Strauss-Kahn in den Medien: Gerüchte gibt's genug

In der Affäre um Dominique Strauss-Kahn leidet die Sorgfaltspflicht der Journalisten unter der Gier nach Details. Für Ausländer ist das kaum zu verstehen.

Coverboy wider Willen: Dominique Strauss-Kahn. Bild: dapd

PARIS taz | Am schnellsten war mal wieder das Internet. Vorvergangener Samstag um genau 22.59 Uhr: Jonathan Pinet, ein Jungmitglied der französischen Regierungspartei UMP, verbreitet per Twitter eine Nachricht, welche die Welt erschüttern sollte: Ein Kumpel habe ihm gerade mitgeteilt, DSK sei im New Yorker Sofitel festgenommen worden.

Das Gerücht wurde vom UMP-nahen Onlinemagazin Atlantico aufgegriffen, parallel meldeten US-Fernsehsender bereits Details zur spektakulären Verhaftung. Stunden später erwachte Frankreich in einem Schockzustand, den Ausländer kaum nachvollziehen können. Alle wollten wissen, was genau am 14. Mai in Suite 2806 passiert ist. Die Sorgfaltspflicht der Medien litt unter der Gier nach immer neuen schmutzigen Details.

Vor allem im Internet wurde unheimlich viel kommentiert und geklatscht. Unter dem Deckmantel anonymer Beiträge und Quellen wurden so wildeste Gerüchte und Verschwörungstheorien verbreitet. Bei Twitter war 14 Mal häufiger von DSK die Rede als vom Filmfest in Cannes. Bedenklich daran ist, dass viele Medien diese glaubhaft tönenden "Enthüllungen" gleich ungeprüft weiterverbreitet haben. Ein Beispiel dafür waren die vorschnellen, ihr Recht auf Anonymität verletzenden Angaben zur Person der Klägerin. Zuerst hieß es mit dem nicht verifizierbaren Verweis auf Quellen aus dem Hotel, die angegriffene Angestellte sei aus Puerto Rico, dann hieß es: aus Ghana, schließlich aus Senegal wegen ihres durchgesickerten Namens, letzter Stand: vermutlich aus Äquatorialguinea.

Bruder entpuppt sich als Bekannter

Dann zitierten amerikanische und später europäische Medien einen "Bruder", der sich als Bekannter entpuppte. Nachbarn aus der Bronx lieferten Beschreibungen, die ausgeschmückt wurden. Schon lief dann über die Ticker, die 32-jährige Mutter eines 15- oder 9-jährigen Mädchens sei vermutlich seropositiv oder aidskrank, da sich ihre Wohnung in einem Gebäude für HIV-Patienten befinde. Der Anwalt des Opfers dementierte. Das französische Online-Magazin Rue89.com hat die Falschmeldungen und angeblichen Enthüllungen, die sich kurz darauf als Ente erwiesen, aufgelistet.

Die Affäre DSK hat aber auch einen öffentlichen Schlagabtausch zwischen dem angelsächsischen und dem französischen Journalismus provoziert: Amerikanische und britische Publizisten werfen den französischen Berufskollegen und den Politikern vor, sie seien sich mit dem (jetzt eingestandenen) Schweigen über eine ihnen bekannte Vorgeschichte von DSK implizit zu Komplizen eines Sexualverbrechens geworden. Zwischen Gerüchten aus dem Intimleben und gerichtlich relevanten Vorfällen wird da kein Unterschied gemacht.

Die sträfliche Nachsicht für Prominente sei Ausdruck einer französischen Mentalität, schrieb The International Herald Tribune, und fügte boshaft an, es wäre nicht verwunderlich, wenn DSK "nach der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe in Frankreich seine natürlich von Polanski verfilmte Biografie veröffentlichen und danach Minister für Gleichheit der Geschlechter werden" sollte. In Paris verwahren sich die Herausgeber gegen ein solches "French bashing".

Im US-Onlinemagazin The Daily Beast versucht der Philosoph Bernard-Henri Lévy zu erklären, dass es da nicht um eine Mentalität gehe, sondern um Grundsätze. Wenn er die US-Justiz als "heuchlerisch und scheinheilig" angreife, gehe es ihm "nicht um den Freund, sondern ums Prinzip", das er verteidige.

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