Rechtstreit um Kindersoldatenbiographie: Sängerin oder "brutale Kommandantin"

Die "unbarmherzige Kommandantin" Almaz Yohannes klagt gegen Senait Meharis umstrittene Kindersoldatenbiografie "Feuerherz" - und fürchtet die Berlinale, auf der die Verfilmung laufen soll.

Über allem schwebt weiter die Frage: Was passierte 1980 und 1981 in dem Lager, von dem die Sängerin Senait Mehari in ihrer Kindersoldatenbiografie "Feuerherz" erzählt? Hat die eritreische Rebellentruppe "Eritrean Liberatuion Front" (ELF) in dem beschriebenen Camp Jungen und Mädchen, die zum Teil unter zehn Jahre alt waren, zu Soldaten geformt, gequält, sexuell missbraucht, verheizt? Oder war das Lager eine Schule der ELF, in der die Kinder der Flüchtlinge und Kämpfer unterrichtet wurden? Das sagen die Kritiker der Autorin, die wie Mehari in den 80ern vor dem Krieg in Eritrea nach Deutschland flohen.

Große Vorwürfe. In ihrem Schlagschatten werden Menschen leicht übersehen, die sich unverhofft und ohne je gehört worden zu sein, in einem Buch wiederfinden, das allein in Deutschland 400.000-mal verkauft wurde. Der Bestseller inspirierte den Regisseur Luigi Falorni zu einem Spielfilm über Kindersoldaten - frei nach Senait G. Mehari, steht in einer Pressemitteilung zur Berlinale, wo "Feuerherz" als einer von zwei deutschen Beiträgen ins Rennen um den Goldenen Bären geht.

Die Kontroverse um Senait Meharis Kindersoldatenbiografie "Feuerherz" geht also in die nächste Runde. Im Februar 2007 brachte das NDR-Magazin "Zapp" die Zweifel am Wahrheitsgehalt des Bestsellers ans Licht. Kurz vor der Premiere des vom Buch inspirierten Films "Feuerherz" am 14. Februar bei der Berlinale beschäftigt sich die Justiz mit der Auseinandersetzung zwischen Mehari und ihren Landsleuten. Die Berliner Staatsanwaltschaft beantragte im Dezember einen Strafbefehl über 9.000 Euro gegen Mehari. Der Vorwurf: üble Nachrede in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Der Pressekammer des Landgerichts Hamburg liegt seit dem 25. Januar eine Klage gegen Mehari und ihren Verlag vor. Gefordert werden Widerruf und Unterlassung mehrerer Behauptungen des Buchs "Feuerherz", dazu eine Entschädigung, bestätigt Julia Grißmer, die Anwältin der deutsch-eritreischen Kläger.

"Gegen den Strafbefehl ist Rechtsmittel eingelegt worden", schreibt Meharis Manager Jobst Henning Neermann, "wir gehen davon aus, dass das Verfahren zugunsten von Frau Mehari eingestellt wird". Der Verlag Droemer Knaur spricht im Namen seiner Autorin von einer "Kampagne", mit der versucht werde, "sie mundtot zu machen" und das Thema Kindersoldaten zu verharmlosen und zu verdrängen.

Diese Frage beschäftigt, auf ganz andere Weise, auch Almaz Yohannes: Mit jedem verkauften Exemplar von "Feuerherz" ist ihr das eigene Leben in den vergangenen zwei Jahren ein Stück weiter entglitten - ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Was, wenn das durch den Film so weitergeht? Denn Mehari beschreibt Yohannes im Buch als unbarmherzige Kommandeurin der Kindersoldaten. Die Anführerin der Kindersoldaten heißt Agawegatha - diesen Spitznamen trägt in der eritreischen Community eigentlich nur eine: Almaz Yohannes.

"Ich war schon als Kind sehr bekannt", erzählt die 1968 geborene Yohannes beim Interview. In ihrer eritreischen Heimatstadt Mendefera tanzt und singt sie auf Hochzeiten. 1978 fährt sie zur ELF. Fronttheater. Sie singt für die Soldaten. In der Zwischenzeit erobern äthiopische Truppen Mendefera. "Es gab keinen Weg zurück." Yohannes bleibt bei den Rebellen. Sie wird zum Kinderstar der Kulturgruppe. 1979, bei einer kleinen Tour durch den Sudan, singt sie "Agawegatha". Das Lied von der Morgenröte ist ein klassischer Durchhalteschlager. Er hebt die Moral und geißelt alle, die flüchten, statt zu kämpfen. Das Publikum liebt den Propagandaschlager. Yohannes hat ihren Spitznamen weg. Song und Sängerin werden eins.

1988 kommt die schlanke Frau mit den langen schwarzen Haaren nach Karlsruhe. Von der 500 Exilanten starken eritreischen Gemeinde wird sie mit offenen Armen empfangen. Das Leben geht seinen Gang. Tagsüber sitzt Yohannes in der Kantine der "Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder" an der Kasse. Am Wochenende hat Agawegatha ihren Auftritt. In ihrer Wohnung am Stadtrand Karlsruhes zeigt Yohannes das Video einer eritreischen Fernsehsendung von 1995. Die bekannte TV-Journalistin Manna Kidane - Eritreas Sabine Christiansen - spricht mit Agawegatha über deren gerade erschienene CD. Yohannes legt eine andere Kassette ein - ein Konzert in Holland. Fünf, sechs Jahre ist das her. Der Saal ist voll. Glückliche Gesichter. Tanzende Menschen. Agawegatha zelebriert den Song, der ihr Markenzeichen geworden ist. Ihre Augen blitzen, sie wiegt den Oberkörper hin und her, die Arme fliegen, sie hüpft ausgelassen über die Bühne, strahlt die Männer an, die ihr in der ersten Reihe huldigen oder von der Seite auf die Bühne stolzieren, um ihr als Zeichen der Bewunderung und mit großer Geste Geldscheine zuzustecken. "Eigentlich singe ich das Lied nicht mehr. Aber die Leute verlangen bis heute danach." Einmal Agawegatha, immer Agawegatha.

Mit den Konzerten ist es seit dem Abend vorbei, an dem sie das erste Mal von "Feuerherz" hört. Im Februar 2006 besucht sie ihr afrikanisches Stammlokal in Karlsruhe. "Almaz! Es gibt ein Buch über dich", sagt Mekonnen, ein guter Freund und der Bruder des Wirts. "'Du machst Spaß', habe ich gesagt, 'das ist verrückt. Wer soll über mich schreiben?'" Die beiden foppen sich dauernd. Einen Tag später fängt Mekonnen wieder davon an. Beim nächsten Mal hat er "Feuerherz" dabei. "Erst dachte ich: 'Vielleicht steht ja was Gutes drin.'" Dann wird ihr klar, welche Rolle ihr Mehari zugewiesen hat.

Anwältin Julia Grissmer schreibt in Yohannes Klage über jene Zeit: Yohannes "konnte tagelang nicht schlafen und litt unter Panikattacken, die sich erst besserten, als die Klägerin ehemalige Mitschüler sprechen konnte, die ihr helfen wollten, sich gegen das Buch zur Wehr zu setzen."

Seither zieht sich Agawegatha mehr und mehr zurück. Ein schmerzhafter Prozess. "Ich habe für zwei Generationen von Eritreern gesungen. Aber jetzt hat meine Weste einen schwarzen Fleck. Meine Beliebtheit hat durch 'Feuerherz' gelitten - auch in Eritrea. Die Leute lesen davon im Internet." Wo sie hinkommt, muss sich Yohannes für das rechtfertigen, was Mehari über sie schrieb. "Ich habe keine Ruhe mehr, dauernd muss ich über diese Sache nachdenken." Das Selbstwertgefühl schwindet. Im Juli 2007 soll sie beim großen Eritrea-Festival in Frankfurt an drei Tagen auftreten. Sie geht nur einmal auf die Bühne, weil Leute danach zu ihr sagen: "Genieren Sie sich nicht, hier zu singen? Wenn Sie das Buch widerlegt haben, können sie wieder kommen."

Also bemüht Almaz Yohannes die Justiz. Strafrechtlich kann sie nicht mehr gegen "Feuerherz" vorgehen. Die Klagefrist ist abgelaufen. Aber dann gibt Mehari der Berliner Zeitung ein Interview, ein paar Tage nachdem die Zweifel am Buch im Februar 2007 öffentlich geworden sind. Angesprochen auf die NDR-Sendung "Zapp" sagt Mehari: "Auf dem Bildschirm habe ich nur Almaz wiedererkannt, deren Spitzname Agawegatha war. In dem Beitrag wurde behauptet, sie sei Sängerin. Ich kannte sie aber nur als brutale Kommandantin." Am 7. Juni 2007 stellt eine Anwältin Strafantrag wegen übler Nachrede gegen Senait Mehari.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Mehari lässt im August mitteilen, sie werde sich umfassend äußern. Im September setzt ihr die Staatsanwaltschaft eine Frist von drei Wochen für die Stellungnahme und Nennung von Entlastungszeugen. Nach Lage der Akten hat die Justiz bis Dezember aber nur Bitten um Aufschub erhalten. Gründe gab es viele. Auslandsaufenthalte Meharis. Schwierigkeiten, aussagewillige Entlastungszeugen zu benennen. Terminnöte bei der Kripo. Kinderkrankheiten.

Die Staatsanwaltschaft schließt ihre Ermittlungen ab. Das Amtsgericht Tiergarten von Berlin schreibt Mehari am 20. Dezember, ihre Äußerungen gegenüber der Berliner Zeitung seien gefallen, "ohne dass Sie diese Behauptungen belegen können, wobei Ihnen bewusst war, dass diese Behauptungen geeignet waren, die Geschädigte [] als quasi menschenverachtende Mörderin und Schinderin herabzuwürdigen."

Der Strafbefehl ist noch nicht rechtskräftig. Mehari hat Einspruch erhoben. Verlag und Management sagen außerdem, sie hätten noch keine Post vom Hamburger Landgericht bekommen. Einer Klage gegen das Buch sehe man "gelassen" entgegen, schreibt Jobst Henning Neermann, der Manager.

Droemer Knaur bestätigt, man habe Almaz Yohannes und ihrem Mitkläger Elias Benifer (der das ELF-Lager geleitet hat) bei "außergerichtlichen Verhandlungen" wegen des Buchs "Anonymisierungen angeboten. Inhaltliche Änderungen jedoch nicht." Andere Quellen sprechen zusätzlich von finanziellen Angeboten des Verlags. Eine Einigung kam nicht zustande. Yohannes geht es um etwas anderes. Sie will, dass Mehari "Feuerherz" widerruft, denn sie will ihren guten Namen zurück. Der Verlag sagt: "Mehari ging es [] nie um eine Anklage oder Herabwürdigung einzelner Personen."

Droemer Knaur bereitet mittlerweile eine neue Auflage des Buchs vor, das zuletzt vergriffen war. Der Buchhandel sagt Kunden, er erwartet die druckfrischen Exemplare im Februar. Rechtzeitig zur Weltpremiere von "Feuerherz", dem Film.

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