Berliner Stadtschloss wird gebaut: Ein Traum aus 300.000 Legos

Sechzig Jahre nach der Sprengung des Berliner Stadtschlosses baut ein Schwabe den Preußenpalast wieder auf. Mit Legosteinen im Wert von 24.000 Euro.

Ein halbes Jahr Arbeit vor sich: Pascal Lenhard mit seinen Steinen. Bild: jana moertl/lego discovery center

BERLIN taz | Eine der barocken Außenfassaden ist schon fertig, die runde Kuppel in Ansätzen erkennbar. Sehnsüchtig wartet Pascal Lenhard auf die Materiallieferung, damit er weiterbauen kann. Aus Tschechien soll in diesen Tagen Nachschub anrollen. Insgesamt 300.000 Legosteine braucht er für sein Großprojekt, angekarrt werden sie in Lkws. Eine Menge, die selbst der dänische Spielwarenhersteller nicht mal eben so stemmen kann. "Die sind noch heiß, wenn sie hier ankommen", sagt Lenhard und reibt sich die Hände. Der 39-Jährige lacht spitzbübisch.

Der Schwabe Lenhard soll eines der umstrittensten Bauvorhaben Berlins umsetzen: den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Dessen Zerstörung jährt sich dieser Tage zum sechzigsten Mal: 1950 hatte der SED-Generalsekretär Walter Ulbricht die Sprengung des Preußenpalastes angeordnet - oder zumindest dessen, was im Zweiten Weltkrieg nicht bereits zerstört worden war. Später stand dort der braun verspiegelte Palast der Republik, von dem aus vor der Wende Honecker regierte, Erichs Lampenladen.

Jetzt ist auch er abgerissen, und an diesem Ort soll das Stadtschloss wiederaufgebaut werden. Ein 550 Millionen Euro teures Unterfangen. Gegner des Schlosses warnen vor einem neuen Konservatismus, vor der Verklärung des preußischen Monarchismus und warnen vor den Kosten: Kaum jemand glaubt, dass es bei den für den Wiederaufbau angesetzten 550 Millionen Euro bleiben wird.

Im Spielzeugreich von Pascal Lenhard scheint diese Debatte weit entfernt. Es ist das Legoland Discovery Center in Berlin, eine Touristenattraktion am Potsdamer Platz. Dort, wo die riesige Lego-Giraffe steht, warten Besucher in einer langen Schlange, sie alle wollen die Treppe hinab, hinein in die Fantasiewelt aus Plastik mit lebensgroßen Affen, Krokodilen, Palmengewächsen. Hier arbeitet Pascal Lenhard seit wenigen Monaten als Modellbauer. Wenn er durch die Ausstellung führt, winkt er Captain Steinebart, einem Männchen, das er gebaut hat, zu. Die meterlange gescheckte Schlange, die ist auch von ihm. Kürzlich hat er die Berliner Mauer wiederaufgebaut, aus grauen Steinchen. "Die können die Kinder jetzt einreißen", sagt er.

Man kann Pascal Lenhard, diesem etwas hyperaktiven Schlaks, attestieren, dass er mehr als Leidenschaft entwickelt. Er ist besessen von Lego. Ein Piercing steckt in seinem Innenohr, aus dem Kragen des schwarzen Shirts rankt sich ein Tattoo den Hals empor. Jugendsünden. Genau wie der berufliche Irrweg, Kaufmann und Heilpraktiker zu lernen. Pascal Lenhard wollte in seinem Leben nie etwas anderes, als kleine, bunte Plastiksteine zusammensetzen.

"Ich werde es bauen"

Im Lego Discovery Center betreut Lenhard Kinder, leitet Workshops. Das handgroße Reichstagsmodell schafft er inzwischen binnen wenigen Sekunden. Hinter der Ausstellung liegt seine kleine Werkstatt. Ein fensterloser Raum mit hohen Regalen. Wie große Krümel liegen die bunten Steinchen auf dem Boden. Als Lenhard den Job bei Lego bekam, versprach der Chef, dass er ein richtig großes Projekt kriegen würde. "Das war meine Bedingung, sonst langweile ich mich doch", sagt Pascal Lenhard. Es wurde das Stadtschloss.

Es ist eine Aufgabe, die Lenhard reizt, sagt er. Zumal doch die Berliner noch so viel über den Neubau des Preußenpalasts diskutieren. In den Streit über das Stadtschloss will sich der Modellbauer aber überhaupt nicht einmischen. Da hält er sich raus. "Hauptsache, ich darf meinen Legopalast bauen", sagt er.

Als sein Plan feststand, rief er bei York Stuhlemmer an. "Ich werde es bauen", sagte er dem Architekten, der die Fassadengestaltung des wirklichen Stadtschlosses plante. Stuhlemmer, der sich auch im Förderverein des Stadtschlosses engagiert, war zuerst irritiert, fühlte sich gar veräppelt. Inzwischen telefonieren die beiden häufiger. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo der Bau des steinernen Stadtschlosses immer wieder verschoben wird. Denn jüngst rückte das Stadtschloss auf die Sparliste der Regierung.

Zwar stimmte die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für den Neubau des Palasts, doch die Finanzierung des Mammutprojekts ist ungeklärt. Als kürzlich entschieden wurde, den Bau des echten Stadtschlosses auf 2013 oder 2014 zu verschieben, rief Stuhlemmer in Lenhards Werkstatt an. In diesen ungewissen Zeiten mag der Palast aus Lego ein gewisser Trost für den Architekten sein.

Architekt Stuhlemmer kümmert sich um die Fassade des echten Stadtschlosses. Von ihm hat Lenhard einen in 2-D geplotteten Plan bekommen, der nun in seiner Werkstatt im Legoland Discovery Center hängt. Inspiration, die der Modellbauer für seine Arbeit braucht. "Das Problem ist, dass ich es nicht sehen kann, weil es nicht existiert", sagt er.

Sein größtes Projekt bisher war der Bau der Gedächtniskirche. 40.000 Steine steckte er in drei Monaten zusammen. Das Stadtschloss soll sein Gesellenstück werden. Lenhard will eine Kamera installieren, um den Baufortschritt zu dokumentieren, in seinem Blog kann man den Bau verfolgen.

In sechs Monaten werden Berliner den barocken Prachtbau sehen können, samt seinen Fresken, Ornamenten und Säulen. Alles im Maßstab 1:60, zwei mal drei Meter wird es groß. Lenhard hält sich streng an den Legobauer-Ehrenkodex: "Da wird nichts abgeschnitten oder drangeklebt", sagt er. Aber ist es eigentlich möglich, mit eckigen Lego-Steinchen eine solche barocke Fassade zu bauen? "Das ist die Herausforderung", sagt Lenhard.

Mehr als ein Häuslebauer

Man könnte jetzt mit dem Klischee vom Häuslebauer daherkommen, angesichts dieser Geschichte vom Schwaben, der ein Lego-Schlösschen baut. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Lenhard sammelte schon als kleines Kind jeden bunten Plastikbaustein, den seine Mutter ihm schenkte. Mit sieben Jahren diktierte er dem Vater seine erste Bewerbung beim dänischen Spielwarenkonzern. "Gerne möchte ich Modellbauer werden", hieß es in dem Brief. Damals erhielt Pascal Lenhard eine Absage, 30 Jahre später hat es dann doch geklappt.

Der einzige Wermutstropfen: Der Schwabe musste aus dem schönen Sigmaringen nach Berlin umziehen. Versehentlich verschlug es ihn in den Stadtteil Friedrichshain, der für sein studentisches Nachtleben und einen überproportionalen Anteil an Hundehaufen bekannt ist. "Ein Moloch ist das", schimpft Pascal Lenhard. Zu chaotisch, zu laut, zu viele Menschen auf den Straßen. Dreckig. Er vermisst die Heimat. "Als echtes Landei muss ich mich an Berlin erst gewöhnen", sagt er.

Vielleicht hat er deshalb so viel Spaß daran, in seiner Werkstatt in den Tiefen des Potsdamer Platzes eine Fantasiewelt zu errichten, jetzt auch noch ein eigenes Schlössle. Man möchte nicht wieder an das Klischee vom schwäbischen Sparhans denken. Aber Lenhard sagt es selbst: "Das Beste an dem Schloss, das ist der Preis: Es hat einen Wert von 24.000 Euro."

Lego will den Preußenpalast in der Ausstellung am Potsdamer Platz zeigen, neben der Gedächtniskirche. Aber Lenhard hat noch andere Pläne. Er will das Legoschloss zur grünen Wiese karren und es auf dem Stück Erde platzieren, das einst den Palast der Republik trug. Vom Schloss an seinem symbolträchtigen Standort, wo es einst stand und künftig wieder stehen soll, will der Modellbauer ein Foto machen, von ganz weit oben. Vielleicht von der Kuppel des gegenüber liegenden Berliner Doms aus.

Er würde sich auch als König anbieten, sagt Lenhard scherzhaft. Schlosskritiker könnten ihm Gefolgschaft leisten. Zumindest dann, wenn sein Legopalast das steinerne 550 Euro Millionen teure Preußenschloss verdrängt.

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