Interview mit NDR-Intendant Lutz Marmor: "Wir sind nicht die Nische"

NDR-Intendant Lutz Marmor ärgert sich im taz-Interview über Bundesligavereine, die sich in die Dritten abgeschoben fühlen und freut sich über die Geduld des NDR mit dem Satiremagazin "extra3".

"Wir sind ein stabiler Faktor, wir berichten unabhängig und können nicht in die Hände von Heuschrecken fallen": NDR-Chefdiplomat Lutz Marmor (54). Bild: dpa

taz: Herr Marmor, Ihre WDR-Kollegin Monika Piel sagt, sie könne auch gut damit leben, wenn das Erste nur auf Platz zwei oder drei der Quotencharts liegt. Und der NDR?

Lutz Marmor: Ich strebe schon an, dass das Erste bei den Zuschauern auch in Sachen Erfolg das Erste bleibt. Natürlich gibt es Grenzen, das kann nicht um jeden Preis geschehen. Wir machen ja auch beim NDR-Fernsehen nicht alles, um die Quote nach oben zu treiben. Aber unser Ziel bleibt, möglichst viele Menschen zu erreichen. Das Erste liegt außerdem in diesem Monat bislang nur auf Platz drei der Rangliste. Wenn Sie jetzt die Parole ausgeben, im Zweifel reicht das, besteht die Gefahr, dass Sie noch ganz woanders landen.

Dennoch bleiben - siehe die Titelgeschichte der aktuellen Zeit - die alten Klagen: Die ARD ist mutlos und setzt nur auf Altbewährtes.

Da muss ich für den NDR widersprechen: Wir haben 2008 eine Menge neuer Formate ausprobiert - beinahe zu viele. Da war einiges dabei, das passte nicht zu uns. Mit dem Rest arbeiten wir weiter und werden unsere Stärken ausbauen. Und was den langen Atem angeht: Wir halten doch seit Jahren an Sendungen wie "extra3" fest, auch wenn die zwischendurch mal ein Tief hatten. Jetzt entwickelt sich "extra3" erfreulicherweise deutlich nach oben.

Gut, aber wie sieht es etwa mit dem ARD-Vorabend aus mit seinen mit Ausnahme von "Türkisch für Anfänger" unglaublich schlichten Programmen?

Wir sind uns in der ARD einig, dass wir etwas am Vorabend tun müssen. Die Situation will ich nicht schönreden. Hier haben wir vielleicht zu lange an Bewährtem festgehalten. Wir haben aber auch Frank Plasberg ins Erste genommen - eine Operation, die aller Kritik zum Trotz aus meiner Sicht gelungen ist: Jetzt gibt es zwei relevante politische Talkshows im Ersten.

In der Unterhaltung dagegen sieht es finster aus. Hat die ARD den Kampf aufgegeben?

Wir brauchen ein zentrales Unterhaltungsbudget für die ARD. Daran arbeiten wir auch schon länger, aber es bleibt schwierig, Denn es gibt auch Landesrundfunkanstalten, eher im Süden der Republik, die Gemeinschaftsanstrengungen skeptischer sehen als wir. Der NDR setzt hier klar auf Gemeinschaft.

Noch so ein Gemeinschaftsthema ist ein verlässlicher "Tagesthemen"-Sendeplatz. Ist dieses ewige Herumlaborieren nicht allmählich peinlich?

Nein, das ist eine große Aufgabe, wir sind da in der Diskussion. Denn natürlich habe ich als NDR-Intendant ein großes Interesse daran, dass es - zumindest in der Woche - einen einheitlichen Beginn der "Tagesthemen" gibt. Aber dafür müssen wir vieles im Programmablauf des Ersten ändern. Und das wird in der Öffentlichkeit nicht nur gefeiert werden. Die Kolleginnen und Kollegen der "Tagesthemen" arbeiten daher zunächst mal richtigerweise an der Sendung, und was dabei bislang herausgekommen ist, kann sich sehen lassen.

Aber was die geplante einheitliche Marke für die ARD-Politmagazine angeht: Da winken Sie eher ab, oder?

"Panorama" ist eine sehr starke Marke, die möchte ich erhalten. Man kann gern über ein gemeinsames Unterlabel für die Politikmagazine nachdenken, aber nicht über eine Dachmarke. Die Verschiedenheit unserer Magazine ist doch eine große Stärke und gehört zur Pluralität der ARD. Das sollte man nicht herunterspielen oder zentralisieren. Übrigens war die Verkürzung auf eine halbe Stunde richtig: Da fällt oft dann genau die Geschichte weg, die vielleicht wirklich zu schwach war.

Ab Sommer 2009 soll der Bundesligasonntag vor allem den Dritten gehören. Doch diverse Vereine meckern und fühlen sich abgeschoben.

Mich ärgert sehr, dass zum Teil der Eindruck erweckt wird, als seien die Dritten Nischenprogramme. Wenn etwas in der Nische sendet, dann ist es eher das DSF mit einem durchschnittlichen Gesamtmarktanteil von unter einem Prozent. Die Dritten haben zusammen 13 Prozent - wie einzelne Vereine und Sponsoren sagen können, da würde etwas abgeschoben, ist nicht zu verstehen. Auf der Fernbedienung liegt bei mir das DSF auf Platz 14, obwohl ich Fußballfan bin. Wir holen am Sonntag die Bundesliga von Platz 14 der Fernbedienung auf Platz 3. Und wir haben zum Beispiel im NDR-Fernsehen eine sehr gut gemachte, beliebte Sportsendung am Sonntagabend! Da hat die Liga doch etwas Positives für die Vereine erreicht.

Was sind derzeit die größten Baustellen in der ARD?

Die ARD muss sich öffentlich noch besser präsentieren und den Menschen klarmachen, was sie jetzt gerade in Zeiten der Finanzkrise an uns haben: Wir sind ein stabiler Faktor, wir berichten unabhängig und können nicht in die Hände von Heuschrecken fallen - Sie sehen doch, was bei ProSiebenSat.1 oder manchen Zeitungen los ist. In der Presse gibt es immer mehr Einzeitungskreise - da ist es wichtig, dass es regional noch eine weitere Informationsquelle durch die Hörfunkprogramme der ARD oder ein drittes Programm gibt.

Während sich beim ZDF die Politik derzeit in die Vertragsverlängerung des Chefredakteurs einmischt, ist es beim NDR in dieser Hinsicht in letzter Zeit erstaunlich ruhig. Wie machen Sie das?

Die Lage beim ZDF möchte ich mangels eigener Erkenntnisse nicht beurteilen. Die Situation beim NDR finde ich - das ist nun keine Überraschung - sehr gut. Die Gremien und der Intendant müssen ihre eigene Unabhängigkeit bewahren und sich natürlich gleichzeitig auch der Kritik stellen. Dass ein Politiker versucht, Einfluss zu nehmen, ist ja an sich nicht schlimm. Die Frage ist, ob man solchen Einflüssen nachgibt. Dass es bei wichtigen Personalentscheidungen zu Diskussionen kommen kann, lässt sich nicht vermeiden. Aber das gehört dazu und ist auch aushaltbar. Wichtig ist doch, ob am Ende eine gute oder schlechte Entscheidung steht.

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