Ein Toilettenhäuschen als soziale Plastik: Die Ausstellung \"Skulptur Projekte Münster\" überzeugt jenseits der documenta mit behutsamen, klugen Arbeiten.: Das geräuschlose Heben des Klodeckels

Ein Toilettenhäuschen als soziale Plastik: Die Ausstellung "Skulptur Projekte Münster" überzeugt jenseits der documenta mit behutsamen, klugen Arbeiten.

Flamboyant: die von Hans Peter Feldmann überarbeiteten Toiletten im Urzustand Bild: roman mensing

Wer hätte gedacht, dass eine Arbeit des feinen Hans-Peter Feldmann einmal die flamboyanteste und raumgreifendste Installation in einer Ausstellung abgeben könnte? Und dass Kasper König, der der Pop-Art in Deutschland und später so grellen Künstlern wie Nobuyoshi Araki und Matthew Barney den Weg bereitet hat, so leise sein könnte? Er selbst hatte die letzte Ausgabe der alle zehn Jahre von ihm kuratierten Open-Air-Schau "Skulptur Projekte Münster" kritisch als "Infotainment" bewertet (vgl. taz vom 6. 6.). Doch mit Hilfe der Ko-Kuratorinnen Brigitte Franzen vom Westfälischen Landesmuseum und Carina Plath vom Westfälischen Kunstverein ist König jetzt wieder eine exquisite Ausstellung mit behutsam tastenden, dabei präzisen und klugen Arbeiten gelungen.

Der Bannkreis, den die Gegenwartskunst diesmal um die Traditionsstadt Münster schlägt, ist hauchzart und fast unsichtbar, eher wie ein feiner Riss, durch den Verdrängtes und Unerwünschtes dringen, aber auch neue Perspektiven und Poesie. Das treffendste künstlerische Manifest dazu ist der Faden, den Mark Wallinger rund um die Altstadt gespannt hat, hoch über dem Gewusel der Straßen und scheinbar mitten durch die Häuser hindurchgehend. Die Frage nach Grenzziehungen, nach Drinnen und Draußen, könnte beiläufiger nicht gestellt werden. Gleichzeitig aber wird die Grenze als mentales Konstrukt schlagend deutlich. Ähnlich wirft Pawel Althamer mit Hilfe eines Trampelpfads am südlichen Ende des Aasees den Betrachter auf das Thema Fort- und Ankommen zurück. Man könnte es für eine neue Route der Jogger halten, die unablässig durch die Auen nahe dem Stadtzentrum keuchen, was da in die Wiese führt - tatsächlich aber führt der Pfad ins Nichts, eine Sackgasse für den funktionalen, auf Effizienz getrimmten Menschen.

Valérie Jouves Film "Münsterländer" zeigt Menschen, die auf solchen Irrwegen tatsächlich unterwegs sind und die subtilen Grenzen gegenüber Außenseitern bestens kennen, in einer Fußgängerunterführung. Ihre vier Protagonisten - Laienschauspieler, die sich selbst darstellen - nähern sich aus der anonymen Peripherie dem Stadtzentrum. Einer sammelt leere Flaschen aus Mülleimern, die anderen wirken kaum weniger arm und verloren. Doch geht von jeder Figur eine spezifische, unkitschige Würde aus, eine fast beneidenswerte Gelassenheit und Freiheit. Auch in der Arbeit des großen Neurotikers Bruce Nauman kommt der bloße Mensch diesmal bemerkenswert gut weg. Nauman hat vor dem naturwissenschaftlichen Zentrum eine große Senke mit dem bezeichnenden Titel "Square Depression" eingelassen. Darin versinkt der Betrachter bis zur Nasenspitze, aber er macht nicht die sonst bei diesem Künstler übliche, höchst beklemmende Erfahrung des Ausgeliefertseins und der Isolation. Tatsächlich nutzen die Physikstudenten die Skulptur bereits als Liegeplatz. "Square Depression" ist ein weiteres Beispiel für die Strategie der Ausstellung, eher mit kleinen Verschiebungen und Irritationen zu arbeiten.

Dennoch schwingt in vielen Arbeiten etwas Bedrohliches mit. Gustav Metzger lässt jeden Tag einen Gabelstapler nach dem Zufallsprinzip eine Anzahl Steine durch die Stadt fahren, die Last fotografieren und das Bild ins Internet stellen. "Aequivalenz. Shattered Stones" entzieht sich somit demonstrativ dem Sinn und der physischen Präsenz. Gerade dadurch aber gelingt in dieser Stadt voller fest gemauerter Kirchen und unverrückbar scheinender Bürgerhäuser ein eindringliches Bild: Metzger, der als Kind aus dem nationalsozialistischen Deutschland floh, thematisiert wie Jouve Irrwege und Heimatlosigkeit, Verlust, Zerstörung und Irre - für sich selbst ebenso wie für die Stadt, hinter deren pittoresken Fassaden die traumatischen Erfahrungen der Kriegszerstörung liegen. In diese Richtung arbeitet auch Martha Rosler mit "Unsettling Fragments", wenn sie ein Adler-Emblem aus der Fassade des früheren Luftwaffenkommandos oder die Wiedertäufer-Käfige an der Kirche St. Lamberti an ungewohnten anderen Orten auftauchen lässt. Nicht länger eingehegt durch die alte Sehgewohnheit, erhalten die architektonischen Details neue Brisanz und Beredsamkeit.

Durch die Überzeugungskraft, den diese Arbeiten gerade durch ihren zurückhaltenden Charakter erhalten, wirken manche stärker inszenierten Arbeiten schlechter. Zum Beispiel Guillaume Bijls falsche Ausgrabungsstätte, in der ein angeblich wiederentdeckter Kirchturm aus dem 19. Jahrhundert eher platt auf unsere Begriffe von Geschichte und Landschaft als vielschichtiges Konstrukt aus Projektionen und Wünschen verweist. Mit Mike Kelley hat ein anderer, sonst für seine böse Ironie berühmter Altmeister unter dem bezeichnend milden Titel "Streichelzoo" eine Hommage an den Mythos von Loths Frau inszeniert. Kelley ließ in einer polnischen Salzmine eine Skulptur der zur Salzsäure erstarrten Bibelheldin anfertigen, an der nun Ziegen, Schafe und Kühe herumnaschen, die wiederum von den Besuchern gekost werden dürfen. Die spielerische Interaktion mit den Tieren mit dem hochbeladenen Mythos eröffnet den Blick auf gefährdete Unschuld und Idylle.

Und Hans-Peter Feldmann? Er hat sich der öffentlichen Toilette auf dem Domplatz angenommen, die zuletzt zu Ehren eines Papstbesuches 1987 renoviert wurde. In Zusammenarbeit mit dem Stadthochbauamt wurden nun große, elegante Waschbecken, grüne Glasmosaiken, bunte Kronleuchter und Wandbilder mit fluoreszierend bunten Blumen installiert. Der größte Stolz des Hochbauamts aber sind die Klodeckel, die sich automatisch langsam und geräuschlos schließen, wenn man darauftippt. Mit diesen Klodeckeln hat Feldmann der Stadt Münster immerhin etwas geliefert, mit dem man sich auf Anhieb identifizieren kann. Wie lange die ausgefeilte Technik überlebt, hängt allerdings vom Umgang der Benutzer mit dieser originellen sozialen Plastik ab.

<typohead type="5">"Skulptur Projekte Münster 07" ist ab Sonntag bis 30. 9. zu sehen.<br/>

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