heuschrecken gedruckt waren. Im Mai protestierten Mitarbeiter der Programmzeitschrift Tip, die ebenfalls zu Mecom gehört, in extra angefertigten T-Shirts. Die Aufschrift: "Mecom sucks".

Der Slogan "Go online" fügte sich ein in die parolenartige, verkürzte Kommunikation, die Spitze und Belegschaft des Konzerns miteinander pflegen. Doch der Slogan ist nun sechs Monate alt, und die Polohemden, die er ziert, müssen wohl eingemottet werden. Der Onlineausbau ist auf Eis gelegt.

Dabei hatte David Montgomery, der Vorstandsvorsitzende der Mecom, erst im Herbst das Schlagwort "Communication first!" ausgeworfen und damit eine Transformationsphase seiner Berliner Medien eingeläutet. Seitdem hatte er in jedes Mikrofon, das ihm jemand hinhielt, gesagt, die Zukunft liege im Internet. Er wolle Redaktionen verzahnen, die bisher getrennt gedacht wurden; er wolle, hatte er gesagt, mehrere Vertriebs- und Aufbereitungswege für denselben Content ausbauen und jede Redaktion in ein "Content Department" umwandeln, das für Print und Online gleichermaßen arbeite.

Seine Gruppe hatte die Netzeitung zugekauft, deren Chefredakteurin Domenika Ahlrichs auch Mitglied der Chefredaktion der Berliner Zeitung wurde. Sie sollte die Verzahnung von Print und Online übernehmen und vorantreiben.

Es klang wie ein Plan. Nicht alle Mitarbeiter des Verlags waren begeistert, aber: Es war ein Plan. Und man begann sogar, ihn umzusetzen. Der Tip etwa kooperierte mit der dänischen Alt om København, die zum Konzern gehört, und übernahm das Computersystem. Netzeitungs-Chefin Ahlrichs leitete Arbeitsgruppen mit Mitarbeitern der Berliner Zeitung und sprach im taz-Interview davon, dass es seitens der Redakteure keine Verweigerungshaltung gebe. Nur "eine Handvoll Leute" brauche man zusätzlich, um die Verzahnung der Medien sinnvoll hinzubekommen, sagte sie.

Nun aber ist die Umsetzung der Online-Pläne gestoppt worden. Online habe "nicht mehr oberste Priorität", hat Montgomerys Deutschland-Chef, Josef Depenbrock, den Redakteuren der Berliner Zeitung mitgeteilt. Und bei der Netzeitung, die für die Umsetzung von zentraler Bedeutung sein sollte, sorgt man sich nun um die Existenz.

Am kommenden Wochenende hätte die Belegschaft in den neuen Newsroom im 13. Stockwerk des Verlagsgebäudes am Alexanderplatz ziehen sollen, dorthin, wo Montgomerys Vision von der crossmedialen Verzahnung Wirklichkeit werden sollte.

Die Möbel dafür gibt es. Den Umzug nicht.

"Querelen mit dem Betriebsrat" seien der Grund dafür, dass die Netzeitung-Kollegen bisher nicht in den neuen Newsroom hätten einziehen können, schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Matthias Breitinger, der Betriebsratsvorsitzende der Netzeitung, bestreitet das. Er sagt, der Newsroom sei "von uns begrüßt" worden; der Betriebsrat hätte lediglich die Vorlage eines Konzepts gefordert - "es nützt ja nichts, wenn man da nebeneinander sitzt. Es muss ja auch einen Workflow geben".

Im Berliner Verlag rätselt man, was die plötzliche Strategieänderung zu bedeuten hat. Renate Gensch, die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, sagt nur: "Wir wundern uns auch." Und auch bei der Netzeitung, die Montgomery vor einem Jahr kaufte, heißt es nur: "Es gibt Unverständnis darüber, dass das, was immer vorangetrieben wurde, nun von heute auf morgen gestoppt wird." Lediglich das weiß man: "Auch die Netzeitung muss offenbar sparen."

Die Redaktion der Berliner Zeitung soll bis Ende 2009 von 130 auf 90 Redakteure verkleinert werden. Die 920-köpfige Belegschaft der gesamten BV Deutsche Zeitungsholding, zu der neben Berliner Zeitung und Netzeitung auch die Hamburger Morgenpost, der Berliner Kurier und der Tip gehören, soll um 150 bis 200 Mitarbeiter schrumpfen.

Das sind die neuesten verlegerischen Vorgaben, die Mecom-Chef David Montgomery aus London nach Deutschland schickt. Was allerdings mit der 2000 gegründeten Netzeitung werden soll, deren 16 fest angestellte Mitarbeiter im neuen Newsroom die Online-Verzahnung bewerkstelligen sollten, ist ungeklärt.

Verkauf? "Das Wort ist nicht gefallen", sagt Betriebsrat Matthias Breitinger. "Und ich glaube auch nicht, dass es darum geht, die Netzeitung zuzumachen." Unter dem Dach der Netzeitung GmbH entsteht schließlich auch, unter anderem, der Teletext für die SevenOneIntermedia, das Multimedia-Unternehmen der ProSiebenSat.1-Gruppe.

Und das bringt Einnahmen; im Dezember wurde der Vertrag um drei Jahre verlängert. Dagegen brächte die Kündigung von Festangestellten Folgekosten mit sich, die nicht mit dem erklärten Ziel des börsennotierten Mecom-Konzerns zusammenpassen wollen, die Zahlen zu verbessern.

"Aber", heißt es aus der Redaktion der Netzeitung, "wir können eins und eins zusammenzählen": Die Netzeitung wurde gekauft, um der Berliner Zeitung mit Synergien im Onlinebereich weiterzuhelfen. Diese Synergien sind nun nicht mehr erwünscht. Ergibt: Die Netzeitung ist bedroht.

Auf den Verlagsfluren tauscht man die Befürchtung aus, die Netzeitung könnte in "einer sehr amputierten Form" weiterbestehen. Man betont: "Das ist alles Spekulation. Wir wissen nichts." Aber es könne durchaus sein, dass angesichts der anstehenden Sparmaßnahmen nur zwei, drei, vier, fünf Festangestellte bleiben. Klingt vage. Ist es auch. Aber es macht sich auch niemand, der es besser wissen könnte, die Mühe, die Gerüchte zu zerstreuen.

Als Oliver Tom Röhricht, der stellvertretende Chefredakteur der Berliner Zeitung, in der Redaktionskonferenz gefragt wurde, was an den Gerüchten sei, die Netzeitung solle geschlossen werden, soll er gesagt haben, das könne nur Chefredakteur und Holdings-Geschäftsführer Josef Depenbrock beantworten. Und der hat bislang keine Fragen zum Thema beantwortet.

Er weiß, dass ihm seine Redakteure nicht mehr vertrauen, sie haben ihm das in einem offenen Brief mitgeteilt, als er im Februar die neuen Renditevorgaben aus der Mecom-Zentrale verkündete. Die Redakteure baten ihn, zu gehen. Tat er nicht. Die Redaktion schrieb auch an Mecom-Chef Montgomery; er solle ein vernünftiges publizistisches Konzept vorlegen oder den Verlag verkaufen.

Im März reagierte der Redaktionsausschuss dannmit einer Klage vor dem Berliner Arbeitsgericht, die sich gegen die Doppelfunktion von Depenbrock als Chefredakteur und Geschäftsführer richtet. Am Mittwoch wird darüber verhandelt.

Nach dem Gerichtstermin, hofft man in der Belegschaft, werde Depenbrock sich zur Zukunft erklären. "Es darf sich niemand sicher sein, wie es weitergeht", sagt Konzernbetriebsratsvorsitzende Renate Gensch.

Aber es wird ja wohl ein journalistisches Konzept geben.

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