Vize-Chefredakteurin der "Berliner Zeitung": "Alle sollten Geschichte aufarbeiten"

Domenika Ahlrichs, stellvertretende Chefredakteurin der "Berliner Zeitung" und Chefredakteurin der "Netzeitung", über die Stasi-Affäre und die Pläne von Konzernchef David Montgomery.

" Alle Zeitungshäuser in Deutschland sollten ihre Geschichte so aufarbeiten." Bild: dpa

taz: Frau Ahlrichs, haben Sie schon Ihre Stasi-Akte angefordert?

Ahlrichs: Ich war bei der Wende 16 und bin in Westdeutschland aufgewachsen. Ich weiß nicht, ob es für unter 16-Jährige schon Akten gab. Aber ich habe darüber nachgedacht, die aktuellen Ereignisse als Anlass dafür zu nehmen, das herauszufinden.

taz: Zwei Mitarbeiter der Berliner Zeitung waren Stasi-IMs. Rechnen Sie damit, dass weitere Redakteure enttarnt werden?

Ahlrichs: Alle wissen, dass verschiedene Medien derzeit Akten von Redakteuren der Berliner Zeitung bei der Birthler-Behörde anfordern. Insofern rechne ich damit, dass alle, die eine Stasivergangenheit haben, sich zu ihr bekannt haben, und niemand darauf wartet, von anderen enttarnt zu werden.

taz: Ein Forscherteam untersucht nun den Einfluss der Stasi auf die Berliner Zeitung. Warum gibt es in der Redaktion Widerstand gegen das Team?

Ahlrichs: Einzelne haben ein Problem damit, dass sie erstens ihre Daten offen legen sollen, und zweitens mit Herrn Weberling (dem Teamchef; d.Red.)...

taz: ...dem ehemaligen Personalchef des Berliner Verlags, der an einer ähnlichen Studie 1997 mitgearbeitet hat.

Ahlrichs: Aber das ist nicht die Mehrheitsmeinung. Seitens des Redaktionsausschusses gibt es den Appell, zusammenzuarbeiten. Für die Zeit nach 1990 gibt es keinen wissenschaftlichen Auftrag, da das Stasi-Unterlagengesetz die Überprüfung von Akten einzelner Mitarbeiter im Auftrag des Arbeitgebers nicht zulässt. Da ist man auf die Freiwilligkeit der Leute angewiesen.

taz: Ist die vorhanden?

Ahlrichs: Ja. Die große Mehrheit der Redakteure hat angekündigt, die eigenen Akten anzufordern. Die Berliner Zeitung hat sich ihrer Vergangenheit schon immer aktiv gestellt. Alle Zeitungshäuser in Deutschland sollten ihre Geschichte so aufarbeiten.

taz: Thomas Leinkauf, der als IM Gregor geoutet wurde, verantwortete einen sehr kritischen Text über den darin so genannten "Stasi-Jäger" Hubertus Knabe. Wie will man prüfen, ob ehemalige Stasi-Mitarbeiter strittige Texte in die Zeitung gehoben haben?

Ahlrichs: Es ist unmöglich zu prüfen, wer welchen Text in Auftrag gegeben oder inwiefern beeinflusst hat. Artikel werden ja in der Redaktionskonferenz diskutiert. Und in der Redaktion sitzen auch Leute wie Thomas Rogalla, der früher Sprecher der Gauck-Behörde war. Auch der umstrittene Text über Knabe ist in der Redaktionskonferenz diskutiert und kritisiert worden, aber vor allem wegen handwerklicher Mängel.

taz: Sind Sie froh, dass Thomas Leinkauf nicht stellvertretender Chefredakteur wurde - was er ja im Herbst werden sollte?

Ahlrichs: Es macht für mich keinen Unterschied, ob ein leitender Redakteur oder ein stellvertretender Chefredakteur als Stasi-Spitzel enttarnt wird. Ich bin jedenfalls nicht froh, dass es einen stellvertretenden Chefredakteur weniger gibt. Die Position, die er besetzen sollte, ist immer noch frei.

taz: Redakteur Ewald B. Schulte hat kritisiert, kein Mitglied der Chefredaktion sei "willens oder in der Lage", einen politischen Leitartikel zu schreiben. Ziehen Sie sich den Schuh an?

Ahlrichs: Nein. Man kann kritisieren, dass es keinen anderen gibt, der die Position eines stellvertretenden Chefredakteurs besetzt und als politischer Kommentator etabliert ist. Aber meine Aufgabe ist es nicht und war es nie, Leitartikel in der Berliner Zeitung zu schreiben. Ich bin als Chefredakteurin der Netzeitung...

taz: ...die wie die Berliner Zeitung zum Mecom-Konzern gehört...

Ahlrichs: ...zusätzlich in die Chefredaktion der Berliner Zeitung berufen worden mit dem klaren Auftrag, für die Verzahnung von Printausgabe und berliner-zeitung.de zu sorgen.

taz: Die Verzahnungsidee kommt von Konzernchef David Montgomery, der bei der Printredaktion wegen seiner Renditeziele wenig Vertrauen genießt. Ziehen die Redakteure mit?

Ahlrichs: Ja. Es gibt überhaupt keine Verweigerungshaltung. Auch ohne Montgomery müsste man hier eine Onlinestrategie fahren, das weiß auch die Redaktion, die seit langem darauf hinweist, dass nicht sie eine Erneuerung des Onlineauftritts verhindert hat. Vielmehr gab es strukturelle und technische Hürden. Für eine echte Verzahnung von Print und Online braucht man ein Redaktionssystem, das den Austausch von Inhalten in beide Richtungen ermöglicht. Wir testen nun mehrere Systeme. Aber auch Personalfragen müssen geklärt werden.

taz: Montgomery klingt, als würde er lieber Personal sparen als zusätzliches dafür einstellen.

Ahlrichs: Montgomery gibt die große Linie vor, aber die konkrete Arbeit wird hier gemacht - und dafür ist ein kleines Team von Onlinejournalisten nötig. Zumal Arbeitsabläufe von Print und Online so unterschiedlich sind. Die einen brauchen morgens Inhalte, die anderen produzieren sie aber erst im Lauf des restlichen Tages. Das muss koordiniert werden. Was Montgomery quer liegt, ist dieses "Wer entscheidet das, wer kontrolliert jenes?" Er will nicht auf Menschen verzichten, er will Abläufe von Ballast befreien.

taz: Wie soll das gehen?

Ahlrichs: Geplant ist ein Newsroom, in dem das Team der Netzeitung und Redakteure der Berliner Zeitung sowie so genannte Online-Producer sitzen, die die Schnittstelle bilden. Jede Zeitung produziert wie bisher ihre Inhalte, tauscht sich aber mehr als bisher über Themen aus und überlegt die Umsetzung jeweils für Print und Online.

taz: Wie viele zusätzliche Leute braucht man?

Ahlrichs: Vier Mitarbeiter kümmern sich bereits jetzt ausschließlich um den Online-Auftritt der Berliner Zeitung. Eine Handvoll weiterer sind mindestens nötig, um eine gute Schnittstelle zwischen Print und Online hinzubekommen.

taz: Teilen Sie die Kritik der Redaktion der Berliner Zeitung am Mecom-Konzern, etwa an den Renditezielen?

Ahlrichs: Nach Jahren des recht einsamen Überlebenskampfes ist es für mich als Chefredakteurin durchaus ein Glück, dass die Netzeitung jetzt zu einem Medienverlag gehört. Es wäre allerdings eine Ironie des Schicksals, wenn nun Renditeziele in den Vordergrund und Qualität in den Hintergrund rücken würde.

INTERVIEW KLAUS RAAB

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