TV-Reporterin Antonia Rados: "Ich hatte jeden Parasiten dieser Welt"

Sie war die Stimme aus Bagdad und leidet unter chronischem Sitzfleisch-Mangel. Antonia Rados über die Vorzüge der Meningitis, ihr erstes Interview mit Arafat und warum sie ein Macho sein muss.

Antonia Rados wechselt von RTL zum ZDF. Bild: rtl

taz: Frau Rados, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Reise?

Antonia Rados: Ja. Ich bin gern gereist, immer. Ich reise auch privat, nicht nur wegen des Jobs - so viel, dass, als irgendwann mal irgendetwas passierte und ich gerade im Urlaub war, ein ehemaliger Chefredakteur fragte: In welchem hinterindischen Ort treibt sich schon wieder die Rados herum? Aber ganz zu Anfang bin ich in den Märchenbüchern gereist. Und dann mit Karl May. Ich habe Karl May gelesen, Hemingway, die ganze Bubenliteratur.

Geboren: 15. Juni 1953 in Klagenfurt. Beruf: Journalistin. War bei ORF, WDR, RTL und geht jetzt zum ZDF. 2003 berichtete sie live aus dem Irakkrieg. Sie bekam unter anderem den Deutschen Fernsehpreis und den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Privat: Ledig, lebt in Paris. Zum taz-Gespräch traf Rados taz-Redakteur Klaus Raab auf der Durchreise von Paris nach Klagenfurt in einem Café in Frankfurt am Main.

Sind Sie mit Karl May lieber nach Nordamerika gereist oder in den Nahen Osten?

Mit Kara Ben Nemsi in den Nahen Osten.

Die Region war Ihnen schon damals näher?

Nein, ich habe auch die Winnetou-Filme gesehen. Meine Arbeit im Nahen Osten hat nichts mit Karl May zu tun, sondern mit dem 11. September 2001. Ich bin, als ich 1978 Journalistin wurde, relativ lange in Lateinamerika herumgereist. Chile, Argentinien, Nicaragua, und dann war ich Junior Correspondent für das österreichische Fernsehen in Washington. Ich berichtete auch aus Italien, Spanien und Südamerika. Zehn Jahre lang.

Was mochten Sie an Hemingway?

Ich mag den heute immer noch, nur anders. Der hatte ein abenteuerliches Leben, das fand ich sehr reizvoll. Aber ich fand auch jemanden wie George Orwell interessant, der sehr viel differenzierter geschrieben hat. Joseph Roth fand ich gut. Wenn man Reporter ist - oder genauer, wenn man Reporterin ist -, hängt man sich an männliche Vorbilder ran. Weil es ziemlich wenige Frauen gab, die das gemacht haben. Notgedrungen liest man Hemingway, Orwell oder Roth. Als Reporterin hat man also Männer zum Vorbild. Ich kenne genug Reporter, die sogar angezogen sind wie Hemingway, die einen Dreitagebart tragen. Aber wenn sie nicht verstehen, was ihre Zeit verlangt, dann hat das keinen Sinn. Man muss Vorbilder irgendwann ablegen.

Ist Reporter ein Machoberuf?

Zweihundertprozentig.

Sind Sie ein Macho, Frau Rados?

Notgedrungen. Es ist eine Männerwelt. Die Soldaten sind Männer, die Milizionäre sind Männer, alle sind Männer. Da muss eine, die darüber berichten will, wohl etwas "Männliches" an sich haben. Manchmal, wenn ich zurückkomme, muss ich einen Rock anziehen, um zu merken, dass ich noch eine Frau bin. In einer männlichen Welt können Sie manchmal als Frau mehr erreichen, aber das ist die Ausnahme. Normalerweise bekommen Sie eher einen Stein mehr in den Weg gelegt.

Es heißt, Sie seien im Irakkrieg mal als letzte Korrespondentin ausgereist. Warum Sie?

Die Geschichte stimmt nicht. Allein bleibe ich sehr selten irgendwo. Ich bin ein Feigling.

Sie haben einen interessanten Begriff von "Feigling".

Ich habe damals gesagt: Ich bleibe im Irak, aber ich werde nicht die Letzte sein, die das Land verlässt. Und so war es auch.

Warum fahren Sie überhaupt in Kriegs- und Krisengebiete?

Ich sehe mich nicht als reine Kriegsreporterin. Ich will Reporterin sein. Ich bin zwar immer lieber außerhalb von Europa herumgefahren, aber ich lege keinen Wert darauf, Kriegsreporterin zu sein - sondern Reporterin.

Sie berichten aber schon gerne aus Regionen, in denen nicht viele Journalisten sind.

Die Frage ist: Warum sind nicht mehr Journalisten da?

Haben Sie eine Erklärung?

Weil es eine Knochenarbeit ist. Sie können Ihr Geld leichter verdienen, wenn Sie Moderatorin sind. Sie haben dann nach zwanzig Jahren keine kaputten Bandscheiben.

Haben Sie kaputte Bandscheiben?

Jede Menge. Vom Kofferschleppen.

Was haben Sie noch?

Ich hatte jeden Parasit dieser Welt, ich hatte Meningitis, Hepatitis, alles.

Wäre das nicht ein Grund, da nicht mehr hinzufahren?

Nein, dafür bin ich zu neugierig. Ich kann es einfach nicht lassen. Anfangs bin ich vor allem dahin gefahren, wo niemand hinfahren wollte. Nicht getrieben vom Wunsch, in Krisengebiete zu fahren, sondern weil ich sonst nirgendwo hindurfte. Aber jetzt bin ich da hängen geblieben. Als ich angefangen habe, hieß Reporter sein: Mann sein, Krawatte tragen, schön angezogen sein, vor jedem Auftritt einen Besen verschluckt zu haben und irgendwie gescheit daherzureden. All die hochwertigen Posten in Washington oder New York waren besetzt. Also habe ich mich immer dann gemeldet, wenn sich sonst niemand gemeldet hat. Und jetzt bin ich 54 und hoffe, dass ich das bis 70 machen kann.

Also würden Sie nicht eines Tages das "heute journal" übernehmen, für das Sie von Mai an arbeiten?

Keine Frage. Ich will Reporterin sein. Sonst nichts.

Wodurch zeichnet sich ein Reporter aus?

Neugierde. Und ich glaube, eine der Regeln der Reportage ist: Nähe. Egal ob in Paris, Pakistan, Afghanistan, Irak - man kann es sich als Reporter nicht ersparen, nah heranzugehen. Im Krieg heißt das, Sie müssen ein Risiko eingehen und dahin gehen, wo geschossen wird. Berichterstattung aus der Distanz ist immer schlechte Berichterstattung. Ein Beispiel: Als im Sommer 2006 der Libanonkrieg ausbrach, kamen wir zufällig an einem Hisbollah-Headquarter im Süden Beiruts vorbei. Die Israelis bombardierten ständig. Die Hisbollah hatte alle Medien zu einer Führung durch das zerstörte Viertel eingeladen. Es waren nur knapp zwanzig Journalisten gekommen, die anderen hatten sich offenbar nicht getraut. Man muss zwar alle Sicherheitsvorkehrungen treffen - aber dann muss man, meine ich, mitten hinein. Die Reportage war riskant, aber interessant.

Können Sie sich an Ihr erstes Erlebnis erinnern - mittendrin?

Das war bei der ersten beruflichen Reise, in Beirut. Da habe ich Arafat getroffen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Ich trug Stöckelschuhe.

Wie wurden Sie empfangen?

An und für sich professionell. Das heißt: Man hat mich eine Woche warten lassen. Nach der ersten Frage hat Arafat mich als Zionistin bezeichnet, ich habe einen Schrecken bekommen und mich nicht mehr getraut, harte Fragen zu stellen. Arafat hatte eine Art, Journalisten klarzumachen, wo sie zu stoppen hatten. Aber Arafat war nicht irgendjemand, er war ein Symbol für diese Region. Meine erste Erfahrung war also eher schlimm. Am Tag nach dem Interview bin ich sofort abgefahren.

Wo brennt es gerade, Frau Rados? Wohin führen Sie Ihre nächsten Reisen?

Wie es heute aussieht, würde ich sagen, dass Afghanistan und Pakistan in nächster Zeit sehr wichtig sein werden. In Afghanistan sitzen deutsche Soldaten, da ist das Interesse sehr groß. Und in Pakistan ist die Lage sehr instabil, das wird uns sehr beschäftigen. Andererseits war das letzte Jahr vergleichsweise ruhig, es passierte wenig. Heißt nicht, das ist ein verlorenes Jahr. Es gibt andere Geschichten, die man machen kann, die nicht unbedingt in einem beachteten Kriegsherd spielen. Ich recherchiere im Moment an ein paar Themen.

Wo?

Im Sudan.

Darfur ist ein einigermaßen beachteter Krisenherd.

Es geht aber um einen Staudamm. Dann gibt es eine unglaubliche Geschichte in Jordanien. Und eine dritte, die zwar in einem Kriegsgebiet spielt, aber nicht direkt mit dem Krieg zu tun hat. Das sind die Geschichten, mit denen ich derzeit meine Chefs nerve.

Was interessiert Sie zum Beispiel am Staudamm im Sudan? Was macht ein Thema aus?

Ich glaube, es gibt ganz banale Kriterien. Der Merowe-Staudamm ist einfach eine wichtige Geschichte, da steckt viel dahinter. Ein riesiges Gebiet wird geflutet, viele Menschen werden umgesiedelt. Das ist ein Symbol für mehr, eine Metapher für andere Geschichten. Es ist richtig und wichtig, diese Reportage zu machen. Das interessiert mich.

Darf man sich mit den Leuten, über die man berichtet, gemein machen?

Der Reporter muss seine Distanz bewahren. Wir wissen, Emotionalität kann sehr gut ankommen. Wenn eine Reporterin vor der Kamera weint, sieht das vielleicht toll aus. Aber Emotionalität kann sehr trügerisch sein.

Inwiefern trügerisch?

Ein Beispiel: Irakkrieg, da liegt ein Kind, einbandagiert von oben bis unten. Die Mutter steht unverletzt daneben und sagt, die Kleine habe draußen gespielt und sei bei einem Angriff der Amerikaner verletzt worden. Schlimme Geschichte. Nach dem Ende des Krieges wollte ich dann Leute wiedersehen, die ich im Krieg getroffen hatte. Diese Frau war eine von ihnen. Und was kommt heraus? Dass das Kind nicht bei einem Angriff verletzt wurde, sondern dass ein Ölofen umgefallen ist und das Kind sich verbrannt hat. Genauso können Sie einen amerikanischen Soldaten treffen, der erzählt, was er Tolles geleistet habe - und am Ende stellt sich heraus: alles falsch. Bei solchen Geschichten wird das Urteilsvermögen durch Emotionalität eingeschränkt.

Wollen Sie Öffentlichkeit für Themen schaffen, die sonst nicht genug beachtet würden?

Nein. Ich habe überhaupt keinen Anspruch, Leute zu bekehren und von meiner Meinung zu überzeugen. Ich habe nur das Anliegen, zu informieren.

Gut, dann anders gefragt: Liegen Ihnen bestimmte Themen besonders am Herzen?

Frauenthemen. Ich bin keine Bildschirmfeministin. Trotzdem: Ich springe an, wenn ich ein Frauenthema sehe. Und dann möchte ich, dass darüber berichtet wird. Das hat damit zu tun, dass man, wenn man selbst eine Frau ist, viel leichter mit Frauen in Kontakt kommt. Wenn Sie als Mann eine Kamera auf dem Arm hätten, würden Sie deswegen noch lange nicht in die Frauengemächer kommen. Frauen gehen auf mich eher zu als auf männliche Kollegen. Sie suchen mich aus, nicht nur ich sie.

Stehen Sie dann auf der Seite der Frauen?

Klar. Ich habe keinen Anspruch, die Welt zu verändern oder den Leuten zu sagen, was sie zu denken haben. Aber einen moralischen Kompass muss man haben.

Was zeigt Ihr Kompass?

Er zeigt, dass ich meine Werte - und zwar die Minimalwerte - nicht an der Garderobe abgeben kann. Sonst wird man Opportunist und passt sich überall an, so gut es geht. Ich will niemanden beleidigen, aber zum Beispiel trage ich kein Kopftuch, wenn ich nicht unbedingt muss. Ich will nicht sofort in die Knie gehen. Ich maskiere mich ungern. Ich will niemandem sagen, was er zu tun hat, aber unterwerfen muss ich mich auch nicht. Es gibt Länder, in denen man unsere Gleichstellung der Frau in keiner Weise nachvollziehen kann - und das muss man den Leuten dann abnehmen. Ich finde es verkürzt, zu sagen: Auf dem Weg der Geschichte sind wir vorne, und die arabische Welt ist 400 Jahre dahinter. Ich glaube eher, dass an einem bestimmten Punkt wir in die eine Richtung gegangen sind und islamische Gesellschaften in die andere. Es gibt grundverschiedene Auffassungen davon, wie Gesellschaft zu organisieren ist. Was aber jemanden, der aus einer freien, demokratischen Gesellschaft wie der unseren kommt, nicht daran hindern kann, Menschenrechte einzufordern. Wenn man in Afghanistan sieht, wie Frauen behandelt werden, kann man nicht sagen, das sei nur ein kulturelles Phänomen. Wir haben mal einen Film gemacht über eine Frau, die zwangsverheiratet wurde und sich daraufhin selbst verbrannt hat …

… den Film "Feuertod".

Da kommen einem die Tränen, und man kann nicht sagen: Das ist eben so. Die eine Seite ist: Toleranz gegenüber einer Gesellschaft, die optisch anders ist, eine andere Moral hat, anders aufgebaut ist, andere Regeln hat - das ist wichtig. Die andere Seite aber ist: Im 21. Jahrhundert sollten Menschenrechte universell sein. Es ist undenkbar, als Reporter die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: Aha, wunderbar, da werden Frauen unterdrückt, das zeig ich, und tschüss. Man ist als Mensch dabei, nicht nur als Reporter. Das ist eine ständige Herausforderung.

Besteht die Gefahr, dass einen sozusagen die eigene Sozialisation übermannt und man nur noch sieht, was man sehen kann und will?

Man korrigiert als Reporter ständig sein eigenes Weltbild, wenn man unterwegs ist. Man entdeckt Realitäten, die anders sind, als man glaubt. Insofern: Ich glaube nicht.

Der Teheran-Korrespondent des ZDF, Ulrich Tilgner, hört beim ZDF auf. Er kritisiert, dass vieles, was im Fernsehen gezeigt werde, zu boulevardesk sei. Und seit die deutsche Freiheit angeblich am Hindukusch verteidigt wird, auch zu regierungsfromm.

Interne Geschichten aus dem ZDF kenne ich nicht, und sie interessieren mich eigentlich nicht. Fakt ist: Ich gehe zum ZDF. Aber nicht das ZDF ist an mich, sondern ich bin an das ZDF herangetreten. Das ZDF hat keine Nachfolgerin für Herrn Tilgner gesucht. Ich übernehme auch nicht seinen Platz in Teheran. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Am Telefon, vor unserem Treffen, sagten Sie, Sie wären gerne für RTL nach Birma geflogen, als die Mönche gegen die Militärjunta demonstrierten.

Ja.

Warum sind Sie dann nicht gefahren?

Ach, ich habe da eben keine gute Reportage gefunden. Meistens ist, wenn man vor Ort ist, alles anders, als man es sich vorher vorstellt. Aber trotzdem muss ich vorher eine konkrete Idee haben. Ich werde nicht dafür bezahlt, in der Weltgeschichte herumzufahren, sondern dafür, dass ich Reportagen bringe. Da muss ich vorher ein Thema haben. Ich kann nicht sagen, ich würde gerne nach Nordkorea fahren, ohne eine Ahnung zu haben, was ich dort machen soll.

Kann es auch vorkommen, dass Reportagen zu teuer sind?

Was man sagen kann, ist, dass Reportagen schneller gemacht werden müssen, obwohl sie durch die digitale Ausrüstung und die neuen Überspielungsarten billiger werden. Trotzdem sind die Kosten immer ein Argument. Jeder weiß, dass eine Reportage besser wird, wenn man eine Woche vor Ort recherchiert, als wenn man nach zwei Tagen wieder abreisen muss. Daher glaube ich, dass man als Journalist immer um mehr Zeit kämpfen muss.

Haben Sie den Kampf bei RTL verloren?

Ich habe sehr lange für RTL gearbeitet, und ich gehöre nicht zu denen, die lange für einen Sender arbeiten, dann gehen und alle beschimpfen. Ich war bei RTL zufrieden, und es gibt keinen Grund, mit RTL abzurechnen. Was stimmt, ist, dass bei RTL nicht mehr viel in die Information investiert wird. Aber ich war immer genug privilegiert, und ich kann nicht behaupten, dass ich ein Opfer bin. Bin ich nicht.

Warum sind Sie dann ans ZDF herangetreten?

Wissen Sie, ich leide unter einem chronischen Mangel an Sitzfleisch. Ich kann einfach nicht still sitzen.

INTERVIEW: KLAUS RAAB

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